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"Jeder hat eine zweite Chance verdient, auch ich"

Große Sprüche waren nie sein Ding.

Auch der Medienrummel um seine Person war ihm stets zu viel.

Jan Ullrich wurde über Nacht zum Star. Der Radprofi aus dem Osten Deutschlands avancierte mit seinen Leistungen bei der Tour de France zum Nationalhelden und stand auf einer Stufe mit Michael Schumacher, Franz Beckenbauer oder Boris Becker.

Vom Tour-Helden zum Buhmann

Dann kam der große Knall. Operacion Puerto. Doping. Suspendierung. Karriereende.

Der Deutsche fiel in ein tiefes Loch, litt an Burnout und zog sich komplett aus der Öffentlichkeit, für die er plötzlich der Buhmann war, zurück.

Inzwischen hat er dieses Tal überwunden. In der „Sport Bild“ gab er nun ein Interview, in dem er über seine Vergangenheit, sein neues Leben und seinen ewigen Rivalen Lance Armstrong sprach.

Die Monate nach Bekanntwerden der "Operacion Puerto" beschrieb er als "eine fürchterliche Zeit. Das ganze juristische Hickhack nahm einfach kein Ende."

Von der Situation überfordert

Ullrich nahm sich acht Anwälte, die ihn ein Vermögen kosteten. Am Ende war er froh, dass ihm der Internationale Sportgerichtshof eine Sperre auferlegte.

Die Situation hatte ihn schlicht und einfach "überfordert". Von seinem damaligen Arbeitgeber Telekom stand ihm niemand zur Seite. "Gekündigt wurde mir per Fax."

"Ich war der erste Sportler, der auf einmal mit einer Strafanzeige wegen Betrug konfrontiert war. Im Extremfall geht man da jahrelang in den Knast. Da habe ich natürlich erst mal den Kopf eingezogen. Ich habe Fehler gemacht, aber ich bin doch kein Unmensch. Jeder hat eine zweite Chance verdient, auch ich."

Armstrong hatte "zu viele Feinde"

Indes war der 39-Jährige nicht wirklich überrascht, dass auch sein ewiger Rivale Lance Armstrong in der Öffentlichkeit als überführter und geständiger Dopingsünder dasteht.

Er gönne niemandem etwas Schlechtes, so Ullrich, auch dem US-Amerikaner nicht. "Aber ich habe immer gesagt, Lance wird nicht davonkommen. Der liebe Gott richtet alles. Lance hat sich zu viele Feinde gemacht. Er wollte immer der Boss sein und hat seine Untergebenen teilweise gnadenlos vorgeführt. Das war schon extrem."

Schade sei, dass dadurch dem Radsport erneut großer Schaden zugefügt wurde. "Besonders in Deutschland. Mein Partner Alpecin war kurz davor, ein Engagement im Profi-Radsport mit deutschen Fahrern zu starten. Doch nach Armstrong ging die Entscheidung dort mit vier zu drei dagegen aus."

"Sport ist auch nur Unterhaltung"

Dass im Zuge der "Operacion Puerto" bis heute lediglich die Namen von mehr als 50 Radprofis publik wurden, Fußballer, Tennisspieler, Leichtathleten usw. jedoch geschützt wurden, stört ihn nicht.

"Warum sollte man jetzt noch andere Sportarten kaputt machen? Woran sollen die Leute dann noch glauben? Sport ist letztlich ja auch nur Unterhaltung."

Er selbst hat mit dem Spitzensport abgeschlossen, fährt aber immer noch gerne Rad und schätzt, in diesem Jahr rund 10.000 Kilometer abzuspulen.

Abgesehen davon ist er Teilhaber einer Firma für Höhenkammern. "Der Stoffwechsel wird angekurbelt, man kann damit Übergewicht und Diabetes bekämpfen."

Selbst Roger Federer war schon bei ihm und erkundigte sich danach. "Demnächst soll eine groß angelegt Studie die medizinische Wirkung belegen, dann zahlen die Krankenkassen womöglich die Behandlungen. Das kann eine richtig tolle Geschichte werden."

 

Christoph Nister