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Internationale Experten über Hirscher und Fenninger

Internationale Experten über Hirscher und Fenninger

Interviews mit Marcel Hirscher und Anna Fenninger gab es in den letzten Tagen im Überfluss.

Auch Trainer, Kollegen und Familienmitglieder wurden immer und immer wieder befragt.

Logisch, dass diese allesamt Lobeshymnen auf die beiden Ski-Superstars, die den Gesamtweltcup für sich entscheiden konnten, anstimmten.

Doch wie sehen eigentlich jene die beiden Salzburger, die auch kritisch über sie berichten müssen? Was halten Experten, die - im Gegensatz zu manch österreichischem Journalisten - einen objektiven Blick von Außen auf die beiden werfen?

LAOLA1 hat sich bei zwei langjährigen Begleitern des Ski-Weltcups schlau gemacht. Der französische Journalist Patrick Lang, Sohn von Weltcup-Erfinder Serge Lang, und "Blick"-Redakteur Marcel Perren aus der Schweiz geben Auskunft über Marcel Hirscher und Anna Fenninger.

So ticken die beiden rot-weiß-roten Skihelden wirklich:

 

LANG: "ANNA FENNINGER IST EINE STRAHLENDE PERSÖNLICHKEIT"

Patrick Lang

Französischer Journalist und Sohn von Ski-Weltcup-Erfinder Serge Lang


... über den Stellenwert des Ski-Weltcups in seiner Heimat

Ich bin Franzose und wohne in der Schweiz. Insofern kann ich sagen, dass der Skisport in beiden Ländern sehr wichtig ist, speziell, wenn die Fahrer sehr gute Resultate erzielen.

... über das Erfolgsgeheimnis von Marcel Hirscher

Marcel hat eine unglaubliche Leidenschaft für die Suche nach der Perfektion. Sein Umfeld mit seinem Vater und seiner niederländischen Mutter ist wunderbar. Er hat zudem eine saubere Einstellung zum Skisport, in den er verliebt zu sein scheint. Den Willen, den er hat, haben nur ganz wenige. Hirscher lässt nie nach und will sich immer verbessern. Es ist nicht leicht, raufzukommen, aber noch schwieriger, ganz oben zu bleiben. Dass er zum vierten Mal den Gesamtweltcup gewonnen hat, spricht für sich. Er ist in den technischen Disziplinen brilliant und in diesen Disziplinen nur mit Tomba und Stenmark vergleichbar. 

... über die Dominanz von Anna Fenninger

Ich kenne sie gut und schätze sie sehr. Anna hat einen eisernen Willen. Sie ist noch jung und wirkt unbekümmert, stellt keine großen Fragen, sondern fährt einfach Ski. Fenninger ist unglaublich locker und hat eine fast perfekte Technik. Was sie anders macht als andere, ist, dass sie sehr balanciert ist. Sie ist eine gute Person und hat eine schöne Seele, zudem eine große Liebe zur Geschwindigkeit. Sie liebt es, schnell zu leben und tut das sehr intensiv. Was sie macht, macht sie mit großer Intensität. Anna ist eine strahlende Persönlichkeit und eine sehr schöne Frau. 

... über die Charaktere Hirscher und Fenninger

Beide haben natürlich auch das Recht, manchmal launisch zu sein. Sie haben so viele Anfragen. Ich habe Marcel in Zagreb gefragt, wie schwierig es ist, Marcel Hirscher zu sein. Er hat gemeint, er kann heute besser damit umgehen als früher. Natürlich ist es schwierig, mit all dem Druck umzugehen, sind die Österreicher doch fast verknallt in den Skirennsport. Die beiden haben großes Verständnis für die Bedürfnisse der ausländischen Presse und geben dieser fast bessere Antworten als der inländischen. Wobei man sagen muss, dass diese lockerer ist als die österreichische. 

... über fehlendes Olympia-Gold

Insider betrachten Olympia als wichtiges Rennen. Es ist aber schwieriger, Kitzbühel zu gewinnen, als eine Olympia-Medaille. Olympische Spiele sind wichtig, weil sie viel Begeisterung bringen. Maßstab ist aber der Weltcup und das sind die Klassiker. Marcel hat zum Beispiel den Slalom in Wengen noch nicht gewonnen und auch nicht jenen in Kranjska Gora. Es ist nicht unbedingt notwendig, Olympiasieger zu sein, um als großer Champion betrachtet zu werden. Er wurde ja Zweiter und von einem ganz großen Slalom-Spezialisten geschlagen - Mario Matt. Der hat auf allen wichtigen Slalom-Pisten der Welt einen Sieg geholt inklusive Kombination in Wengen. Marcel hat das noch nicht gemacht, da sind noch einige Lücken offen. Um die Karriere von Hirscher zu bewerten, wird für mich am Ende wichtiger sein, diese zu füllen. Matts Leistungen sind für mich beeindruckend oder auch Michael Walchhofers, der bis auf Chamonix alle wichtigen Abfahrten gewonnen hat. Franz Klammer hat zum Beispiel in einem Winter alle wichtigen Abfahrten für sich entschieden, Lasse Kjus ebenfalls. Das sind große Rekorde. Der Olympiasieg ist für mich zweitrangig. 

... über Fenninger im Vergleich mit Allzeitgrößen

Man kann sie mit einer Petra Kronberger vergleichen. Sie hat es als letzte Österreicherin realisiert, den Gesamtweltcupsieg zu verteidigen. Kronberger hat 1990 bis 1992 gewonnen, dazu ist sie Olympiasiegerin und Weltmeisterin geworden. Petra hat allerdings in einem Winter in allen Disziplinen gewonnen, das muss Anna erst schaffen. Die Größte aller Zeiten bleibt für mich allerdings Annemarie Moser-Pröll, zudem war es genial, wie Tina Maze vor zwei Jahren den Weltcup mit 2.414 Punkten gewonnen hat. Dabei hat sie Siege in allen Disziplinen gefeiert und 24 Podestplätze geholt - das war phänomenal. Anna ist ein klasse Champion, für sie ist der Sieg heuer mehr wert als letztes Jahr, weil Maria Höfl-Riesch sich verletzt hatte. Tina Maze zu schlagen, ist eine große Leistung.

 

PERREN: "ICH MUSS EIN LOBLIED AUF MARCEL ANSTIMMEN"

Marcel Perren

Schweizer Journalist, der für den "Blick" über den Ski-Weltcup berichtet


... über den Stellenwert des Ski-Weltcups in seiner Heimat

Die Erfolge der Österreicher tun dem gigantischen Interesse am Skisport keinen Abbruch. Im Gegenteil: Selbst in unserer schlechtesten Saison 2012/13 gab es unter den Top-100-TV-Sportereignissen 22 Ski-Weltcup-Übertragungen. Zum Vergleich: Roger Federers meistgesehenes Match war in etwa auf Platz 82. Da erkennt man den großen Stellenwert. Bei den Lauberhornrennen oder in Kitzbühel hast du jedes Jahr eine Million Zuschauer. Die WM-Übertragungen hatten einen Marktanteil von über 50 Prozent. Auch bei uns im "Blick" merke ich es, Ski-Geschichten haben online die meisten Klicks. Alpinsport ist in der Schweiz die Sportart mit den konstantesten Zahlen. Da muss die "Nati" schon bei der Fußball-WM im Achtelfinale gegen Argentinien spielen, damit das von den Einschaltquoten her mithalten kann.

... über Marcel Hirschers Ausnahmestellung

Er ist nicht nur ein gottbegnadetes Talent, sondern auch ein richtig harter Arbeiter. Oftmals neigen solche Talente zu einer gewissen Schlampigkeit, bei Marcel ist genau das Gegenteil der Fall. Mit jedem Erfolg wird er noch erfolgsbesessener, arbeitet akribischer und quält sich noch mehr im Sommer. Er war früher  - naja, vielleicht nicht schmächtig, aber - nicht unbedingt der Überdrüber-Riegel, mittlerweile hat er fast herminatorische Dimensionen erreicht. Mit seinem Top-Konditionstrainer Gernot Schweizer trainiert er ungemein hart und grandios.

... über den Stellenwert der großen Kristallkugel

Ganz sicher ist der Gesamtweltcup die sportlich wertvollste Trophäe im Skisport. Du kannst Olympiasieger theoretisch auch werden, wenn dir die Strecke auf den Leib geschneidert ist und du Windglück hast. Die Kugel holst du nur dann, wenn du über vier Monate ein kompletter Skifahrer und sehr konstant bist.

... über Vergleiche mit den Allergrößten

Ich will den Wert der vier Siege nicht historisch einordnen, weil man die Zeiten nicht miteinander vergleichen kann. Den Skisport in der Zeit eines Stenmark oder Tomba kann man nicht mit heute vergleichen, weil das andere Sportarten waren. Zum jetzigen Zeitpunkt ist Hirscher aber ganz sicher das Maß aller Dinge. Ein Manko hat es aber trotzdem: Für mich waren große Gesamtweltcupsieger Leute wie Pirmin Zurbriggen oder Hermann Maier. Leute, die nicht nur zwei, sondern mindestens drei richtig starke Disziplinen hatten. Fairerweise muss man auch sagen, dass es heute schwieriger ist, Allrounder zu sein. Wenn du heute im RTL top sein willst, musst du aufgrund der Radien, die vor zwei Jahren von 27 Meter auf 35 umgestellt wurden, so viel mehr trainieren, dass gar keine Zeit bleibt, um die Speedbewerbe in den Fokus zu rücken.

... über Anna Fenningers fulminantes Saisonfinale

Sie zeigt, dass sie körperlich unglaublich gut beieinander ist. Sie muss im Sommer sehr vieles richtig machen. Lara Gut hat beispielsweise skitechnisch mindestens ein ebenso großes Potenzial wie Fenninger, sie legt aber nicht diese Konstanz an den Tag. Sie trainiert weniger konsequent. Es ist ähnlich wie bei Marcel, Anna ist nicht nur ein großes Talent, sondern auch eine harte Arbeiterin.

... über die Zusammenarbeit mit Hirscher

Ich bin in erster Linie auf der Männer-Tour, daher kann ich da vor allem für Marcel reden. Da muss ich ein Loblied auf ihn anstimmen, die Zusammenarbeit ist – wie bei Felix Neureuther – sensationell. Ich kann sie jederzeit am Handy erreichen, sie sind extrem professionell. 2012 – im Duell mit Beat Feuz – waren wir in Crans Montana. Damals wollte ich mit Hirscher reden, da hieß es, es sei keine Zeit mehr dafür. Ich war dann im Pressezentrum, als mir Marcel plötzlich auf die Schulter geklopft hat. Er hat sich neben mich gesetzt und ich konnte wunderbar mit ihm reden. Auch mit Hermann Maier oder Stephan Eberharter habe ich mich immer gut verstanden und tue es heute noch, aber da gab es auch Situationen, in denen man nicht mit ihnen reden konnte. Ich muss aber auch sagen, dass er vor der Kamera nicht immer authentisch ist. Wenn er zwei Rennen vor Saisonende im Gesamtweltcup großen Vorsprung hat und allen Ernstes zu behaupten versucht, dass es noch eng wird … naja. Auch wenn er nach Niederlagen versucht, sich darzustellen, als ob er gar nicht so enttäuscht wäre, kaufe ich ihm das nicht ab. Ich weiß genau, wie extrem weh ihm Niederlagen tun. Ich rechne ihm aber sehr hoch an, dass er sich immer stellt.

... über den Charakter Fenningers

Nicht optisch, aber vom Typ her erinnert sie mich an Renate Götschl. Anna ist keine Schönrednerin, sondern eine ehrliche Haut. Wenn sie schlecht drauf ist, zeigt sie das. Sie kann, wie Renate, auch mal kratzbürstig sein. Beide sind wahnsinnig liebe Menschen, haben aber auch mal eine Laune und verbergen diese nicht. Das macht sie sehr authentisch.

... über die Dominanz der beiden in den nächsten Jahren

Mitdominieren werden sie den Weltcup auf jeden Fall weiterhin. Es gibt aber bei Männlein und Weiblein einige, die das Potenzial haben, eine große Rolle zu spielen. Henrik Kristoffersen hat jetzt schon mehr gewonnen als Hirscher in diesem Alter, auch Alexis Pinturault und Neureuther werden Marcel weiterhin Paroli bieten. Dazu kommt ein Linus Strasser, der enormes Potenzial hat. Wenn bei den Damen Lara Gut mal die richtige Einstellung zu dem Ganzen findet und sich etwas von Anna abschneidet, was Trainingsdisziplin anbelangt, dann muss sich Fenninger warm anziehen. Es ist Fakt, dass sie ein richtig großes skitechnisches Potenzial hat.


Aufgezeichnet von Christoph Nister