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"Es ist schlimmer, als wir dachten"

Russlands Leichtathleten droht der Ausschluss von den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Wegen der ausufernden Dopingaffäre empfiehlt die Ermittlungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur den Rauswurf Russlands aus dem Weltverband.

Das dreiköpfige Gremium sprach sich am Montag in seinem Bericht überdies dafür aus, fünf russische Athleten sowie fünf Trainer auf Lebenszeit zu sperren.

Außerdem soll dem Kontroll-Labor in Moskau die Akkreditierung entzogen werden und dessen Direktor abgelöst werden. Grigori Rodschenkow gab zu, die Beseitigung von 1.417 Dopingproben angewiesen zu haben.

Forderung "politisch motiviert"

Schwere Vorwürfe betreffen sogar den russischen Sportminister Witali Mutko. Er soll persönlich angeordnet haben, "bestimmte Dopingproben zu manipulieren".

Russland wies die Forderung der WADA nach harten Strafen postwendend als politisch motiviert zurück. Zugleich erklärte Mutko in Moskau, dass die WADA zwar Empfehlungen aussprechen, aber niemanden selbst von Wettbewerben ausschließen könne.

Angesichts der immer größeren Dimension der Verfehlungen und kriminellen Umtriebe in der Welt-Leichtathletik schaltet sich nun auch Interpol ein. Die Weltpolizei kündigte an, die internationalen Untersuchungen zu koordinieren.

"Das sind alarmierende Informationen"

Die IAAF kündigte in einer Stellungnahme an, den Bericht zu prüfen und eine Suspendierung des russischen Mitgliedverbandes für künftige Wettbewerbe zu erwägen.

"Das sind alarmierende Informationen", lautete der Kommentar von IAAF-Präsident Sebastian Coe. Der Brite will mit seinen Vorstandskollegen schnellstmöglich darüber beraten, ob Russland von Wettkämpfen ausgeschlossen werden soll. Die Sanktionsmöglichkeiten reichen laut Coe bis zur vollständigen Suspendierung des russischen Verbandes (ARAF).

"Es ist schlimmer, als wir dachten. Das ist ganz schön verstörend", sagte Richard Pound, der Vorsitzende der WADA-Kommission, auf der Pressekonferenz in einem Nobelhotel am Genfer See. Es sei enttäuschend, die Art und Weise und das ganze Ausmaß der Affäre zu sehen. Man müsse zu der Schlussfolgerung kommen, "dass es wahrscheinlich nur geschehen konnte, weil jeder (in Russland) es wusste und einverstanden war".

"ARD"-Doku brachte Stein ins Rollen

Das Pound-Gremium war eingesetzt worden, um die in einer ARD-Dokumentation erhobenen Vorwürfe über Doping und Korruption im russischen Spitzensport zu untersuchen. In dem Bericht "Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht" waren am 3. Dezember 2014 geheime Aufzeichnungen in Bild, Ton und Schrift mit Hinweisen auf staatlich unterstütztes Doping präsentiert worden.

"Die Kommission gratuliert der ARD zu diesem Bericht, der ein sehr gutes Stück journalistischer Berichterstattung darstellt", lobte Pound. Dem Gremium gehören zudem der Sportrechts-Experte Richard McLaren und der deutsche Kriminalbeamte Günter Younger an.

Der frühere IAAF-Vizepräsident Helmut Digel hält die russische Affäre für einen Wendepunkt, nachdem der Sport sich entscheidend verändern könnte. "Der Doping-Fall des kanadischen Sprinter Ben Johnson 1988 und auch der FIFA-Skandal sind dagegen harmlos", meinte der deutsche Sportsoziologe.

Leichtathletik in der Krise 

Der Schaden für die IAAF sei immens groß. "Die Leichtathletik steckt in einer Glaubwürdigkeitskrise, deren Reichweite noch nicht zu ermessen ist", sagte Digel.

Neben dem Skandal um Russlands Leichtathleten wirft der Korruptionsvorwurf gegen den früheren IAAF-Präsidenten Lamine Diack einen dunklen Schatten über die olympische Kernsportart.

Den 82-Jährigen aus dem Senegal wird Bestechlichkeit und Geldwäsche vorgeworfen. Die französische Justiz hat Anklage gegen ihn erhoben. Diack war von 1999 bis zum August 2015 Chef der IAAF. Die Ethikkommission des Internationalen Olympischen Komitees empfahl am Montag die Suspendierung des IOC-Ehrenmitglieds Diack.

Klug fordert Transparenz 

Völlig verblüfft war Digel angesichts der Korruptionsvorwürfe gegen Diack. "Das hat mich in der Tat überrascht, weil er nicht nur ein derartiges Betrugssystem betrieben hat, sondern auch der Drahtzieher in diesem System gewesen sein soll", sagte Digel.

Weder das Council des Weltverbandes noch die Exekutive habe davon gewusst. "Wir haben uns immer als Verband verstanden, der engagiert gegen Doping kämpft."

Für den österreichischen Sportminister Gerald Klug hat der Sport "nach den Vorwürfen gegen die FIFA mit dem Leichtathletikverband seinen nächsten handfesten Skandal". Es sei höchste Zeit, dass sich der Leichtathletik-Weltverband neu aufstelle und konsequent für Aufklärung und Transparenz sorge, forderte Klug in einer Aussendung.

Der Minister schlug eine Änderung der Doping-Kontrollmechanismen vor. "Der Fall zeigt klar, dass es problematisch ist, wenn internationale Fachverbände Dopingvergehen selbst ahnden. Dopingkontrollen und -sanktionen müssen in allen Sportarten von vollkommen unabhängigen Organisationen durchgeführt werden. Nur so haben wir die Chance, international Missbrauch und Vertuschung zu verhindern."