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"Das will sich keiner mehr nehmen lassen"

Österreichs Handball-Herren könnten Historisches schaffen. Noch nie in der Geschichte erreichte eine rot-weiß-rote Handball-Auswahl eine EM-Endrunde auf sportlichem Wege.

Mit einem Sieg in Sarajevo gegen Bosnien-Herzegowina am Donnerstag und einem Punktgewinn im abschließenden Spiel gegen Russland am Sonntag hätte Österreich das Ticket für das Turnier in Dänemark 2014 in der Tasche.

Obwohl Bosnien aus den ersten vier Spielen noch keinen Punkt ergattern konnte und die Mannen von Teamchef Patrekur Johannesson das Hinspiel in Linz deutlich mit 35:24 gewinnen konnten, wird die vermeintliche Pflichtaufgabe alles andere als ein Spaziergang.

Die ÖHB-Auswahl erwartet in Sarajevo ein Hexenkessel, die Spieler aber auch die Fans wollen Widergutmachung für die blamable Abfuhr im Oktober in der oberösterreichischen Landeshauptstadt.

LAOLA1 hat sich vor dem Duell mit Rückraum-Spieler Roland Schlinger unterhalten und ihn zum bevorstehenden Aufeinandertreffen mit den Südeuropäern befragt. Der Deutschland-Legionär bestritt bisher 141 Einsätze im Nationaltrikot und kann auf die stolze Ausbeute von 534 Toren verweisen.

Der 30-Jährige gehört mittlerweile zu den Routiniers und Führungsspielern im Team und soll in Sarajevo für die nötigen Tore von der Königsposition sorgen. Bereits im ersten Spiel war der bullige Wiener mit sieben Treffern bester Werfer seiner Mannschaft und somit einer der Garanten für den Auftaktsieg in der EM-Qualifikation. Im Interview erklärt Schlinger wieso es auch auswärts mit dem Sieg klappen wird, warum die Mannschaft bei einem Scheitern droht auseinanderzubrechen und was es mit der österreichischen Mentalität auf sich hat.

LAOLA1: In Bosnien erwarten sich alle einen Sieg. Wie schwer ist es mit der Favoritenrolle umzugehen?

Roland Schlinger: Dieses Jahr ist die Ausgangslage noch besser als gegen Deutschland oder Mazedonien, wo wir in den letzten Jahren auch Entscheidungsspiele hatten. In diesem Jahr will sich das einfach keiner mehr nehmen lassen. Wir wollen unbedingt am Donnerstag in Bosnien gewinnen und somit einen weiteren Schritt in Richtung EM machen. Dass wir die Favoritenrolle innehaben, spielt dabei keine Rolle.

LAOLA1: Besteht die Gefahr, dass man das Spiel auf die leichte Schulter nimmt, weil das Hinspiel so deutlich ausgefallen ist?

Schlinger: Nein, in keiner Weise, denn wir wissen, dass es auswärts nie leicht ist, zu gewinnen. In Bosnien weißt du nie, was dich erwartet und gerade diese Mannschaft spielt vor heimischen Publikum um zwei Klassen besser als auswärts. Wir sind gewarnt und es ist sich jeder bewusst, was auf uns zukommt.

LAOLA1: In Bosnien erwartet euch ein Hexenkessel. Keine neue Erfahrung für das Team. Wie weit beeinflusst das gegnerische Publikum in solchen sportbegeisterten Ländern tatsächlich das eigene Spiel?

Schlinger: Wenn ich mich an Mazedonien erinnere, beeinflusst das einen Spieler schon sehr. So etwas haben wir bis dato noch nicht erlebt. In Serbien hingegen hat uns die Stimmung angespornt, auch weil wir mittlerweile als Mannschaft gefestigt sind und um unsere Stärken wissen. Wenn man auswärts mithalten kann, ist es auch schön zu erleben, wie die Stimmung weniger und weniger wird, weil du als Team immer besser wirst. Ich habe das Spiel Bosniens gegen Serbien gesehen und da war die Stimmung, die über den Fernseher rübergekommen ist, nicht so umwerfend. Egal was kommt, wir wollen unbedingt gewinnen, weil wir auch wissen, dass einige Protagonisten aus unserem Team den Verbleib im Nationalteam von einer möglichen Qualifikation abhängig machen.

Schlinger sieht den Teamgeist als Schlüssel

LAOLA1: Sprich, die Mannschaft droht bei einem Scheitern auseinanderzufallen…

Schlinger: Es sind einige, bei denen man nicht weiß, wie es weitergehen wird. Conny Wilczynski, Viktor Szilagyi oder auch Nikola Marinovic, um nur drei zu nennen. Auch hinter Vytas Ziura steht ein Fragezeichen. Sollten wir allerdings die Qualifikation schaffen, müssen sie noch bis zur EM 2014 weiterspielen und somit auch die WM-Qualifikation im Herbst wieder in Angriff nehmen. Es wäre schon top, wenn wir noch ein Jahr in dieser Besetzung spielen könnten. Ich würde es schade finden, wenn die Mannschaft auseinanderbrechen würde.

LAOLA1: Wenn man die Ergebnisse der letzten Jahre betrachtet, wurde das Team in dieser Konstellation EM-Neunter 2010, man fuhr zur WM 2011 nach Schweden und jetzt folgt eventuell die EM-Teilnahme 2014. Kann man von einer goldenen Generation sprechen?

Schlinger: Sollten wir das Ticket lösen, kann man das vielleicht schon sagen. Diese Konstanz über Jahre hinweg zu zeigen, hat in der Vergangenheit noch keine Generation geschafft. Im Vergleich zu den früheren Nationalteams und die Geschichte des österreichischen Handballs betrachtet, wäre dies einmalig. So etwas hat es früher nie gegeben.

LAOLA1: Welche Rolle spielen die Trainer? Lange schien das Team unter Rainer Osman zu stagnieren, dann kam Dagur Sigurdsson und läutete eine neue Ära ein, die Magnus Andersson aber nicht fortführen konnte. Nun unter Patrekur Johannesson scheint es wieder bergauf zu gehen.

Schlinger: Die Trainer spielen natürlich eine große Rolle. Die Mentalität ist bei uns eine andere, als bei vielen anderen Nationen. Die Mischung, die isländische Trainer mitbringen, scheint für uns die beste zu sein, weil sie abschätzen können, wann sie streng sein müssen und wann sie locker lassen können. Wichtig ist auch, dass der Schmäh nicht zu kurz kommt. Diese Mischung macht es aus. Davor war der Trainer (Anm. Osman) zu strikt, es ging nur um Arbeit, Arbeit, Arbeit und der Spaß blieb auf der Strecke, was offensichtlich nicht unser Ding ist. Der andere Coach (Anm. Andersson) war zu locker, was auch der falsche Weg ist. Bei Dagur und Patrekur funktioniert der Mittelweg aber perfekt.

LAOLA1: Du sprichst von der österreichischen Mentalität. Heißt das, dass der Trainer hierzulande nicht nur fachlich gut sein, sondern seine Spieler auch in den Hintern treten und sie motivieren muss?

Schlinger: Genau. Ich denke, dass der österreichische Sportler von Zeit zu Zeit einen Tritt in den Hintern braucht. Es muss die angesprochene Mischung aus Spaß und einer führenden Hand sein.

LAOLA1: Aber eigentlich sind doch alle Spieler im Nationalteam Profis. Woran liegt das, dass man diese noch zusätzlich motivieren muss?

Schlinger: Da geht es ja nicht nur ums Nationalteam, sondern um eine Arbeitseinstellung an sich. Wenn der Schmäh läuft, dann wissen viele eben nicht, wann es Zeit ist, wieder ernst zu sein. Teilweise nimmt man die Dinge zu locker und dann fehlt im Spiel und im Training die Anspannung. Das ist aber bereits in der Jugend so. Wenn der Nachwuchs einen eher lockeren Trainer hat, dann tun sie nichts und wenn ein Schleifer sie trainiert, dann verlieren sie die Lust und hören mit dem Handballspielen auf. Das habe ich schon oft miterlebt und das ist schwieriger als bei anderen Nationen und ein schmaler Grat. Mittlerweile hat sich das aber ein wenig gebessert, das sieht man auch daran, wie viele Akteure ins Ausland gegangen sind.

LAOLA1: Bei einem Auslandswechsel spielt aber wohl auch Geld eine Rolle?

Schlinger: Nein, oft verdient man da nicht viel mehr, sondern muss sich erst einen lukrativen Vertrag erspielen. Das beste Beispiel ist mein Nationalmannschaftskollege Thomas Bauer, der Gehaltseinbußen und große Widrigkeiten auf sich genommen hat, um seinen Weg zu machen. Er wusste, er bleibt bei den Fivers stecken und wechselte zu Korschenbroich in die zweite deutsche Liga. Ganz Österreich hat sich damals gefragt, was er dort will und warum er nicht lieber mit den Fivers um die Meisterschaft in Österreich spielt. Der wird schon mit gesenktem Haupt wieder zurückkommen, hat es überall geheißen und jetzt schaut euch an, was er für einen Weg gemacht hat.

LAOLA1: Er hat bei Lemgo unterschrieben…

Schlinger: Die Leute sind oft zu engstirnig. Er hat mit viel Fleiß und Arbeit bewiesen, was möglich wäre. Bei den jungen Spielern ist oft ein Problem, dass sie zufrieden sind, neben dem Studium noch ein bisschen was mit Handball verdienen und ein gutes Leben führen. Da fehlt es oft an Motivation und Wille.

LAOLA1: Auch im Nationalteam spielen jetzt einige Junge. Wie beurteilst du die nächste Generation, die nachkommt? Fehlt da auch noch der Biss?

Schlinger: Seit Johannesson das Traineramt übernommen hat, haben die jungen Spieler im Nationalteam eine Perspektive. Zuvor ist ja jahrelang kein Einziger nachgekommen. Das stimmt mich optimistisch, denn diese Jungs sind zwar locker drauf, gehen aber ihren Weg. Die zieht es in jungen Jahren bereits nach Deutschland. Allerdings darf man nicht vergessen, dass wir auch einige wirkliche Rohdiamanten haben. Max Hermann wagt den Schritt nach Deutschland, Raul Santos hat den Wechsel schon vollzogen. Da ist auch wichtig fürs Nationalteam und es wird spannend, wie es mit den anderen weitergeht.

LAOLA1: Abschließend nochmals zurück zu Bosnien. Was ist der Schlüssel zum Erfolg?

Schlinger: Die mannschaftliche Geschlossenheit. Fehler passieren immer, aber wenn wir alle miteinander daran glauben, dann schaffen wir das. Wir dürfen uns nicht durch einen Rückstand oder ein paar Fehler aus dem Konzept bringen lassen. Es wird schwierig werden, aber sollten wir als Team auftreten, glaube ich fest an einen Sieg. Jeder muss alles geben, egal ob er zehn, 15 oder nur fünf Minuten auf dem Platz steht.

Das Interview führte Sebastian Rauch