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"Die College-Top-10 kratzen an den Top 300 der ATP"

Patrick McEnroe, ehemaliger Davis-Cup-Kapitän der USA, hat letztes Jahr mit der Aussage aufhorchen lassen, dass er 98 Prozent aller Tennisspieler mit Profi-Ambitionen empfiehlt, zuerst College-Tennis zu spielen.

Sebastian Stiefelmeyer hat genau diesen Weg gewählt und etwas geschafft, das nur sehr wenigen vorbehalten ist.

Dem 23-jährigen Wiener gelang als erster Österreicher überhaupt der Sprung an die Spitze der US-College-Rangliste.

In den Spuren von Blake und Isner

Seinen Erfolg hat er vor allem einer starken Turnierwoche zu verdanken. Aus der Qualifikation heraus sicherte er sich im Oktober des letzten Jahres den Sieg bei den „All-American Championships“.

Stiefelmeyer verewigte sich damit neben klingenden Namen wie Mikael Pernfors (1984), James Blake (1998) und John Isner (2005) in der Siegerliste.

Der Bundesliga-Spieler des Wiener Athletik-Klubs ist mittlerweile in seinem letzten Jahr des Bachelorstudiums an der University of Louisville, wo er Volkswirtschaftslehre mit Spezialisierungen in Finance und International Business studiert.

Einblick ins College-Tennis

Im Interview spricht die ehemalige Nummer 67 der Junioren-Weltrangliste (März 2010) über die Unterschiede zwischen Profi- und College-Tennis, die Vorteile des College-Tennis, seinen sportlichen Höhenflug und er gibt Einblick in seine Überlegungen, ob er nun den Sprung auf die ATP-Tour wagen soll oder nicht.

Das Gespräch führte Dominic Tinodi, Mitbegründer von "Smarthlete", ein soziales Netzwerk, dessen primäres Ziel es ist, jungen Athleten US-College-Sport näherzubringen.

Frage: Die ITA-Rangliste hat dich im Jänner als Nummer 1 geführt. Was bedeutet dir dieser Erfolg?

Sebastian Stiefelmeyer: Es ist eine große Ehre für mich. Es hat mich sehr gefreut, und mir gezeigt, dass ich mich von Jahr zu Jahr kontinuierlich verbessert habe. Natürlich wollen mich jetzt viele Leute schlagen, aber ich denke, dass ich es verdient habe.

Frage: Du bist innerhalb von vier Monaten von Position 110 auf 1 geklettert. Hauptgrund dafür war dein Erfolgslauf bei den „All-American Championships“. Was nimmst du aus dieser Woche mit?

Stiefelmeyer: Mein Ziel für das Turnier war, dass ich mich qualifiziere. Danach war jede Runde eine Draufgabe. Der mentale Part hat eine große Rolle gespielt. Wir spielen hier mit LET-Regeln, das heißt, wenn der Aufschlag das Netz berührt, spielen wir weiter. Bei Einstand entscheidet der nächste Punkt. Es waren viele Situationen, in denen diese "Big points" das Match zu meinen Gunsten entschieden haben.

Frage: In welchem Bereich der ATP-Weltrangliste würdest du die Top 10 des College-Rankings einordnen?

Stiefelmeyer: Vielleicht um die 300 bis 500. Mackenzie McDonald, derzeit die Nummer 2, hat sich für das 1000er Turnier in Cincinnati qualifiziert oder Brayden Schnur, Nummer 8, für Toronto. Hanfmann, den ich im Finale besiegt habe, hat ein Future-Turnier im Sommer in Deutschland gewonnen und dabei einen portugiesischen Spieler, der auf Nummer 130 im ATP-Ranking gestanden ist, geschlagen. Andrew Harris von Oklahoma, der um Nummer 20 steht, hat vor kurzem einen Challenger gespielt und erst im Semifinale gegen Baghdatis verloren.

Frage: Warum hast du dich für Collegetennis entschieden?

Stiefelmeyer: Ich wollte nicht Tennisprofi werden, weil ich damals meiner Meinung nach noch nicht bereit dafür war. Aber ich wollte auch nicht mit dem Sport aufhören. Ich finde, dass es einfach die perfekte Umgebung ist, um Sport und Ausbildung zu kombinieren. Man bekommt eine gute Ausbildung, man perfektioniert sein Englisch und man lernt, alleine zu leben. Es trägt zum Reifeprozess bei und das Tennistraining ist sehr professionell. In Österreich und anderen Ländern gibt es leider kein vergleichbares College-Sport-System und daher habe ich mich für Amerika entschieden. Ich hätte mir nur nicht gedacht, dass die Qualität des Tennis so hoch ist.

Frage: Was wären deine Alternativen zum Collegetennis gewesen?

Stiefelmeyer: Ich hätte wahrscheinlich in Wien studiert und Tennis hobbymäßig gespielt. Dazu hätte ich neben dem Studium gearbeitet. Die Tenniskarriere hätte ich sicher nicht so weiterverfolgt, wie ich es in den letzten vier Jahren getan habe.

Frage: Warum ist deine Wahl auf die University of Louisville gefallen?

Stiefelmeyer: Ich hatte einige Angebote, aber der Coach hier hat öfter mit mir telefoniert und sehr interessiert gewirkt. Außerdem war er der einzige, der auch mit meinem Trainer in Österreich, meinen Eltern und meinem Bruder telefoniert hat. Das Team war in der Vergangenheit zudem recht erfolgreich. Mir war auch wichtig, dass es eine größere Uni ist, die nicht im Nirgendwo steht. Und dann natürlich das Stipendium.

Frage: Wie sieht dieses Stipendium aus?

Stiefelmeyer: Ich hatte am Anfang ein 70-Prozent-Stipendium und mittlerweile habe ich ein 80-Prozent-Stipendium. Zum Glück ist die Universität etwas billiger, weil sie eine staatliche Uni ist. Das Jahr kostet normalerweise etwa 32.000 Dollar und das inkludiert die Studiengebühren, Bücher, Essen, Wohnen. Außerdem bekommen wir das Tennis-Equipment gratis. Es ist für mich insgesamt billiger in den USA zu sein, als in Österreich.

Frage: Derzeit läuft es sportlich hervorragend. Hattest du in den letzten vier Jahren auch schwierige Phasen?

Stiefelmeyer: Mein erstes Semester hier im Herbst habe ich zwar gut gespielt, aber ich hatte Probleme mich an das ganze Umfeld anzupassen. Auf einmal gibt es nicht mehr einen Coach pro Spieler, sondern drei für 14. Der Druck ist größer, weil es viel mehr um das Team geht. Und dann natürlich die Doppelbelastung mit Uni und Tennis. Das war im ersten Semester nicht immer ganz einfach. Enttäuschend war auch das dritte Jahr. Da habe ich schlecht gespielt, war nicht motiviert und mental schon fertig mit dem Ganzen. Dann habe ich einmal 0:6 1:6 verloren und mir gedacht: „Ich will nicht, dass meine Tenniskarriere so aufhört.“ Dann habe ich neue Motivation gefunden, mich im Training reingehängt und den Spaß wiedergefunden. Das war der Wendepunkt meiner Collegekarriere.

Frage: Inwiefern hast du dich als Spieler am College entwickelt?

Stiefelmeyer: Physisch ist sehr viel weitergegangen, weil die Amerikaner viel Wert auf Fitness legen. Ich habe ungefähr fünf Kilo zugenommen; die meisten davon im ersten Semester. Ich bin auch ausdauernder, kräftiger und explosiver geworden. Bei den Matches ist oft Daviscup-Stimmung. Es sind viele enge Situationen, in denen man mehr Druck spürt, als wenn man nur für sich selbst spielt. Auch mental ist dadurch sehr viel weitergegangen. Ich stehe jetzt näher an der Linie als früher und habe eine bessere Länge in meine Schläge bekommen. Ich mache mittlerweile sehr wenige unerzwungene Fehler.

Frage: Wie sehen deine Pläne für die Zeit nach dem College aus?

Stiefelmeyer: Ich würde im Oktober gerne meinen Master an der WU in Volkswirtschaft beginnen, nebenbei als Trainer arbeiten und ein paar Turniere spielen. Wenn der Sommer überdurchschnittlich erfolgreich verläuft, spiele ich vielleicht noch mehr Turniere auf Profiebene. Dann werde ich die Situation re-evaluieren. Aber das ist derzeit nicht das Ziel.

Frage: Was traust du dir im kommenden Sommer bei den Future-Turnieren zu?

Stiefelmeyer: Auf jeden Fall Halbfinali bis Siege. Ich habe im letzten Sommer ein Future in Bad Waltersdorf gespielt. Da habe ich mich qualifiziert, gut gespielt, und dann leider in der ersten Runde gegen den Finalisten gespielt, der zwei Jahre davor noch Nummer 36 der Welt war: Karol Beck.

Frage: Du hast vorher das Niveau der besten College-Spieler mit ATP-Niveau um 300-500 verglichen. Was ist der Grund dafür, dass der Profi-Weg für dich nicht vorgezeichnet ist?

Stiefelmeyer: Das Ziel eines jeden Tennisspielers muss sein, dass man auf der höchsten Ebene mitspielen kann und das sind eindeutig die Grand-Slam-Turniere. Derzeit kann ich mir nicht vorstellen, dass ich mit Weltklassespielern mithalten kann und davon müsste ich eben wirklich überzeugt sein. Ich glaube nicht, dass es mir auf Challenger-Ebene Spaß machen würde, 30 Wochen im Jahr herumzureisen, jeden Cent umdrehen zu müssen und vor 100 Leuten zu spielen. Mir macht das Studium richtig Spaß und wenn alles nach Plan läuft, will ich schauen, dass ich bald einen Job finde. Außerdem servieren Profis richtig gut. Ich sehe bei mir selbst, dass der Aufschlag nicht gerade meine größte Stärke ist.

Frage: Was würde es im kommenden Sommer brauchen, damit du es doch noch als Profi versuchst?

Stiefelmeyer: In erster Linie kommt es auf das Gefühl an, wo ich mich selbst sehe und ob ich meine Runden durch Kampf gewinne oder weil ich spielerisch der Bessere bin. Wenn ich einen Titel hole, dabei aber nur mühevolle Siege einfahre, wäre das für mich nicht überzeugend.

Frage: Deine College-Ergebnisse gegen Blaz Rola stechen ins Auge. Der Slowene steht mittlerweile in den Grand-Slam-Hauptbewerben. Was fehlt dir zu Spielern diesen Levels?

Stiefelmeyer: Ich habe in meinem ersten Jahr mit Break im dritten Satz gegen ihn geführt - da habe ich nicht gefunden, dass er so gut spielt. Das Jahr darauf habe ich auf seiner Uni auf schnelleren Plätzen ohne Chance 1:6, 3:6 verloren. Er spielt von beiden Seiten sehr druckvoll. Aber generell hätte ich mir nie gedacht, dass Blaz Rola so weit vorkommt. Ich war überrascht, wie schnell er den Sprung vom College zu den Grand-Slam-Hauptbewerben geschafft hat.

Frage: Wäre deine Einstellung zum Profitennis anders, wenn eine größere Masse und nicht nur die Top 100 gut verdienen?

Stiefelmeyer: Wenn die Nummer 300 vom Tennissport leben könnte, würde es wahrscheinlich anders ausschauen. Aber für mich würde es auch einen großen Unterschied machen, wenn man vor mehr Leuten spielt. Es ist doch etwas anderes, ob man vor 18.000 Zuschauern, wie im Arthur-Ashe-Stadium, oder vor nur 100 Leuten spielt. Am College schauen viele Leute zu, die sehr laut sein können. Dadurch spielt man besser und es macht einfach mehr Spaß, als wenn man in Buxtehude vor 50 Menschen spielt und es keinen interessiert. Gegen Blaz Rola habe ich zum Beispiel vor 400 Zuschauern gespielt. Diese Sportbegeisterung kann man sich als Österreicher nur im Skifahren vorstellen.

Frage: Warum würdest du jungen Tennisspielern den College-Weg empfehlen?

Stiefelmeyer: Viele Spieler sind nicht für den professionellen Weg bereit. Die Ausbildung und die vielen Erfahrungen kann man zudem durch nichts ersetzen. Man lernt andere Kulturen kennen und man lernt, dass viele Vorurteile einfach nicht der Wahrheit entsprechen. Für mich sind die Amerikaner das netteste Volk, das ich je getroffen habe. Es sind extrem offene und gutherzige Menschen.

Das Gespräch führte Dominic Tinodi (Co-Founder Smarthlete)

 

Smarthlete ist ein Recruiting-Netzwerk, das U.S. College Coaches und junge Athleten miteinander verbindet, um geeignete Kandidaten für verfügbare Sportstipendien zu finden. Während über andere Recruiting-Kanäle oftmals hohe Gebühren für die Vermittlung an ein College anfallen, bietet Smarthlete umfangreiche Informationen über das College Sport System sowie die Plattform um sich selbständig ein Stipendium zu sichern.