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Größter Alkohol-Importeur und Davis-Cup-Coach

Größter Alkohol-Importeur und Davis-Cup-Coach

Mikhail Youzhny, siebenfacher Turniersieger.

Dmitry Tursunov, „einer der verrücktesten Russen überhaupt“ (Jürgen Melzer).

Alex Bogomolov jr., unlängst eingebürgerter „Ex-Amerikaner“.

Gleichgültig, wer von 10. bis 12. Februar 2012 in der Arena Nova tatsächlich spielen wird, erwartet sich Österreichs Nummer 1 „ein Duell auf Augenhöhe.“

Persönlichkeit auf der Bank

Eine der interessantesten Persönlichkeiten im russischen Team wird allerdings erst gar nicht zum Schläger greifen, sondern auf der Bank sitzen und von dort aus das machen, was er am besten beherrscht: die Fäden ziehen.

Shamil Tarpishev hält seine Hand als Davis Cup-Kapitän nämlich nicht „bloß“ über Russlands Herren-Team, sondern als Fed Cup-Kapitän auch über die Damen.

Damit nicht genug, leitet er zusätzlich als Präsident auch noch den gesamten russischen Verband.

Einziger Freund von Boris Jelzin

Begonnen hatte die Funktionärskarriere des ehemaligen Tennisprofis (Karriereende: 1985) allerdings abseits von Tenniscourts: 1988 lernte Tarpishev im lettischen Kurort Jurmala zufällig den damaligen Moskauer Parteichef Boris Jelzin kennen.

Jelzin engagierte ihn, den der Politiker später in seiner Autobiografie als seinen einzigen Freund bezeichnen würde, als seinen persönlichen Ausbilder – und verpasste damit einer beeindruckenden Karriere den Startschuss.

Ab 1994 amtierte Tarpishev als Chef des Komitees für Körperkultur und Sport im Range eines Ministers, im Spätsommer ´94 wurde er Mitglied des IOC.

Größter russischer Alkoholimporteur

Eine weitere wichtige Stufe auf dem Weg nach oben: Die Gründung des Nationalen Sportfonds (NSF), der 1993 zur Entwicklung des Sports in Russland geschaffen wurde und aus staatlichen Reserven Rohstoffe wie z. B. Erz und Titan zollfrei exportieren durfte.

Der NSF importierte zugleich, ebenfalls zollfrei, in grossen Mengen Alkohol und Tabakwaren – Tarpishev stieg damit zum grössten russischen Alkoholimporteur auf und handelte mit Bodenschätzen.

Nach einigen Wirren um verschwundene Gelder wurde er allerdings 1996 von Jelzin als Sportminister entlassen.

Danach zählte er zu den Hintermännern der von Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow gegründeten Vaterlandspartei und betreute dabei Großprojekte wie z. B. das Leichtathletik-GP-Finale, die Fussball-EM 2008 und Moskaus Olympiabewerbung für 2012.

Wachsendes Interesse

Aber auch in seiner ursprünglichen „Branche“ setzte Tarpishev Zeichen. Er förderte Nachwuchsspieler, bildete Trainer aus, kümmerte sich um den Bau neuer Tennisplätze.

Hatte seinerzeit mit dem begeisterten Tennisspieler Jelzin der Aufschwung des weißen Sports im Stammland von Eishockey, Schach und nordischem Skisport begonnen, so wuchs jetzt das Interesse unaufhaltsam, TV-Sender berichteten von den Turnieren, Fachmagazine kamen auf den Markt.

Hatte es bis 1991 in der gesamten Sowjetunion weniger als hundert überdachte Tennisplätze gegeben und das russische Tennis nicht genug Geld besessen, um die SpielerInnen weltweit auf Turniere zu schicken, so stammt heute eine große Mehrheit der SpitzenspielerInnen aus Moskau.

Mit Alex Bogomolov jr. (ATP 34), Mikhail Youzhny (ATP 35), Dmitry Tursunov (ATP 40), Nikolai Davydenko (ATP 41) und Igor Kunitsyn (ATP 71) rangieren fünf Spieler unter den Top 100 der Weltrangliste (Stand: 2.1.2012).

Bei den Damen sind es sogar zehn Spielerinnen, zwei von ihnen haben Top Ten-Status: Maria Sharapova (WTA 4) und Vera Zvonareva (WTA 7).

„Die stärkste Schule weltweit“

Dass es so kommen würde, hatte Tarpishev bereits vor Jahren prophezeit. Im Juni 2003 hatte er, der mit Platz 164 am 23. August 1973 sein bestes ATP-Ranking erreicht hatte, einen Blick in die Zukunft „seines“ Sports geworfen: „Die unter 18-Jährigen wie Safina, Kusnezova, Dushevina oder dutzende noch unbekannte Spielerinnen werden Furore machen. Lasst uns noch zwei, drei Jahre warten, dann werden sie in aller Munde sein.“

Mittlerweile, sagt Tarpishev, ist Tennis nach Fussball die populärste Sportart im europäischen Teil des Landes. „In den Umkleidekabinen wird mehr russisch gesprochen als alles andere“, staunte auch Justine Henin bereits vor Jahren.

„Mit dem Zerfall der UdSSR konnte sich das Tennis endlich von seinem schlechten Ruf als bougeoiser Sport der Elite befreien“, so Tarpishev, der v. a. die starke methodische Ausbildung russischer Talente lobt. „Wir haben die stärkste Schule weltweilt.“

Klima in Russland ein Problem

Ein Problem kann allerdings auch ein Multi-Funktionär wie er nicht in den Griff bekommen: das Klima. Im Winter ist es teuer, in Russlands Hallen zu spielen. Eine Stunde kostet 45 Euro oder mehr. Damit verschlingt Tennis pro Monat mehr als z. B. Reiten als Hobby.

Außerdem haben viele Trainer keine Lizenz. Hand in Hand greift damit das nächste Problem: Nämlich die Talente im Land zu halten. Pro Jahr machen sich bis zu 30 junge SpielerInnen auf den Weg in die Tennisschulen insbesondere der USA.

Darauf einmal angesprochen, wischte Tarpishev dieses Problem locker vom Tisch: „Wenn ein Kind mit 14 Jahren ins Ausland geht, dann werden bei uns Kapazitäten für den nächsten Nachwuchsspieler frei.“

Verblüffende Aufstellungsvarianten

„Er ist der Leuchtturm des russischen Tennissports“, schrieb einmal die Online-Plattform russland.ru über Tarpishev. Von 1974 bis 1991 saß er auf der Bank des russischen Davis Cup-Teams. Nach einer Unterbrechung kehrte er 1997 zurück.

Bis Juli 2010, als sich Russland im Viertelfinale in Moskau Argentinien geschlagen geben musste, hatte sein Team kein Heimspiel mehr verloren.

Was im Detail auf Österreichs neuen Davis Cup-Captain Clemens Trimmel zukommen könnte, hatte der zweifache Team-Captain bereits mehrmals bewiesen.

Tarpishev ist „ein gewiefter Zocker“ (Süddeutsche Zeitung), der immer wieder gerne mit verblüffenden Aufstellungen überrascht: So hatte er z. B. 2006 im Finale gegen Argentinien Marat Safin trotz verlorenem ersten Einzel noch zwei Mal auf den Platz geschickt. Was passierte? Der damals nicht in Topform spielende Star siegte im Doppel und im entscheidenden Einzel.

Auch im Halbfinale 2006 hatte er den Gegner mit einer abenteuerlichen Aufstellung überrascht: Statt den damaligen Weltranglisten-Vierten, Nikolai Davydenko, ins Rennen gegen die USA zu schicken, bot er den bis dahin ziemlich unbekannten Dmitry Tursunov auf.

Was passierte? Er schlug Andy Roddick 17:15 im fünften Satz und keuchte danach: „Das war das Match meines Lebens.“ Im Davis Cup, begründete Tarpishev damals seine Aufstellungsvarianten, „haben Weltranglisten die Bedeutung von Holzschlägern im Tennis des 21. Jahrhunderts.“

Eine Strategie, die Russland immerhin bereits sechs Mal zum Erfolg geführt hat: Während seiner „Regentschaft“ konnte das russische Damenteam vier Mal (2004, 2005, 2007, 2008) den Fed Cup gewinnen, die Herren holten sich 2002 und 2006 den Davis Cup-Titel. Kein anderer Teamchef ist damit erfolgreicher als Tarpishev. Seine Erfolgsmaxime? „Wir sind ein Team, keine Ansammlung von Einzelkönnern.“