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"Keine Sorgen wegen höherem Verletzungsrisiko"

Sportwissenschaftler sieht keine Fitness-Bedenken bei Liga-Start nach langer Pause:

Foto: © FHWN

Nach mehr als zwei Monaten Pause und teilweise starken Trainings-Einschränkungen startet die österreichische Bundesliga am 2. Juni wieder durch.

Die lange Pause wirft viele Fragen auf, auch aus sportwissenschaftlicher Sicht. Wie fit sind die Spieler? Ist das Verletzungsrisiko nach der Unterbrechung erhöht.

"Aus sportwissenschaftlicher Sicht gibt es eigentlich nichts, was gegen einen Start spricht", meint dazu Andreas Haller von der Fachhochschule Wiener Neustadt im Interview.

Der Experte über Trainingssteuerung, seine Eindrücke und wie er die Situation sieht:

Frage: Die österreichische Fußball-Bundesliga startet Anfang Juni wieder. Ist das aus sportwissenschaftlicher Sicht vernünftig?

Haller: Aus sportwissenschaftlicher Sicht gibt es eigentlich nichts, was gegen einen Start spricht, solange kein gesundheitliches Risiko auf gesamtgesellschaftlicher Ebene damit verbunden ist. Die Spieler haben während des Lockdowns gezielt trainiert und sind sicher bereit für die Wiederaufnahme des Spielbetriebs.

Frage: Die Profis haben seit Monaten keinen Zweikampf bestritten. Um wieviel höher ist das Verletzungsrisiko einzuschätzen?

Haller: Sofern die jeweiligen Trainer und Betreuer während der Pause verantwortlich agiert haben, sollte man sich diesbezüglich keine Sorgen machen müssen – Stichwort Trainingssteuerung. Bei allen negativen Begleiterscheinungen der langen Pause gibt es auch positive Seite: das Training konnte viel individueller und auf den einzelnen Spieler ausgerichtet gestaltet werden. Es gab in den letzten Monaten die einzigartige Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum mit Trainingsreizen gezielt an konkreten Stärken und Schwächen zu arbeiten.

Aus konditioneller Sicht dürfte es keine Bedenken geben. Der überwiegende Teil an Verletzungen im Fußball resultiert aus Situationen mit Gegnerkontakt. Diese Variable bleibt unbeeinflussbar und damit unverändert. Das physische Level der Spieler sollte zumindest dasselbe wie beim Abbruch haben, damit könnte der Faktor Ermüdung, der in den letzten Phasen des Spiels die Verletzungsgefahr normalerweise erhöht, positiv beeinflusst werden. Offen bleiben die Durchführungsbestimmungen. Eine Erhöhung der Wechselmöglichkeiten innerhalb eines Spiels könnte sich diesbezüglich positiv auswirken.

Frage: Kann man gewisse motorische Abläufe, wie z.B. bei Kopfballduellen oder Timing bei Grätschen, in dieser Zeit „verlernen“?

Haller: Die vielen Videos der Spieler beim Jonglieren mit Klopapierrollen zeigen, dass man sich hinsichtlich technischer Einbußen in der kurzen Zeit keine Sorgen machen muss. Der Ball ruht ja auch über die Winterübergangperiode einige Zeit und die angesprochenen Fähigkeiten leiden darunter nicht..

Frage: Die Spieler haben sicher in der letzten Zeit viel am Ergometer und mit Waldläufen trainiert. Manche Trainer sprechen trotzdem davon, dass die Sportler viel Fitness eingebüßt haben. Was ist damit gemeint?

Haller: Wenn wir von der Bundesliga sprechen, kann ich das nicht nachvollziehen. Diverse Change of direction Belastungen, Repeated Sprint Belastungen, Hochintensive Intervall Trainingsmethoden uvm. waren höchstwahrscheinlich ebenso Bestandteil der individuellen (Quarantäne)Trainingseinheiten. Dazu dürfen die Bundesliga-Klubs seit 20. April wieder in Kleingruppen trainieren, somit sind spezifische Belastungen auch mit Ball möglich. Ich wette, dass kein Sportwissenschafter eines Bundesligaklubs ernsthaft Sorge um den konditionellen Zustand der Spieler hat. Die Angst um verloren gegangene Fitness würde ich eher dem Semi- bzw. Nicht-professionellen Bereich zuordnen. Hier kann ich die Befürchtung eher verstehen.

Frage: Trotzdem forderten viele Trainer eine mehrwöchige Vorbereitungszeit, die ihrer Meinung nach absolut notwendig wäre. Wie viele Wochen Vorbereitung braucht es wirklich?

Haller: Ich denke, dass hier mehr der taktische als der körperliche Bereich gemeint war. Natürlich ist es sinnvoll, einige Trainingseinheiten auch im Mannschaftsverbund mit entsprechenden Spielformen einzukalkulieren, bevor man den Meisterschaftsbetrieb startet. Dies verlangt alleine die spezifische Vorbereitung auf den Gegner. Für mich als Trainer wären demnach zwei bis drei Wochen in Ordnung.

Frage: Aus Sicht eines Athletik-Trainers: Welche Attribute sollten die Teams jetzt verstärkt trainieren?

Haller: Spätestens nachdem klar wurde, dass sich die fußballfreie Zeit länger ziehen könnte, werden die Vereine ihre ursprüngliche „Überbrückungsphilosophie“ in eine Periode individueller Schwerpunktsetzungen umgewandelt haben. In den Wochen unmittelbar vor Wiederbeginn wird eine Art Tapering die konditionelle Frische für den Start gewährleisten. Das wird primär die Aufgabe des Athletiktrainers bzw. des Sportwissenschafters sein. Mannschaftstaktische Inhalte werden bei den Headcoaches im Vordergrund stehen, da dies im Kleingruppentraining davor zu kurz kommen wird. Diese beiden Aufgaben lassen sich aber sehr gut miteinander verbinden. Die Spieler werden aufgrund der Zwangspause hungrig sein auf den Wettkampf, daher ist die „geistige Frische“ leicht zu gewährleisten.

Frage: Die Zeit für die Vollendung der laufenden Meisterschaft ist begrenzt, dadurch kann es vermehrt zu englischen Wochen kommen. Werden Teams mehr rotieren müssen?

Haller: Auch hier spielen wiederum viele Variablen eine Rolle. Die Kadergröße, das Zeitfenster das für die Austragung der Meisterschaft zur Verfügung steht, der Tabellenstand, der es erlaubt mehr zu rotieren, das Reglement, das eventuell mehr Wechsel pro Spiel vorsieht und damit die Belastung der Spieler pro Match reduzieren kann, die Spielerposition, die Spielphilosophie und der damit verbundene physische Aufwand, nicht zuletzt der körperliche Zustand der Spieler.

Frage: Während der Profi-Fußball in Österreich bald aus dem Corona-Tiefschlaf erwachen wird, heißt es in vielen anderen Sportarten sowohl für Profis, als auch für Amateure weiter warten. Was für Auswirkungen sind für die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung und v.a. der Kinder zu erwarten?

Haller: Ich glaube nicht, dass sich die Corona-Krise als solche negativ auf die Fitness und körperliche Gesundheit unserer Kinder auswirken wird. Es ist natürlich verlockend und einfach, dem Corona-Virus den schwarzen Peter zuzuschieben und zu sagen: „Die Kinder können sich wegen Corona nicht genug bewegen.“ Die Entwicklung der Kinder hinsichtlich sportlicher Leistungsfähigkeit und Gesundheit ist ebenso vor Corona bedenklich gewesen. Dass die Öffnung von Fast Food Restaurants aufgrund von unglaublich langen Autoschlangen ganze Kreuzungen „lahm legen“ kann, halte ich hinsichtlich Gesundheit für diskutabler. Nicht selten sitzen in solchen Autos ja auch vorfreudige Kinder mit leuchtenden Augen. Sowohl bei der Bewegung, als auch bei der Ernährung darf man nicht den Fehler machen, die komplette Verantwortung von den Eltern wegzunehmen und diversen Institutionen und Behörden zuzuschreiben.

Sorgen machen sollte man sich übrigens nicht nur um die Kinder, sondern auch um jene Personen, die bis dato ihren Körper kaum in Schwung gebracht haben und deren BMI sich parallel mit dem Alter entwickelt hat. Viele dieser Personen wollten während der Corona-Krise scheinbar zum Profisportler mutieren, was eher „einen Schuss ins Knie“ oder in den Rücken bedeuten würde, aufgrund des Schocks den man dem Körper plötzlich zuführt.


Andreas Haller (38) war nach seinem Magisterstudium der Sportwissenschaften u.a. als Teammanager und Leiter Ressort Breitensport beim österreichischen Fußballbund (ÖFB) und im Scoutingbereich der Fa. Impira AG (heute Opta Sports) tätig. Seit 2011 lehrt und forscht Haller an der Fachhochschule Wiener Neustadt im Studiengang „Training & Sport“ zu den Schwerpunkten Kinder- und Jugendtraining, Spielsport und Talent. Nebenberuflich ist er als Fußball-Coach in der 4. Leistungsstufe tätig.

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