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Der Faktor Szilagyi

Der Faktor Szilagyi

Die Klasse eines Viktor Szilagyi ist unbestritten.

Doch seinen wahren Wert für die Handball-Nationalmannschaft erkennt man erst, wenn er nicht auf dem Feld steht.

Dies war eine jener Erkenntnisse, die sich Betrachtern des 24:28 in der EM-Quali am Sonntag gegen Deutschland förmlich aufdrängten.

Ein Eindruck, der aber keineswegs auf einem Unterschätzen seiner Qualität fußt, sondern vielmehr auf dem allmählichen Verstehen, welche Bedeutung der Leader, der wegen Knie-Problemen passen musste, für die ÖHB-Auswahl gerade in den entscheidenden Momenten hat.

Dies betrifft nicht nur die Tore und Weltklasse-Zuspiele, sondern die Verantwortung sowie die Ruhe, die der 36-Jährige übernimmt bzw. ausstrahlt.

Am Sonntag schien Deutschland genau um diesen Faktor überlegen zu sein. Den Faktor Szilagyi.

Für die „Magic Moments“

Zur Pause lagen die Heimischen vor über 6.000 Fans auf überbautem Eis in Wien-Kagran nur hauchdünn mit 11:12 zurück. „Dabei hätten wir genauso gut führen können“, bemängelte der sechsfache und damit beste österreichische Torschütze, Robert Weber, die eigene Hektik im Angriff. Diese mündete über Gegenstöße in einfache DHB-Tore.

Die Klasse eines Szilagyis hätte dem Team hierbei wesentlich geholfen. Dessen war sich Gäste-Trainer Dagur Sigurdsson bewusst. „Viktor ist für Österreich ein Riesenausfall“, so der Isländer, der während seiner Zeit als ÖHB-Coach die Qualitäten des Regisseurs kennen und schätzen gelernt hatte.

Einer, der für die besonderen Momente sorgt. „Wenn er trifft, bin ich ein besserer Trainer“, schmunzelte der nach der Partie zur Szilagyi-Absenz befragte ÖHB-Teamchef Patrekur Johannesson. „Jeder weiß schon, dass sein Schlagwurf kommt, aber er macht das Ding trotzdem rein.“

Der Funken Esprit

Eine Pausenführung hätte Österreich womöglich genau jene Selbstsicherheit verliehen, die es gebraucht hätte, um am Ende nicht auch das zweite Spiel in der EM-Qualifikation zu verlieren. Alles nur Hätti-wari? Zugegeben: Ja.

Etwas realer war dagegen schon das österreichische Offensivspiel, welches über große Strecken stark am Rückraum hing. Lange Zeit ging kaum etwas über den Kreis und die Flügel.

Auch wenn die Binsen-Weisheit, dass man nur so gut spielen kann, wie es der Gegner zulässt, auch gegen eine deutsche, stets variierende 6:0- bzw. 5:1-Deckung zutrifft, wurde oftmals ein Funken spielerischer Esprit vermisst.

Umbau notwendig

In die Szilagyi-Rolle war Vytas Ziura geschlüpft. Keine einfache Aufgabe, weshalb Johannesson danach ganz besonders darauf bedacht wirkte, die Leistung des Fivers-Akteurs zu loben. „Vytas hat seine Aufgabe auf der Mitte weltklasse gemacht. Er ist ja ein ganz anderer Typ als Viktor.“

Sonst kam dem gebürtigen Litauer im Team mehr die Rolle des „Aggressive Leaders“ in der Verteidigung zu.

Für die Spiele gegen Spanien und Deutschland war ein Umbau notwendig. Ausrechend Zeit stand dafür nicht zur Verfügung, merkte Johannesson an, der aber sogleich nachschob, sich darüber nicht beschweren zu wollen.

Thronfolger gesucht

Spanien hin, Deutschland her – Szilagyi zählt 36 Jahre. Das Karriereende jenes Handballers, der alle europäischen Klub-Bewerbe gewinnen konnte, ist über kurz oder weniger lang absehbar.

Ein Generationswechsel auf der Mitte-Position ist somit unausweichlich. Wobei der 35-jährige Ziura freilich keine Option ist. „Wer weiß, wie lange Viktor und Vytas noch mit dabei sind. Ich hoffe, dass wir bei der WM noch auf sie zählen können“, brachte es Roland Schlinger, der gegen Deutschland mit sechs Fehlwürfen keinen guten Tag erwischte, im LAOLA1-Interview auf den Punkt.

Szilagyi selbst gibt sich bezüglich seines weiteren Karriere-Wegs keinen Illusionen hin und plant deshalb nur noch recht kurzfristig. „Wichtig ist, fit zu sein und fit durch die Saison zu kommen. Wenn es weiterhin so gut läuft, dann bin ich zuversichtlich, eine ganze Weltmeisterschaft zu spielen. Das ist mein großes Ziel. Das aber jetzt zu wissen, ist einfach noch zu früh“, gab der Regisseur jüngst gegenüber „Sky Sports News HD“ zu Protokoll.

Sein logischer Thronfolger scheint im Augenblick Nikola Bilyk zu sein. Dem 17-Jährigen, der bei der diesjährigen U20-Heim-EM Torschützenkönig und MVP wurde, wird großes Talent nachgesagt. Allerdings mangelt es dem Jung-Fiver noch an Erfahrung sowie Durchschlagskraft.

Braucht noch Zeit

Um Ziura gegen Deutschland die eine oder andere Pause zu geben, warf Johannesson Bilyk immer wieder für ein paar Minuten in die Schlacht. Akzente vermochte der Teenager gegen die physisch starke Verteidigung keine zu setzen.

Er wird noch seine Zeit brauchen und diese auch bekommen. Johannesson sollte diese ebenso bekommen. Der nicht für überschnelle Reaktionen bekannte ÖHB hatte erst kürzlich den Vertrag des Übungsleiters bis 2020 verlängert.

Genug Zeit, um den Umbau zu vollziehen und einen neuen entscheidenden Erfolgsfaktor zu finden.

Reinhold Pühringer