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Überraschungen und Enttäuschungen aus Oberstdorf

Überraschungen und Enttäuschungen aus Oberstdorf

Die Vierschanzen-Tournee ist nach einem Springen selbstredend noch nicht entschieden, dennoch gibt es schon nach dem ersten Bewerb in Oberstdorf einige faustdicke Überraschungen - im positiven und im negativen Sinne - zu konstatieren.

Nicht umsonst sagt man, "in Oberstdorf kann niemand die Tournee gewinnen, sehr wohl aber bereits verlieren". Zu spüren bekamen diese Weisheit vor allem die deutschen Gastgeber.

Eindrucksvolle ÖSV-Bilanz

ÖSV-Cheftrainer Kuttin hingegen feierte einen beinahe perfekten Tournee-Einstand: "Den Aufwind nehmen wir mit und freuen uns auf die nächsten Bewerbe. Wir wollen das Team noch weiter nach vorne bringen, das ist das Ziel."

Mit dem Doppelsieg von Stefan Kraft und Michael Hayböck verlängert sich auch eine beeindruckende Serie: Seit 2006/07 gab es zumindest immer einen rot-weiß-roten Tagessieg. Es war bereits der 61. Sieg des ÖSV seit 1953.

Lediglich der zweifache Sieger der prestigeträchtigen Veranstaltung, Gregor Schlierenzauer (siehe unten), sowie Überraschungs-Vorjahressieger Thomas Diethart (27.) enttäuschten aus österreichischer Sicht.

STEFAN KRAFT UND MICHAEL HAYBÖCK

Die "Jung-Adler" Stefan Kraft und Michi Hayböck galten zwar vor der Tournee als Geheimfavoriten, dennoch überraschten die Zimmergenossen mit ihrem Doppelerfolg wohl jeden – einschließlich sich selbst. Hayböck überzeugte in dieser Saison bislang vor allem mit Konstanz, der 23-Jährige sammelte zuvor bereits vier dritte Plätze und darf beim Neujahrsspringen in Garmisch folgerichtig im Trikot des Weltcup-Gesamtführenden antreten. Kraft hingegen erwischte heuer bislang meist nur einen Sprung perfekt. Dass der 21-Jährige zwei Durchgänge so vollkommen herunterbrachte wie am Montagabend, ist neu. "Genial. Nervös war ich schon. Aber ich habe mir gedacht, es wird mich, wenn ich einen normalen Sprung mache, schon irgendwo ausspucken", freut sich der Tournee-Führende, der bereits in Nizhny Tagil (3.) und Klingenthal (2.) aufs Podest sprang, sich seinen ersten Sieg aber für sein 50. Weltcup-Springen in Oberstdorf aufgehoben hat.

PETER PREVC

Hinter dem ÖSV-Duo platzierte sich mit Peter Prevc ein Springer, der gute Erfahrungen mit Großereignissen gemacht hat. Bei der WM 2013 (Silber und Bronze) und den Olympischen Spielen 2014 (Silber, Bronze) überzeugte er mit je zwei Medaillen. Allerdings ist diese Lauerstellung für den Slowenen nicht nur ein gutes Omen – wurde er doch im vergangenen Jahr in Oberstdorf ebenfalls Dritter und am Ende sprang nur ein undankbarer vierter Gesamtplatz heraus. "Momentan schaut es tatsächlich genauso wie letztes Jahr aus. Aber ich bin nicht derjenige, der Vorhersagen macht, es stehen noch drei harte Wettkämpfe auf dem Programm. Mein Job ist einfach, so gut als möglich zu springen", erklärte der 22-Jährige.


ANDREAS KOFLER

Mit Rang fünf sorgte Kofler gemeinsam mit Hayböck und Kraft für den besten ÖSV-Start in eine Tournee seit 2010. Dabei bewies er bei seiner 13. Tournee starke Nerven, musste er doch am Vortag bei extrem schwierigen Bedingungen bereits einmal von der Schanze. Am Montag zeigte der Tiroler mit einem Sprung auf 135,5 Metern und Rang drei im ersten Durchgang den vielen Zweiflern und - vor allem sich selbst - eindrucksvoll, dass er es noch drauf hat. Zwar war es im Finale nur der neuntbeste Sprung (126 Meter), dennoch jubelte der 30-Jährige, der oftmals schnell ins Grübeln gerät, schon im Auslauf. Platz fünf lässt ihm auch in punkto Gesamtwertung noch alle Chancen. Zudem kann er - im Gegensatz zu den jüngeren Teamkollegen - auf wertvolle Erfahrungen zurückgreifen, denn 2009/2010 konnte er die Tournee schon einmal gewinnen...

KAMIL STOCH

Der Doppel-Olympiasieger von Sotschi kam ohne konkrete Ziele zur Tournee, erst am 24.12. verkündete er auf "Facebook", dass er überhaupt teilnehmen werde. Er war der Dominator der vergangenen Saison, in der aktuellen konnte der polnische Weltcup-Gesamtsieger aufgrund einer Knöchelverletzung vor der Tournee allerdings noch kein einziges Springen bestreiten. "Mit der Teilnahme ist schon ein Traum wahr geworden. Ich bin sehr glücklich, hier zu sein", hatte der 27-Jährige, der erst 23 Tage vor der Oberstdorf-Qualifikation operiert worden war, zu Protokoll gegeben. Nach seinem ersten Sprung auf 127,9 Metern dachte man kurz, die Tournee sei für Stoch bereits wieder beendet, da er sich nach der Landung mehrfach an seinen lädierten Knöchel fasste. Zwar verlor er sein K.o.-Duell gegen den späteren Sieger Stefan Kraft, durfte aber als Lucky Loser und Gesamt-Zwölfter im Finale antreten. Im zweiten Durchgang landete er sogar auf 131 Metern (womit er im Finaldurchgang der Beste war) und sicherte sich einen - angesichts dieser Umstände - sensationellen vierten Rang.

DAS DSV-TEAM

Die deutsche Mannschaft reiste mit dem Ziel zur Vierschanzen-Tournee, nach 48 sieglosen Bewerben endlich mal wieder einen Triumph einzufahren. Immerhin konnte seit Sven Hannawald anno 2002 in Oberstdorf kein DSV-Springer mehr gewinnen. Zudem wähnte man mit Severin Freund und Richard Freitag zwei heiße Eisen um den Gesamtsieg im Feuer. Hannawalds historischer Sieg 2001/02 (er gewann alle vier Springen) ist zugleich der letzte der deutschen Adler. Doch nun müssen unsere Nachbarn bereits nach dem 1. Springen alle Tournee-Hoffnungen begraben. "Wir haben einen katastrophalen Wettbewerb gemacht", analysierte DSV-Coach Werner Schuster perplex. "Das war eine Ohrfeige. Wir sind kläglich gescheitert. Ich habe mir in den kühnsten Träumen nicht ausmalen können, dass unsere Topleute so schlecht springen können." Freund hat als 13. bereits 36,9 Punkte Rückstand auf Kraft: "Die Sprünge waren einfach schlecht", gab er zu. "Der Frust ist ziemlich groß. Ich weiß nicht, warum es ausgerechnet bei der Tournee nicht hinhaut", seufzte Freitag, der als 15. bereits ganze 40 Zähler hinten ist.

GREGOR SCHLIERENZAUER

Für den Weltcup-Rekordsieger ist es zurzeit alles anders als leicht. Zwar durfte er in Lillehammer nach sechs Monaten endlich wieder einen Sieg feiern, die Tournee ist für ihn allerdings bereits nach Oberstdorf gelaufen. Nach einem Absturz im zweiten Durchgang reicht es für den erfolgsverwöhnten Tiroler lediglich für Rang 17, was bereits 43,9 Punkte Rückstand auf seinen Teamkollegen bedeutet. "Die Tournee ist, glaube ich, Geschichte, so viel kann ich schon rechnen", gestand er sich ein. Als wäre das nicht genug, muss sich der 24-Jährige auch noch Kritik an seiner Persönlichkeit gefallen lassen. Die deutsche Boulevard-Zeitung "Bild" unterstellte ihm, er habe gegen Ex-Coach Alex Pointner intrigiert, käme mit seinen Kollegen nicht zurecht und werde von niemanden gemocht. Gegen dieses Bild spricht die Tatsache, dass der 24-Jährige einer der ersten war, der Kraft und Hayböck gratulierte. "Natürlich freut man sich, man trainiert ja auch zusammen, das taugt mir extrem, dass auch die Jungen extrem Gas geben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie einmal ganz oben stehen", bemerkte er anerkennend.


BÖIGER WIND AM SONNTAG

24.500 Zuschauer fieberten in Oberstdorf am Sonntag - das Springen war zuschauerfreundlich extra auf den Wochenend-Tag verlegt worden - dem Start der 63. Vierschanzen-Tournee entgegen. Bei eiskaltem Wind, Minusgraden und Schneefall harrten sie über drei Stunden aus und mussten dennoch unverrichteter Dinge wieder abziehen. Elf Springer waren mit zahlreichen Unterbrechungen über den Bakken gegangen, dann wurde der Bewerb - zu Recht - abgebrochen. Es ist das erste Mal, dass ein Tournee-Auftakspringen in Oberstdorf abgebrochen werden musste. Die Tickets behielten zwar ihre Gültigkeit, doch naturgemäß konnten nicht alle Fans auch am Montag wieder dabei sein. Eine Rückerstattung gab es nicht, zusätzliche Übernachtungsmöglichkeiten waren rar. 12.500 Fans schafften es dennoch auch am Montag ins Stadion. Ähnliche Probleme hatten die Organisatoren: Als freiwillige Helfer mussten sogar Kinder ab 13 Jahren herangezogen werden, zudem gaben einige ortsansässige Unternehmen ihren Angestellten frei. Von ursprünglich 650 Freiwilligen arbeiteten einen Tag darauf 500 erneut an der Schattenbergschanze.


SIMON AMMANN

Der Schweizer, der in seiner Karriere schon so vieles, nicht aber die Tournee gewinnen konnte, reiste in Top-Form und mit zwei Saison-Siegen im Gepäck zu seinem 17. Versuch in Oberstdorf an. Doch für den Vierfach-Olympiasieger nahm der Traum vom Tournee-Sieg bereits im allersten Sprung ein jähes Ende. Zwar flog er 133 Meter weit, kam aber bei der Landung aus dem Gleichgewicht und zu Fall. "Bei der Landung im Neuschnee bremste es meine Ski, die ganze Last war auf dem linken Fuss", sagt er. "Ich konnte mich nicht halten und ich musste mich hinlegen. Es ist mir nichts passiert", sagte der 33-Jährige, der damit den zweiten Durchgang und alle Chancen auf den Gesamtsieg verpasst, gegenüber "Blick". "Es ist schwer zu beschreiben. Ich habe schon viele Enttäuschungen erlebt, andererseits ist es nicht schön, den Start so zu erleben. Ich brauche Zeit, um das zu verarbeiten", so Ammann, der sich nun ganz auf sein Ziel, einmal ein Tournee-Springen in Österreich zu gewinnen, konzentrieren kann.

 

Henriette Werner

 

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