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Ich kaufe mir die Welt

Ich kaufe mir die Welt

Öl und Gas.

So lautet die Zauberformel, auf die der Weltsport zu reduzieren ist.

Zugegeben ist das eine nicht zulässige Vereinfachung eines viel komplexeren Sachverhalts. Doch im Falle Katars ist es nur schwer, um diesen Eindruck herumzukommen.

Denn wie sonst sei es zu erklären, dass ein Land von der Größe Oberösterreichs praktisch zum Nabel der Sportwelt aufsteigt? Und das, obwohl man selbst fast keine sportliche Tradition aufweisen kann. Dass Katars Handballer bei der am Donnerstag beginnenden Heim-WM den Gegenbeweis antreten, davon ist nicht auszugehen.

Eine lange Liste

Es ist das Jahrzehnt Dohas. Eine Betitelung, die nach einem Blick auf die lange Liste der Großereignisse, die in der rund 500.000 Einwohner großen Hauptstadt des Wüsten-Emirats stattfinden, nicht überzogen erscheint.

Damit nicht genug gastieren jährlich die WTA-, die ATP-Tour sowie die Motorrad-WM und die GP2-Serie in Katar. Hinter den immensen Bemühungen steht Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, der 2013 seinem Vater Abdullah bin Khalifa Al Thani als Staatsoberhaupt folgte und auch in Sachen Sportaffinität in dessen Fußstapfen tritt.

Das bescheidene Ziel der beiden: Doha bis 2030 als „Welthauptstadt des Sports“ zu etablieren. Und das verfolgt der 34-Jährige mit Nachdruck.

Auch die Olympischen Sommerspiele 2020 und die Formel 1 wollte er in sein Reich locken. Für Letzteres war der Köder ein Zehn-Jahres-Vertrag über 500 Millionen Euro. Ein Rekordangebot, bei dem Bernie Ecclestone sich schon gewillt zeigte, Bedenken, wonach drei Grand Prix am Persischen Golf womöglich zu viel sein könnten, über Bord zu werfen. Die Vetos der Veranstalter aus Abu Dhabi und Bahrain machten Al Thani aber einen Strich durch die Königsklassen-Rechnung.

Zumindest vorerst. Wie „autosport.com“ berichtet, wird bereits ein neuerlicher Vorstoß unternommen. Der in die Bemühungen verwickelte Dakar-Pilot und FIA-Vizepräsident Nasser Al-Attiyah hält sogar 2016 als Einstiegsjahr für Katar möglich.

Sport-Events in Katar
2014 Kurzbahn-WM der Schwimmer
2015 Handball-WM
2016 Straßen-WM der Radfahrer
2017 Turn-WM
2019 Leichtathletik-WM
2022 Fußball-WM

Mit der nötigen Überzeugungskraft

Mit der nötigen Überzeugungskraft
Sohnemann Tamim bin Hamad Al Thani

Die Antwort auf die Frage, was Katars Bewerbungen quer durch alle Sportarten so überzeugend machen, liegt angesichts der eben genannten Summen auf der Hand. „Das Einzige, was die haben, ist Geld!“, meint etwa auch der spanische Leichtathletik-Verbandschef Jose Maria Odriozola nach der Vergabe der Leichtathletik-WM 2019.

Um den Gemütszustand des 75-Jährigen besser verstehen zu können, darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Bewerbung Barcelonas für das besagte Event recht kläglich gescheitert war. „Ich bin angepisst. Ich denke nicht daran, dort hinzufahren“, legte Odriozola nach.

Was genau geschehen war? Als die Vergabe in die Entscheidung ging, legte Doha noch einen „Extra-Anreiz“ nach. Einen „Extra-Anreiz“, der sich gewaschen hatte: Ein auf fünf Jahre ausgelegtes Sponsoring-Paket über rund 30 Millionen Dollar sowie das Versprechen, Leichtathletik-Entwicklungsländern zehn Tartanbahnen zukommen zu lassen.

Da war es für die IAAF-Verantwortlichen plötzlich auch nicht mehr so wichtig, dass die WM 2019 in Europa medial zur Nebensache verkommt, da sie aufgrund der katarischen Hitze in den fußballlastigen September verschoben wird, oder dass der Marathon unter Flutlicht bei Nacht gelaufen werden wird.

„Moderne Sklaverei“

Doch der größte Coup ist den beiden Al Thanis freilich mit dem Zuschlag für die Fußball-WM 2022 gelungen. Die Posse rund um die Vergabe und die damit einhergehenden Korruptionsvorwürfe stellen einen Tiefpunkt in der Geschichte der FIFA dar.

Durch die Art und Weise, wie mit dem Untersuchungsbericht des hauseigenen Chefermittlers Michael Garcia samt dessen Einspruch umgegangen wurde, büßte der Weltverband das Gros seiner Glaubwürdigkeit ein. Die Meldungen über die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in Katar tun das Übrige zum Image-Waterloo.

Internationale Medien sprechen von „moderner Sklaverei“. Nach Angaben der nepalesischen Botschaft sind alleine im Jahr 2013 195 nepalesische Arbeitskräfte in Katar bei Unfällen auf Baustellen oder durch Erschöpfung ums Leben gekommen. Andere Nationalitäten wie etwa Pakistaner, Inder oder Sudanesen noch gar nicht miteingerechnet. Insgesamt sind rund 80 Prozent der über zwei Millionen Einwohner Ausländer.

Ohne Staatsbürgerschaft haben diese Menschen auch kein Recht auf eine Gesundheitsversorgung. Die NGO „Freedom House“ bezifferte die politischen Rechte der Bürger in Katar auf einer siebenstufigen Skala (1 bedeutet „größte Freiheit“) mit 6 und die Freiheitsrechte mit 5. Besonders benachteiligt sind Frauen, worin auch der Sport keine Ausnahme darstellt.

Sie ortet die Wurzel des Übels bei den Menschenhändlern, welche die Arbeitskräfte nach Katar bringen. Wobei Staab dies in Folge auch wieder relativiert:

„Für die Leute, die hierher kommen, ist es auch ein Ausweg aus etwas Schlechterem. Ich war in Pakistan, Indien, Bangladesch, Nepal. Das Geld, das die Arbeiter in Katar bekommen, könnten sie dort nicht verdienen. Das schicken sie in die Heimat, um die Familie zu ernähren. Natürlich muss das aber alles menschenwürdig sein.“

Auch die Benachteiligung der Frau kennt Staab aus eigener Erfahrung. Sie sieht darin jedoch Parallelen zu der Situation in Europa Mitte des vorigen Jahrhunderts und will Fortschritte ausgemacht haben.

Im Gegensatz zu Saudi Arabien ist Katars Frauen die Ausübung von Sport gesetzlich erlaubt. Die vorherrschende Meinung besagt jedoch, dass damit der Verlust der Weiblichkeit einhergehe. Viele Eltern verbieten daher ihren Töchtern Sport. Ein nach wie vor heikles Thema also, wie auch der Eklat um Ariane Friedrich verdeutlichte. Die deutsche Hochspringerin wollte 2011 ein Trainingslager in der hypermodernen Aspire Academy abspulen, allerdings wurde der Halleneuropameisterin mitgeteilt, dass sie dort als Frau „nicht erwünscht“ sei.

The best things in life…

Ab Donnerstag öffnet die Handball-WM, für die sich Österreich qualifiziert hat, im Wüsten-Emirat ihre Tore. Mit der Ali Bin Hamad Al Attiya Arena (7.700 Zuschauer), Lusail Multipurpose Halle (15.300) sowie der Duhail Sports Hall (5.500) sind in Windeseile drei Sport-Tempel für die 88 Matches aus dem Wüstensand gestampft worden.

Deren Errichtung stand zwar nicht so sehr im medialen Blickpunkt wie jene der Spielstätten der Fußballer, es ist jedoch zu befürchten, dass die Bedingungen für die Arbeiter ähnlich waren.

Bei all den großartigen Sport-Großereignissen und den hypermodernen Anlagen, die Katar zu bieten hat, bleibt jedoch die Ungewissheit, von wieviel Begeisterung die Veranstaltungen dort getragen werden.

Denn letztlich sind es die sich zwischen Sportlern und Publikum aufschaukelnden Emotionen, die auch Magie dieser Events ausmachen.

Und die kann man nicht kaufen.

In der Falle

Amnesty International zeichnet ein menschenunwürdiges Bild von den Arbeitsbedingungen. Unter oftmals falschen Versprechungen werden die Arbeiter nach Katar gelockt. Die Reisepässe werden ihnen von den Firmen abgenommen. Sie hausen oftmals in verdreckten Wohnungen ohne Zugang zu sauberem Wasser, müssen manchmal Monate auf ihr Gehalt warten, das dann oft nicht dem entspricht, was vereinbart war. Das Recht zu streiken haben sie nicht.

Da sie ohne Dokumente nicht mehr ausreisen können, sitzen sie fest und müssen sich mehr oder weniger der Zwangsarbeit unterwerfen. „Die FIFA soll unter Druck gesetzt werden, damit sie sich nicht aus der Verantwortung stiehlt“, fordert deshalb Amnesty.

Während jährlich hunderte Menschen auf den Sport-Baustellen in Katar ihr Leben lassen, putzen sich Weltverbände, die im Falle der FIFA zig Millionen Euro Gewinn aus dem Event 2022 ziehen, aber einfach ab.

„In jedem Land der Welt kann es passieren, dass es Todesfälle auf Baustellen gibt. Insbesondere auf WM-Baustellen“, wiegelt FIFA-Präsident Joseph Blatter die Kritik ab und nimmt auch die verantwortlichen Unternehmen in die Pflicht, unter denen sich laut dem 78-Jährigen auch europäische befinden.

Katar als Chance?

In eine ähnliche Kerbe schlägt Monika Staab. Die Deutsche ist Trainerin des katarischen Frauenfußball-Nationalteams. „Das ganze System muss überarbeitet werden. Die Firmen müssen ihre Regeln einhalten und die katarische Regierung muss Auflagen erteilen. Ich glaube, sie ist offen dafür“, erklärt Staab in einem Interview mit der „Zeit“.