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"Ich bin bereits ruhiger geworden"

Thomas Bauer steht eigentlich ständig unter Strom. Im positiven Sinne.

Der Torhüter der österreichischen Nationalmannschaft und des deutschen Bundesligisten TBV Lemgo geht gerne ans Limit und ist mit seinem Beruf als Profi-Sportler bei Weitem nicht ausgelastet.

Zweites Standbein als Musiker

Aus diesem Grund verfolgt der gebürtige Wiener seit einiger Zeit ein weiteres ehrgeiziges Ziel. Mit seinem musikalischen Talent möchte er die Charts dieser Welt stürmen.

Erste Erfolge konnte der 28-Jährige mit seiner selbst-geschriebenen Single „We go our Way“ und dem John-Legend-Cover „All of me“ an der Seite der Sängerin Mona T. bereits verbuchen.

Auf ein Album warten die Fans des charismatischen Torhüters aber noch vergeblich.

„Ich will keine halben Sachen machen und die Musik muss sich immer mit dem Handball vereinbaren lassen. Wenn keine Zeit ist, Songs zu schreiben, dann wird es auch kein Album geben. Ich will etwas Ordentliches machen, sonst schiebt man mich gleich auf die Seite“, weiß Bauer, wie schnelllebig die Musikbranche ist.

Handball geht immer vor

Zusätzlich zu seiner Tätigkeit als Torhüter und Musiker, gibt der ehemalige Fivers-Akteur sein handballerisches Wissen auch an die Jugend weiter. Dreimal in der Woche steht er als A-Jugend-Trainer abends in der Halle und fährt am Wochenende auch schon mal ins zwei Stunden entfernte Dortmund, um beim Auswärtsspiel seiner Schützlinge an der Seitenlinie die Kommandos zu geben.

Trotz vieler verschiedener Betätigungsfelder liegt sein Hauptaugenmerk aber definitiv auf seiner hauptberuflichen Aufgabe als Torhüter. So musste er zum Beispiel einen Gig beim Tennisturnier „Gerry Webber Open“ in Halle absagen.

„Dort spielen unter anderem Tim Benzko, Milow und ich wäre auch gebucht worden, doch ich bereite mich mit der Nationalmannschaft auf die WM-Qualifikationsspiele gegen Norwegen vor. Handball hat immer Priorität“, sagt er.

Wenn Bauer von Vorbereitung spricht, bedeutet das nicht nur, mit der Mannschaft zu trainieren und ein paar Bälle zu parieren. Akribisch setzt er sich mit dem kommenden Gegner Norwegen auseinander und analysiert x-fach verschiedene Spielzüge der Skandinavier.

„Wir haben alle norwegischen Würfe der letzten fünf Jahre auf der Festplatte und ich kann mir alles ansehen, egal ob WM, EM oder auch die Auftritte der Spieler im Verein. Ich habe die größte Auswahl, die man sich wünschen kann. Ich könnte stundenlang Videos schauen und muss dann eben für mich den Mittelweg finden, wann es genug ist oder ich noch was brauche.“

Sichtungsverhalten hat sich verändert

Die Strategie und Auslegung seiner Sichtungsarbeit hat sich in den letzten Jahren mit zunehmender Erfahrung verändert. Hat er zu Beginn seiner Karriere die Würfe der Kontrahenten analysiert, richtet er nun vermehrt den Blick auf die Bewegung und die Spielsituation.

„Oft ist es so, dass nach einem bestimmten Laufweg auch ein bestimmter Wurf kommt. Daher muss man die Bewegungen kennen. Es ist nicht nur wichtig, wohin er wirft, sondern auch wann und mit welcher Technik. Wenn ein Ball schärfer kommt, muss man sich eben früher bewegen. Das ist ein sehr komplexes Thema und man muss die Balance finden. Wenn man nur Würfe auswendig lernt, kann man es vielleicht in der Theorie, aber dann handelt man nur nach einem gewissen Schema. Da verlierst du dein Gefühl und kannst in machen Momenten nicht das Richtige tun, das deine individuelle Klasse dann ausmacht“, gibt der Torhüter Einblick in seine Vorbereitung.

Dynamisches Duo mit Marinovic

Durch seinen Ehrgeiz und die professionelle Einstellung stellt er mittlerweile eine ernstzunehmende Konkurrenz zu Einser-Keeper Nikola Marinovic dar, wobei laut Bauer die Rollenverteilung sowieso keine klassische ist, wie man sie aus anderen Teams kennt.

„Ich war nie der klassische zweite Keeper, der nur ein paar Minuten spielt, sondern ein adäquater Ersatz, der auch mal Akzente setzen und die Mannschaft am Leben halten kann. Unter Dagur Sigurdsson bekam ich diese Rolle und wollte mich fortan weiterentwickeln.“

Seinem Verhältnis zu Marinovic hat dieser Konkurrenzgedanke nicht geschadet. Beide Keeper verstehen sich gut und sind sich den Erfolg in keiner Weise neidisch.

„Dadurch hat sich nicht nur ein super Torwart-Gespann für Österreich entwickelt, sondern auch eine Freundschaft. Wir gönnen uns jede Parade und das sieht man auch. Wir sind oft auch Zimmerkollegen bei der Nationalmannschaft und die Zusammenarbeit ist super“, leben die beiden Schlussmänner den Teamgeist.

Bauer lebt in jeder Situation zu 100 Prozent mit

Mitspieler und Publikum mitreißen

Der Umstand, dass Bauer meist als Nummer zwei in ein Spiel geht, macht für ihn in der Vorbereitung keinen Unterschied.

„Man stelle sich vor, Niko knickt beim Aufwärmen um und ich muss von Beginn an rein. Dann beiße ich mir in den Arsch, wenn ich mich vorher nur halbherzig vorbereitet habe. Wenn ich dann gar nicht spiele, habe ich zwar viel Arbeit investiert, aber eben nichts davon benötigt. Es wäre für mich aber viel schlimmer, wenn ich unvorbereitet in ein Spiel gehen würde und im Nachhinein das Gefühl hätte, dass ich das besser hätte machen müssen.“

Aufgrund dieser Einstellung lebt der 28-Jährige bei jedem Spiel auch voll mit. Bauer möchte immer gewinnen und seinen Teil dazu beitragen. Sei es aktiv auf dem Spielfeld oder auf der Bank und in der Kabine.

„Ich versuche alle Mitspieler mitzunehmen. Auch wenn man nicht am Spielfeld steht, muss man 100 Prozent geben und die Mannschaft unterstützen.“

Das erklärt, warum der Nationalspieler oft wie Rumpelstilzchen vor der Bank auf und ab hüpft und immer versucht, das Publikum zum Mitmachen zu animieren.

„Die Heim-EM hat uns gezeigt, wie wichtig die Zuschauer sind. Daher interagiere ich auch immer mit den Fans. Mit einer guten Stimmung ist noch mehr Leistung möglich.“

Etwas ruhiger geworden

Diese Emotionalität hat dem Schlussmann aber nicht immer Sympathien eingebracht. Besonders in seinen ersten Profijahren schoss er mit gewissen Gesten oder Aktionen hin und wieder über das Ziel hinaus. Daran hat Bauer in den letzten Jahren ebenfalls gearbeitet.

„Ich bin schon ruhiger geworden, aber ich bin immer noch sehr impulsiv, handle instinktiv und aus tiefster Überzeugung. Als ich in die Kampfmannschaft gekommen bin, war ich noch sehr aufbrausend und auch respektlos älteren Spielern gegenüber. Das hat sich sicher verändert. Ich habe mich menschlich weiterentwickelt und lass die eine oder andere Aktion weg, wenn sie über die Grenze geht“, fährt Bauer sein Programm ein wenig herunter.

Die Betonung liegt aber auf „ein wenig“, denn eigentlich steht er ständig unter Strom. Im positiven Sinne, versteht sich.


Sebastian Rauch