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Ist Vincenzo Nibali der Giro-Sieg noch zu nehmen?

Ist Vincenzo Nibali der Giro-Sieg noch zu nehmen?

Schnee, Regen, Stürze, Infekte – der Giro d’Italia 2013 forderte schon viele Opfer, nur 172 Fahrer von ursprünglich 207 gestarteten sind noch dabei.

"Dieser Giro, im Vergleich mit dem Dutzend oder noch mehr Grands Tours, die ich bisher gefahren bin, ist ein echter Test für die Teams, für die Konzentration, das Bikehandling und eine körperliche Herausforderung“, beschreibt Cadel Evans (BMC) treffend die bisherige Rundfahrt.

„Fahren im Flachen, bei Seitenwind, bei Hitze, in der Kälte, beim Teamzeitfahren - das alles war für jeden ein Test in dieser Rundfahrt. Gelinde gesagt, ist das alles sehr interessant.“

Das Finale hat es in sich

Drei der vier noch bevorstehenden Etappen sind extrem schwer – am Donnerstag steigt das Bergzeitfahren über 20,6 Kilometer, Freitag wartet auf die Fahrer – sofern es das Wetter nicht verhindert – nach zwei schweren Bergen, dem Gavia Pass (2.620 m) sowie dem Stilfser Joch (2.760 m), eine Bergankunft auf über 2.000 Metern (Martelltal).

Am Samstag wird es noch unmenschlicher – fünf Gipfel plus Bergankunft sind auf der 203 Kilometer langen Etappe zu bestreiten. Lediglich die letzte Etappe am Sonntag ist traditionell flach und eine Sache für die Sprinter.

Favoritensterben

Viele der vor der Rundfahrt als Favoriten gehandelten Fahrer enttäuschten; sie mussten das Rennen bereits aufgeben oder haben großen Rückstand auf den Gesamtführenden - Vincenzo Nibali (Astana).

Nibali hingegen erfüllt bei seiner fünften Giro-Teilnahme alle Hoffnungen der Tifosi und verteidigt das Rosa Trikot des Gesamtführenden seit seinem vierten Platz im Einzelzeitfahren (achte Etappe) souverän gegen die Konkurrenz. Der 28-jährige Sizilianer trotzt zudem allen widrigen Bedingungen, wurde von Stürzen weitestgehend verschont und zeigte bisher keinerlei Schwächen.

Ganz im Gegensatz zu seinen Kontrahenten - allen voran Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins (Sky), der als erster Brite die Italien-Rundfahrt gewinnen wollte. Nach diversen Stürzen, einem Defekt – der ihn den Sieg im Zeitfahren kostete – und einem Infekt im Brustbereich nach der zwölften Etappe auf Platz 13 liegend aufgeben musste.

Ebenfalls nicht mehr dabei ist Titelverteidiger Ryder Hesjedal (Garmin-Sharp). Der Kanadier quälte sich mehrere Tage mit einer Virusinfektion durch die Rundfahrt, lag mit 32:45 Minuten Rückstand schon aussichtslos zurück und gab ebenfalls auf.

Polen und Kolumbianer stark

Doch das Favoritensterben lässt auch neue starke Klassementfahrer erstrahlen, mit denen zuvor kaum jemand gerechnet hat.

Auf Platz fünf und acht machen sich zwei polnische Fahrer Hoffnungen auf einen Podestplatz: Przemyslaw Niemiec (Lampre-Merida) und Rafal Majka (Saxo-Tinkoff).

Der 33-jährige Niemiec liegt als Fünfter gerade einmal zwanzig Sekunden hinter seinem Kapitän Michele Scarponi und wurde auf der schweren Galibier-Etappe sowie auf dem 16. Teilstück Dritter. "Unsere sportliche Leitung will, dass Michele und ich im Gesamtklassement wenn möglich ganz vorne landen", so Edelhelfer Niemiec. "Wenn ich mich gut fühle und gute Beine habe, soll ich versuchen, in der Spitze zu fahren".

Landsmann Majka schlägt sich auf Rang acht mit 5:20 Rückstand auf das Rosa Trikot ebenfalls sehr gut, allerdings fehlen ihm aufs Podium  bereits 2:34 Minuten.

Neben den Polen machen auch – wie schon das ganze Frühjahr – die Kolumbianer auf sich aufmerksam. 15 gingen an den Start – damit stellen die Kolumbianer nach den Italienern (58), den Niederländern (17) und den Spaniern (16) die viertgrößte Nation beim Giro.

Kampf ums weiße Trikot

Das weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers trägt Shootingstar Carlos Betancur (AG2R), der seine gute Form als Vierter bei Lüttich-Bastogne-Lüttich und Dritter beim Wallonischen Pfeil unter Beweis stellte. Er hat jedoch in dieser Wertung nur fünf Sekunden Vorsprung auf den oben erwähnten Majka.

Betancurs Ziel ist es - neben dem weißen Trikot – nach drei zweiten und einem dritten Platz endlich einen Etappensieg zu holen. Im Gesamtklassement ist ein Top-Ten-Platz realistisch, zur Zeit liegt der 23-Jährige auf Rang sieben mit 5:15 Minuten Rückstand.

Wiggins-Vertretung Uran stark

Seit dem Ausstieg des Giro-Favoriten Bradley Wiggins ist der Kolumbianer Rigoberto Uran neuer Kapitän des britischen Sky-Teams und schlägt sich wacker: Ein Etappensieg auf dem zehnten Abschnitt steht zu Buche, zudem liegt Uran derzeit auf Platz drei (+2:46 Minuten) und hat somit alle Chancen auf das Podium.

"Mein Kühlschrank in Kolumbien ist nicht so kalt wie es hier ist“, scherzte der 26-Jährige über das Wetter in Italien. „Zum Glück bin ich die Kälte nach einigen Jahren in Europa gewohnt, aber wir hatten hier schon zwei harte Tage.“

Fällt die Vorentscheidung im Kampf gegen die Uhr?

Am Donnerstagnachmittag steigt das spektakuläre Bergzeitfahren über 20,4 Kilometer von Mori nach Polsa auf 1205 Meter Höhe, das noch einmal viele Platzierungen durcheinanderwirbeln kann.

"Es sieht so aus, dass der Giro im Bergzeitfahren entschieden wird", glaubt auch Majka an eine Vorentscheidung.

 

Henriette Werner

Evans noch gefährlich

Von den vor dem Giro genannten Favoriten hat Cadel Evans (BMC, +1:26 Minuten) noch die besten Aussichten, Nibalis Sieg zu verhindern. Dabei galt der Australier nicht als Topfavorit. Seine Form vor der Italien-Rundfahrt war nicht überragend, zudem erweckte er den Eindruck, sich eher auf die Tour de France konzentrieren zu wollen.

Der 36-Jährige erwischte allerdings auch schon einen schlechteren Tag – auf der 14. Etappe verlor er 45 Sekunden auf den führenden Italiener.

"Hier Zweiter in der Gesamtwertung zu sein, ist nicht schlecht. Da ich ein sehr ehrgeiziger Fahrer bin, muss ich sagen, dass ein Sieg nicht unmöglich ist. Ich will mich nach vorne arbeiten", gibt der Tour-de-France-Sieger von 2011 noch nicht auf.

"Das Astana-Team ist sehr gut drauf und Nibali ist in einer sehr guten Form. Er ist mit allen Schwierigkeiten klargekommen", kann der 36-Jährige jedoch bisher keine Schwachpunkte bei seinem Konkurrenten ausmachen.

Wer hat noch Chancen aufs Podium?

Michele Scarponi (Lampre-Merida) belegt bei seiner neunten Giro-Teilnahme derzeit Platz vier (+3:53) – dieselbe Platzierung erreichte er im letzten Jahr am Ende der drei Wochen.

Mit seiner offensiven Fahrweise versucht er immer wieder, Nibali aus der Reserve zu locken, seine Attacken machen das Rennen spannend.

Doch im Zeitfahren hat der nach der Disqualifikation von Alberto Contador zum Giro-Sieger 2011 erklärte Kletterspezialist seine Schwächen.

Olympiasieger sucht Form

Samuel Sanchez (Euskaltel) blieb im Frühjahr bei den Klassikern hinter den Erwartungen zurück und erkor den Giro als Highlight seiner ersten Saisonhälfte.

Auf Platz 15 liegend hat der Olympiasieger von 2008 bereits 8:36 Minuten Rückstand, seine beste Platzierung war ein vierter Rang auf der 14. Etappe.

Atemprobleme

Bisher ist es die beste Saison seiner Karriere, doch Mauro Santambrogio (Vini Fantini) - zuletzt Zweiter beim Giro del Trentino - verlor auf der 16. Etappe überraschend 2:10 Minuten auf Nibali.

"Das war eine sehr, sehr ärgerliche Etappe für uns. Doch so etwas kann nach einem Ruhetag immer passieren", so der Sportdirektor des 28-Jährigen, Luca Amoriello, nach der enttäuschenden Leistung seines Kapitäns. "Mauro hatte Atemprobleme. Deshalb fiel er am Berg zurück."

Damit verlor der Italiener, der auf der 14. Etappe schon einen Etappensieg feiern konnte, im Gesamtklassement zwei Positionen und liegt nur noch auf Platz sechs mit 4:57 Minuten Rückstand.