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"Meine Tochter soll stolz auf mich sein"

Sie ist zurück in der Weltspitze.

Liu Jia stellt bei der Mannschafts-WM in Dortmund unter Beweis, dass sie achteinhalb Monate nach der Geburt ihrer Tochter Anna wieder ganz die Alte ist.

„Stimmt nicht“, entgegnet die 30-Jährige lachend, „ich bin sogar noch besser.“

Was sie derzeit so stark macht? „Ich habe viel an Routine gewonnen, bin im Kopf klarer und im Willen stärker geworden.“ Auch spielerisch habe sie zugelegt. „Durch die Pause und die Niederlagen unmittelbar danach habe ich einiges dazugelernt.“

Den vielleicht größten Vorteil fasst sie zunächst allerdings nicht in Worte – man kann ihn nur hören: Spaß. Liu Jia legt rund um die Titelkämpfe in der Westfalenhalle, bei denen sie auch die regierende Einzeleuropameisterin Li Jiao bei der Achtelfinal-Niederlage Österreichs gegen die Niederlande mit 3:2 schlug, eine beneidenswerte Lockerheit an den Tag. Schuld daran hat ganz klar die Babypause.

Lieber spielen statt reden

Doch nach Anna halten ihre Tischtennis-Kollegen bei der WM vergeblich Ausschau. „Sie ist daheim geblieben beim Papa“, verrät „Susi“, die in gewisser Hinsicht froh darüber ist. Denn die gemeinsame Tochter mit dem dänischen Profi David Arvidsson ist im internationalen Tischtennis-Zirkus ein willkommenes Gesprächsthema.

„Jeder spricht mich auf sie an, jedem muss ich das Foto von ihr zeigen. Stell dir vor, wenn sie hier wäre, dann bräuchte ich nicht mehr zu spielen, weil ich mich mit jedem Spieler hier unterhalten und sie präsentieren müsste.“

Einen Vorgeschmack auf den möglichen Rummel hat sie bereits während der Vorbereitung in Schwechat bekommen, als Anna die Sympathien des chinesischen Nationalteams, das zu Gast war, auf sich zog. Durch Bilder auf Facebook errang das Küken sogar Berühmtheit im Heimatland ihrer Mutter.

Bei der WM wollte es die Mama dann doch ruhiger angehen lassen. Allerdings neun Tage war sie bislang noch nie von Anna getrennt. „Skype hilft mir, das zu überbrücken“, so Liu, die täglich vor dem PC sitzt. „Sie erkennt meine Stimme und wenn sie mich auf dem Bildschirm sieht, ist sie sofort happy.“

Sorgen, dass es der Kleinen an etwas fehlen könnte, braucht sie sich nicht zu machen, schließlich steht dem Papa auch die Oma als Unterstützung zur Seite. „Anna geht es bestens, sie ist sogar wieder ein Stück gewachsen.“

„Möchte, dass sie stolz ist auf mich“

Bei der Frage, ob sich bei „Susi“ durch die Geburt die Prioritäten im Leben zu Ungunsten des Tischtennis verschoben hätten, wird klar, dass es für sie nicht ein Entweder-Oder gibt.

Stattdessen verleiht ihr die Mutterrolle neue Kraft im Sport.

„Natürlich ist Anna für mich das Wichtigste. Sie ist aber auch gleichzeitig meine größte Motivation. Ich möchte, dass sie stolz auf mich ist und ich ein Vorbild für sie bin. Darum macht mir Tischtennis momentan auch so viel Spaß.“

Dreimal ist genug

Nach der WM geht es für Liu Jia und Co. Schlag auf Schlag. Es warten das Superliga-Finale mit Linz-Froschberg gegen Hodonin (CZE) sowie die Spanish Open. „Danach geht es schon Richtung Olympia-Vorbereitung mit einem Trainingslager in China.“

Beschweren möchte sie sich darüber aber keinesfalls. „Schließlich habe ich zuletzt eh genug pausiert“, fügt sie mit einem Lachen hinzu.

Für London nimmt sie sich nur eines vor – und zwar sich ja nicht zu viel vorzunehmen. „Ich möchte wie bei der WM mit geringen Erwartungen reingehen und mich in jedes Spiel reinkämpfen, damit ich mir nicht wieder zu viel Druck mache und wieder in der ersten Runde ausscheide. Es reicht, dass mir das schon dreimal passiert ist.“

Keine Leiden mehr

Die Babypause hat abseits der gestiegenen Motivation noch einen weiteren positiven Effekt, denn die kleinen Wehwehchen, mit denen sich die Ex-Europameisterin vor der Schwangerschaft noch herumschlagen musste, sind wie weggeblasen. Selbst der hartnäckige (Tisch-)Tennisarm ist Geschichte.

„Es gibt also keine Ausreden mehr.“

Reinhold Pühringer