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Ohne Beine von Wien nach Rom

Ohne Beine von Wien nach Rom

Am 9. Mai startet das zweitwichtigste Radrennen der Welt, der Giro d’Italia, in San Lorenzo al Mare. Es ist nicht das einzige Rad-Spektakel im Mai in Italien.

Bereits eine Woche zuvor beginnen sechs österreichische Hobby-Sportler ihr ganz persönliches Fahrrad-Abenteuer: Von Wien nach Rom in 12 Tagen.

Und das für einen guten Zweck. Für Stefanie. Im November 2013 wurde die heute 27-Jährige auf dem Weg zu einer Geburtstagsparty am Gehsteig von einem Auto überrollt. Diagnose: Schweres Schädel-Hirn-Trauma und Querschnittslähmung. Und weil die Unfalllenkerin besachwaltet und in einem gestohlenen Auto unterwegs war, konnte nicht einmal angemessener Schadenersatz gefordert werden. Seither kämpft Stefanie um ihre körperliche und finanzielle Rehabilitation.

Alle Einnahmen der „Charity Cycling Challenge: Wien - Rom 2015“ kommen ihr zugute. Vielleicht auch, weil Mitinitiator Erich Artner ein ähnlich hartes Schicksal in jungen Jahren ereilt hat.

Das tückische Waterhouse-Friderichsen-Syndrom infolge einer bakteriellen Infektion kostete ihm im Alter von 15 Jahren beide Unterschenkel, „mehr war ich nicht bereit zu geben.“ Und der 41-Jährige hat sich bis heute diese kämpferische Einstellung behalten.

Letztes Jahr finishte er den Ironman in Klagenfurt als erster Athlet mit Doppel-Prothese. Am Freitag (Abfahrt um 9 Uhr beim Schloss Schönbrunn) macht er sich nun mit Ehefrau und vier Freunden per Rad auf den Weg von Wien nach Rom. Für den guten Zweck. Für Stefanie.

„Ich weiß natürlich in vielen Facetten, wie es Steffi geht, weil ich das auch durchlebt habe. Es ist daher für uns alle ein schöner Nebeneffekt, neben diesem sportlichen Abenteuer, einen Menschen zu unterstützen, der Unterstützung braucht.“

Im großen LAOLA1-Interview erzählt Erich Artner über die einzigartige Idee, den sportlichen und karitativen Zweck des Projektes, seinen eigenen Schicksalsschlag in jungen Jahren und wie die Lebensschule Sport ihm auf dem steinigen Weg zurückhalf. Bis zum Ironman.

LAOLA1: Erich, am Freitag erfolgt der Startschuss zur „Charity Cycling Challenge: Wien - Rom 2015“. Wie kam die Idee zustande?

Erich Artner: Meine Frau und ich waren vor vier Jahren in der ewigen Stadt. Da dachten wir,  es wäre doch ein lustiges und spannendes Projekt, einmal in Rom einzuradeln. Das haben wir dann im Freundeskreis bzw. bei Trainingspartnern vorgeschlagen und viele positive Rückmeldungen bekommen. Vor einem Jahr haben wir dann mit der Planung angefangen. Unter dem Strich sind wir jetzt sechs Personen, die das durchziehen wollen.

LAOLA1: Wie kam der karitative Zweck dazu?

Artner: Es entstand die Idee, dieses wirklich tolle Abenteuer mit einem Charity-Projekt zu verbinden. Über einen Freund haben wir dann Steffi kennengelernt, die das tragische Schicksal erlitt und seit 16 Monaten im Rollstuhl sitzt.  Da haben wir beschlossen, sie zu unterstützen. Jeden eingenommenen Euro geben wir an Steffi weiter.

LAOLA1: Du hast Steffi bereits persönlich kennengelernt. Wie geht es ihr und wie steht sie zum Projekt?

Artner: Wir haben sie schon mehrmals getroffen und stehen in Kontakt. Steffi war begeistert davon, aber zeigt das natürlich noch eingeschränkt. Sie hatte einen schweren Unfall. Neben der Querschnittslähmung, schon tragisch genug, erlitt sie auch ein Schädel-Hirn-Trauma. Sie arbeitet und trainiert hart dafür, wieder alles hinzubekommen und Emotionen wieder richtig zu verarbeiten. Aber sie steht hinter dem Projekt und ihr taugt das irrsinnig.

LAOLA1: Gibt es im leidigen Thema des Schadenersatzes Licht am Ende des Tunnels?

Artner: Da gibt es verschiedene Kanäle, die man kontaktieren und ankurbeln kann. Aber es braucht Zeit, gewisse Instanzen zu durchlaufen und Steffi braucht natürlich jetzt schon finanzielle Unterstützung.

LAOLA1:Wie viel Geld konntet ihr bis jetzt sammeln?

Artner: In den letzten Wochen und Monaten ist das durch vermehrte Medienpräsenz und Unterstützung relativ stark gewachsen. Wir haben Etappen und Bergankünfte an Firmen verkauft, sodass wir jetzt knapp vor 20.000 Euro stehen. Das ist ein anschaulicher Betrag für einen Hüftschuss. Es macht irrsinnig viel Spaß und ist ein größeres Projekt geworden, das jetzt nicht mehr nur für uns aus sportlicher Sicht sinnvoll erscheint, sondern insbesondere auch für Steffi.

LAOLA1: Verbindet euch dieser Schicksalsschlag in jungen Jahren?

Artner: Klar. Ich weiß natürlich in vielen Facetten, wie es Steffi geht, weil ich das auch durchlebt habe und die Situationen kenne. Der Anfang ist eine harte Zeit, sich einerseits mit dem Schicksal abzufinden und andererseits den Weg zurückzufinden. Wo ist meine Stellung in der Gesellschaft? Wo sind meine Freunde, wie sieht das Zusammenleben in der Zukunft aus? Das weiß man zu Beginn natürlich nicht. Da muss man erst sein Selbstvertrauen zurückgewinnen. Umso schöner ist es für mich, da ein wenig zu unterstützen und ihr zu helfen wieder zurückzufinden. Dann wird am Ende des Tages auch Steffi aus dem Tal herausfinden und wieder gefestigt im Leben stehen, um dann andere Menschen mitreißen und inspirieren zu können. 

LAOLA1: Wie hast du damals aus dem Tal gefunden?

Artner: Mir half sehr stark der Sport, meine Triathlon-Aktivitäten, mit denen ich einfach dieses Selbstvertrauen gewonnen habe, um mit meiner Behinderung mit einer gewissen Selbstverständlichkeit umzugehen.

LAOLA1: Du hast einmal gesagt, in dieser Phase sei es wichtig zu wissen, wo man hinwill. Inwiefern hat dir der Sport diesen Weg gezeigt?

Artner: Für mich war und ist der Sport eine Art Lebensschule, weil er sehr viel integriert: Von Sieg über Niederlage bis Ausdauer, sich Ziele zu setzen und umzusetzen, daran zu glauben, Emotionen zu zeigen, wenn man etwas erreicht. Sehr viel davon kann man für das Leben verwenden und daraus lernen.

LAOLA1: Neben dem Sport an sich, der Familie und Freunden haben dich auch deine Handballkollegen (WestWien) in der schwierigen Zeit unterstützt. Auf einer Homepage schreibst du, diese haben „nie aufgehört, dich weiter anzutreiben, dich niemals als Opfer gesehen, sondern bis jetzt als Mitspieler betrachtet und dir nie die Chance zu unnötigen Sentimentalitäten und Selbstbemitleidungen gaben und geben“.

Artner: Ein ganz wesentlicher Punkt. Der Handball war für mich damals alles. Wenn man fünfmal die Woche trainiert und am Wochenende zwei Spiele hat, sieht man die Vereinskameraden öfter als die eigene Familie. Dann ist wichtig, dass dich diese Leute nicht fallen lassen und zu Turnieren mitnehmen, damit du dabei bist und dir auch zeigen, dass du weiterhin ein vollwertiger Mensch bist, du dich aber genauso einbringen musst, auf welche Art auch immer.

Datum Etappe Startort-Zielort Distanz Höhenmeter
  1. Mai
Etappe 1 Wien/Schönbrunn-Leoben 168km 1.180
  1. Mai
Etappe 2 Leoben-Villach 182km 1.726
  1. Mai
Etappe 3 Villach-Sillian 136km 2.009
  1. Mai
Etappe 4 Sillian-Fiera di Primiero 135km 2.952
  1. Mai
Etappe 5 Fiera di Primiero-Teolo 140km 1.924
  1. Mai
Etappe 6 Teolo-Castel San Pietro 140km 588
  1. Mai
Etappe 7 Castel San Pietro-Florenz 132km 1.729
  1. Mai
Ruhetag Florenz
  1. Mai
Etappe 8 Florenz-Castelnova 148km 2.772
  1. Mai
Etappe 9 Castelnova-Orbetello 166km 1.560
11.Mai Etappe 10 Orbetello-Viterbo 136km 1.697
12.Mai Etappe 11 Viterbo-Rom 102km 970

Erich Artner finishte den Ironman Klagenfurt 2014 in 12:12:03 Stunden

LAOLA1: Wie bist du nach der verhängnisvollen Krankheit zum Triathlon gekommen?

Artner: Nach der Amputation folgte eine sportliche Pause, auch dadurch bedingt, dass ich ohne Führerschein noch nicht so mobil war, um zu Trainingsstätten zu kommen. Danach habe ich mit Rollstuhl-Basketball angefangen, eine tolle Erfahrung, ein toller Sport. Nach einer Verletzung beim Basketball - die Schulter ging kaputt - habe ich mit dem Radfahren begonnen, um aktiv zu bleiben. Ein Freund, den ich nach langer Zeit wieder getroffen habe, erzählte mir dann von seinem ersten Ironman. So ist das Fahrwasser Triathlon losgegangen.

LAOLA1: Wie würdest du deine Startbedingungen beschreiben?

Artner: Ich habe gewusst, ich kann schwimmen und gehe nicht unbedingt unter, war auch schon auf dem Rad unterwegs. Einzig beim Laufen fehlte mir noch die Erfahrung, weil ich diese Laufprothesen, die Carbonfedern noch nicht hatte. Das hat sich dann genau aus diesem Projekt ergeben. Die Fragen waren: Wie funktioniert überhaupt ein Triathlon und wie kann ich diese Lauf-Kilometer schaffen?

LAOLA1: Welche ist die schwierigste Disziplin?

Artner: Schwierige Frage. Ich glaube, für den Otto-Normalverbraucher, der Schwimmen nur vom Plantschen kennt, ist es schwierig, sich die langen Schwimmstrecken vorzustellen. Zusätzlich kommt im Wettkampf dazu, dass je nach Teilnehmerzahl viele Leute gleichzeitig ins Wasser gehen. Das heißt nicht umsonst die „Waschmaschine“. Aber jede einzelne Disziplin ist für sich anstrengend. Das Laufen ist natürlich ganz zach zum Schluss, wenn man körperlich schon kaputt ist.

LAOLA1: Musst du deine Prothesen während des Bewerbes wechseln?

Artner: Ja, einmal. Ich schwimme und fahre Rad mit demselben Paar. Vor dem Laufen wechsle ich auf die Carbonfedern. Ein kleines zeitliches Handicap, aber kein allzu großes. Und mit den Laufprothesen geht’s dann ins Ziel. Meistens (lächelt).

LAOLA1: Dein absolutes Highlight war wohl letztes Jahr in Klagenfurt, als du als erster doppelt beinamputierter Österreicher den Ironman gefinisht hast.

Artner: Ja, das war ein toller Tag und sehr emotionales Projekt. Von den Rahmenumständen und Personen, die mich dorthin begleitet haben bis dahin, sich körperlich zu beweisen, dass man das schaffen kann.

LAOLA1: Wie lange hast du dich darauf vorbereitet?

Artner: Ich bin nicht bei Null gestartet, hatte schon einige Jahre Triathlon-Erfahrung. Es war ein 2,5-Jahresprojekt, angefangen beim ersten Marathon, um zu schauen, ob ich überhaupt 42km mit Laufprothesen bewältigen kann. Die intensive Vorbereitung hat dann mit der Anmeldung 13 Monate davor begonnen.

LAOLA1: Das Gefühl auf der Zielgeraden muss unbeschreiblich gewesen sein.

Artner: Emotional bricht da natürlich viel auf dich ein, vor allem wenn der Sport für dich einen so wichtigen Stellenwert hat. In Wirklichkeit sind es aber die Meter vor der Ziellinie. Wenn man in den Zielkanal kommt, macht man sich erst bewusst, dass man das jetzt wirklich schafft! Da erlebst du alles nochmals im Schnelldurchlauf. Gedanken über die Amputation, die Zeit im Rehazentrum, Freunde und Familie, die dich unterstützt haben. Ich habe auf den letzten 100m sowohl geweint als auch gejubelt. Da ist viel los, obwohl es nur ein paar Sekunden sind (lächelt).

LAOLA1: Wird die Zieleinfahrt in Rom ähnlich emotional?

Artner: Ich nehme an. Es ist eine andere Geschichte, weil es über mehrere Tage geht, der Ironman fokussierte sich auf einen Tag. Auch stimmungsmäßig, weil wir zwölf Tage aneinandergefesselt sein werden. Ich denke, es gibt einfach viele spannende Momente auf dieser Reise.

Die Artners, Lukas Trimmel, Wolfgang Schenk, Georg Aichinger (+Hans Kurz)

LAOLA1: Warum fiel die Wahl des Zielortes auf die Piazza del Popolo?

Artner: Der Popolo ist ein nördlicher Platz, an dem schon Pilger die riesige Stadt betraten. Wir wollten denselben ersten Eindruck gewinnen. Und der Petersplatz wäre schwer zu organisieren gewesen.

LAOLA1: Wie läuft das Training?

Artner: Wir haben heuer schon bei sehr kühlen Temperaturen mit dem Radtraining begonnen, damit wir viele Kilometer in den Beinen haben. Dazu im Winter viel Lauftraining. Alles im Rahmen unserer zeitlichen Ressourcen. Jetzt hoffen wir, gut gerüstet zu sein.

LAOLA1: Du sprichst dein Team an, wie seid ihr aufgestellt?

Artner: Wir sind alle Hobby-Sportler und beruflich aktiv, müssen das Training irgendwo unterbringen. Wir kommen aber alle aus dem Sportbereich, dem Tennis oder wie meine Frau und ich aus dem Handball. Und wir sind seit vielen Jahren dem Radsport verbunden.

LAOLA1: Ihr radelt in elf Etappen von Wien nach Rom. Welche ist die Königsetappe?

Artner: Sicherlich der vierte Tag, an dem wir drei Pässe vor uns haben. Der Passo Tre Croci und der Passo Giau sind klassische Giroetappen Es wird spannend zu sehen sein, wieviel die Muskeln an so einem knackigen Tag mit vielen Höhenmetern noch hergeben, wenn wir schon viele Kilometer hinter uns haben.

LAOLA1: Giro ist das Stichwort. Deine Fahrt startet am 1. Mai, der Giro d‘Italia am 9. Mai in San Lorenzo al Mare. Zufall?

Artner: (lächelt) Das ist mir bewusst und wir kreuzen auch hier und da die Giro-Spur, sind aber ein bisschen vor dem Giro. Der wird dann in Rom vorbeifahren, wenn wir am zweiten Tag in Rom sind. Wir haben auch vor hinzufahren.

LAOLA1: Danke für das Gespräch.

 

Das Gespräch führte Andreas Gstaltmeyr