news

Kein Leistungs-Plafond in Sicht

Kein Leistungs-Plafond in Sicht

„New World Record!“

Bekommt ein Athlet diese Lettern auf einer Anzeige-Tafel zu sehen, kann er sich sicher sein, gerade Subjekt einer historischen Leistung geworden zu sein. Ein Eintrag in die Sport-Geschichtsbücher oder gar lebenslanger Ruhm ist ihm quasi sicher.

Naja, nicht ganz.

Denn bei den Schwimmern ist das gewaltig zu relativieren. Die am Sonntag zu Ende gehende Langbahn-WM in Kazan hat das neuerlich unter Beweis gestellt. Nicht weniger als zwölf Weltrekorde wurden bislang in das Chlor-Wasser der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tatarstan gefräst.

Gut, das mag zwar kein Vergleich zur Ära der Hightech-Anzüge sein – 2008 fielen 105 Bestmarken, bei der WM 2009 in Rom deren 43 – doch wie ist es möglich, dass die Weltrekord-Entwicklung in ähnlichem Maße wie vor 2008 weitergeht? Gibt es im Schwimmen keinen Leistungsplafond, ähnlich jenem der Leichtathletik? Und wie können Schwimmer ohne Hightech-Anzüge schneller sein als welche mit?

LAOLA1 trägt Gründe für die nicht enden wollende Rekordflut zusammen:
 

1. Die „neuen Hightech-Anzüge“:

Seit 2010 sind die Super-Anzüge zwar verboten, doch die Entwicklung der seither erlaubten Materialien machte gewaltige Fortschritte. Da neben der Textil-Beschaffenheit auch die maximal zu bedeckende Fläche bei Männlein (kurze Hose) und Weiblein (Badeanzug mit kurzer Hose) eingeschränkt wurde, profitierten insbesondere die Frauen von den neuen Erkenntnissen. „Bei den Damen ist das Material schon wieder sehr nahe dem Stand von 2009“, liefert der österreichische Schwimm-Trainer Walter Bär eine mögliche Erklärung dafür ab, warum aktuell insbesondere die Frauen-Weltrekorde eine kurze Halbwertszeit aufweisen.

Die erst 18-jährige Ledecky führt das Freistil-Schwimmen in neue Sphären

Katie Ledecky (400m, 800m, 1.500m Freistil), Sarah Sjöström (zweimal über 100m Delfin) und Katinka Hosszu (200m Lagen) untermauerten diese These, schließlich sorgten sie für das Gros der neuen Einzel-Rekorde. Die Bestmarken in den Mixed-Staffeln gründen indes vielmehr auf ihrer erst kürzlichen Aufnahme ins WM-Programm.

Zurück zu den Anzügen: Neben der hochentwickelten Oberflächenstruktur ist der Schnitt der modernen Teile vielfach sogar besser als jener von denen vor fünf Jahren. Ähnliches gilt für die Kompression, worunter der Druck gemeint ist, der den venösen Blut-Rückfluss verbessert. Dieser lässt den Schwimmer weniger schnell ermüden.

 2. Fortschritte im Training und in der Technik:

Während früher hohe Trainingsumfänge im Fokus standen, wird heutzutage mehr Wert auf die richtige Intensität, Belastungsrhythmus sowie Inhalte gelegt. „Das ist allerdings sehr individuell und von den Strecken abhängig“, wirft Bär ein. Ähnliches gelte auch im technischen Bereich, wo der Trend hin zur Entwicklung persönlicher Stärken geht.

Bestes Beispiel dafür ist Ryan Lochte. Die Delphin-Kicks des US-Amerikaners in der Tauchphase nach jeder Wende gelten als Waffe. Oft kopiert, doch kaum erreicht. Und schlecht kopiert ist letztlich langsamer als herkömmlich. In Kazan präsentierte Lochte eine Neuheit: Er tauchte erstmals in der Rückenlage.
 

3. Fortschritte in der Beckentechnik:

Bereits vor Jahren setzte sich die Erkenntnis durch, dass tiefere Becken zu geringeren Wasser-Verwirbelungen während der Rennen und dadurch zu besseren Zeiten führen. Anstatt der üblichen zwei Meter beträgt die Tiefe bei großen Meisterschaften deshalb nun oft deren drei. Den gleichen Effekt hat das Freilassen der beiden Rand-Bahnen.

Kazan kann mit einem weiteren Plus aufwarten. Da die Schwimm-WM – einem mobilen Pool sei Dank – erstmals in einem Fußball-Stadion stattfindet, werden die Wettkämpfe außerordentlich gut belüftet. Athleten äußerten sich bereits positiv über die Frischluft, die der eigenen Leistungsfähigkeit freilich zuträglich ist.

4. Worüber auch zu sprechen ist: Doping

Vorneweg: Top-Athleten respektive neuen Weltrekordhaltern ohne Anhaltspunkt Leistungsmanipulation zu unterstellen, wäre wohl das Todesurteil jeglichen Passivsports und liegt uns deshalb fern. Zu glauben, dass alles sauber abläuft, wäre aber naiv und schlichtweg falsch, wie diverse Doping-Meldungen belegen. Insbesondere im Gastgeberland. 21 russische Schwimmer sind der unerlaubten Leistungssteigerung überführt worden, seitdem Kazan 2009 den Zuschlag für die WM erhalten hat. Vier davon strampeln durch den WM-Pool. Mit Yuliya Efimova krönte sich sogar eine zur Weltmeisterin (100m Brust).

Um es nicht falsch zu verstehen: Es dopen keinesfalls nur die Russen. John Leonard, Vorsitzender der US-amerikanischen Schwimmtrainer-Vereinigung, meint nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der ARD-Dokumentation „Geheimsache Doping“, welche der Leichtathletik ein massives Doping-Problem attestierte, dass er ähnliche Zustände im Schwimmsport für möglich hält. „Ich glaube, in unserem Sport betrügen heute mehr Leute denn je. Ich sehe, wie unser Sport unter die Räder kommt“, wirft er der FINA in einem Interview mit der „FAZ“ Korruption und mangelnden Einsatz vor.

Darüber hinaus spielten Übeltäter ihre Doping-Sünden zuletzt auf besorgniserregende Art und Weise herunter. Besagte Efimova verglich ihren Betrug an Fans, Kollegen und Sponsoren mit zu schnellem Autofahren. „Dafür gibt es dann ein Ticket. Später darf man dann aber weiterfahren“, bagatellisierte die Russin im „ZDF“.

Efimova sorgt mit ihrem Statement für Kopfschütteln

Sollte tatsächlich so eine Reaktion eines Stars aussehen, der als Rolemodel für viele Nachwuchs-Schwimmer gilt?

Ähnlich Sun Yang, der auf Doping-Fragen nach seinem WM-Titel über 400m Freistil die beleidigte Majestät mimte. „Es gibt keinen Grund, an unseren Leistungen zu zweifeln. Das ist respektlos“, konnte der 23-Jährige nicht verstehen, warum die Medien so ein Thema daraus machten.

Zur Erinnerung: Der Chinese wurde im Frühjahr 2014 erwischt, der chinesische Verband bestrafte zunächst aber nur seinen Arzt, allerdings derartig halbherzig, sodass dieser Sun bei den Asienspielen im folgenden Herbst wieder betreuen konnte. Erst nach drei Titeln dort intervenierte die FINA, woraufhin sich der chinesische Verband gezwungen sah, Sun rückwirkend für lächerliche drei Monate zu sperren. Also genau so, dass die Ergebnisse der Asienspiele nicht korrigiert werden mussten.

Ein (hoffentlich einsames) Beispiel, welches aber nichts Gutes erahnen lässt.