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Die Akte Schlierenzauer

Die Akte Schlierenzauer

Es ist eine ungewohnte Rolle, in die Gregor Schlierenzauer derzeit schlüpft.

Der erfolgreichste Weltcup-Springer aller Zeiten ist ein Alphatier, ein Anführer, ein Gewinner.

Derzeit hat der Tiroler jedoch um den Anschluss zu kämpfen. Die Leichtigkeit des Seins ist dem 25-Jährigen abhandengekommen.

LAOLA1 hat sich die Situation des Stubaiers näher angesehen.

TÜFTLEREI

Schlierenzauer wird immer wieder vorgeworfen, ein Tüftler vor dem Herrn zu sein. In der Tat gehört er zu den Athleten, die sich mit jedem Detail beschäftigen, um im Kampf um den Sieg nichts dem Zufall zu überlassen. Davon, dass er sich dabei völlig verrennt, wie manche Medien berichten, kann allerdings keine Rede sein. Ein Vertrauter des sechsfachen Titelträgers bei Nordischen Ski-Weltmeisterschaften verriet LAOLA1, dass er in den letzten Tagen stets dasselbe Material verwendete.

KRISE

Dieses Wort wird im Österreichischen Skiverband nicht in den Mund genommen, auch Schlierenzauer betrachtet seine Situation nicht als solche. „Es ist eine Herausforderung“, betont er gebetsmühlenartig. Fest steht, dass der Status quo einerseits nicht zufriedenstellend ist, andererseits aber auch einen besonderen Reiz auf ihn ausübt. „Jeder Top-Athlet erlebt irgendwann so ein Tal“, weiß er. Die ganz Großen aus ihrer Zunft kehren gestärkt daraus zurück.

ABLENKUNG

Pressekonferenzen, Training, Quali, Wettkämpfe – alles dreht sich um die WM in Falun. Fast alles. Um auf andere Gedanken zu kommen, widmet sich Schlierenzauer der Fotografie, einem Buch oder auch der Anwaltsserie „Suits“, die es ihm angetan hat. Auch Freundin Sandra bringt den 25-Jährigen auf andere Gedanken. Am Sonntag erkundeten sie gemeinsam mit Thomas Diethart die 37.000-Einwohner-Stadt und gönnten sich anschließend einen gemütlichen Spaziergang am See. Am Montag stand zudem eine Drift-Challenge mit Mattias Ekström auf dem Programm.

Freundin Sandra ist eine wichtige Stütze

VERTRAUEN

Das Vertrauen des Tirolers in das Trainerteam um Chef Heinz Kuttin ist groß. Gab es früher viele Differenzen mit Alexander Pointner, wird nun an einem Strang gezogen. Geheimniskrämerei gehört der Vergangenheit an, die ÖSV-Adler wollen als Team reüssieren. Auch das Verständnis zu seinen Teamkollegen ist deutlich besser. Springt ein anderer Österreicher besser, akzeptiert er das sportlich fair. „Das muss aber nicht Kamera-wirksam im Zielbereich machen“, erklärt ein Insider.

EINFLUSS

Die Zahl derer, die den Abgang Alexander Pointners Schlierenzauer ankreiden, ist groß. Keine Frage, beide hatten viele Differenzen, es krachte des Öfteren im Team. Es wäre allerdings ein Armutszeugnis für einen derart mächtigen Verband wie den ÖSV, wenn er sich von einem Athleten bevormunden lassen würde. Ein Abwärtstrend im heimischen Adlerhorst kündigte sich schon über einen längeren Zeitraum an, außerdem sind zehn Jahre Amtszeit wie bei Pointner ohnehin weit überdurchschnittlich. Der durch Kuttin entstandene frische Wind tat dem Team gut.

REIFE

Seit 2006 springt Schlierenzauer bereits im Weltcup, bereits mit 16 Jahren war er dem Druck der Öffentlichkeit ausgesetzt. Das prägt, das hemmt aber auch. Der Tiroler ist keiner, der – wie viele andere – immer grinsend in die Kamera lächelt. Seine Sturheit hat ihm das eine oder andere Mal geschadet, er polarisiert wie kaum ein anderer Adler. Schlierenzauer blieb sich in all der Zeit aber immer selbst treu. Die sportliche Dürreperiode ließ ihn als Sportler, vor allem aber als Mensch reifen.

ZUKUNFT

Abgesehen von Einzelgold bei den Olympischen Spielen hat er längst alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Den Weltcup prägte er wie kein anderer vor ihm, seine Medaillensammlung bei Großereignissen (Olympia, Nordische WM, Skiflug-WM) steht bei 18 Mal Edelmetall. Dennoch ist der Wille nach mehr groß. Erst kürzlich verriet er in einem Interview mit dem „Red Bulletin“: „Mein Durst ist noch nicht gestillt.“


Aus Falun berichtet Christoph Nister