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Trainer-Karussell: Trend zu College und Offensive

Trainer-Karussell: Trend zu College und Offensive

Die NFL blickt wieder über den Tellerrand hinaus.

Der Trend, sich auch außerhalb der NFL nach Coaches umzusehen, hatte sich schon in den vergangenen Jahren angedeutet.

Inzwischen ist er endgültig in Mode. Gleich drei Franchises legen ihre Teams in die Hände von Betreuern, die zuletzt außerhalb der stärksten Football-Liga der Welt tätig waren.

Die Philadelphia Eagles werden in Zukunft von Chip Kelly, bisher innovativ an der University of Oregon tätig, gecoacht. Die Buffalo Bills lotsten Syracuse-Head-Coach Doug Marrone zurück in die NFL.

NFL als "Nachmacher-Liga"

Ganz andere Wege gingen die Chicago Bears, die gar in der Canadian Football League fündig wurden. Quarterback-Guru Marc Trestman soll der schwächelnden Offensive Flügel verleihen.

Dass die NFL eine "Nachmacher-Liga" ist, ist kein Geheimnis. Hat eine Franchise ein vermeintliches Erfolgsrezept gefunden, wird es von anderen beinhart kopiert (funktionierte bei einem Team vor einigen Jahren die "Wild Cat", bauten plötzlich viele Teams diese Formation in ihren Gameplan ein).

Mit Pete Carroll (Seattle) und Jim Harbaugh (San Francisco) leisteten in den vergangenen Saisonen zwei College-Coaches hervorragende Arbeit. Auch Greg Schiano ist mit Tampa Bay auf keinen schlechten Weg.

Der offenkundige Gedanke diverser Chefitäten: "Wenn es bei diesen Teams funktioniert, warum nicht auch bei meinem?" Einfluss und Ideen von außen sind wieder erwünscht.

College-Coaches jahrelang unerwünscht

Zuvor spielten College-Coaches im Trainer-Karussell knapp ein Jahrzehnt lang bestenfalls eine untergeordnete Rolle, nachdem selbst Kapazunder wie Nick Saban (Miami Dolphins) oder Steve Spurrier (Washigton Redskins) in der NFL grandios gescheitert waren.

Der einfachste Weg, einen der begehrten Head-Coach-Jobs zu ergattern, war, erfolgreich als Coordinator bei einem anderen Team tätig zu sein.

Diese Strategie funktioniert freilich immer noch. Jedoch schadet es aktuell keinesfalls, auf der offensiven Seite des Balls fachkundig zu sein - nicht unlogisch in einer "Quarterback-Liga", als die sich die NFL derzeit präsentiert.

Schlechte Zeiten für Defense-Experten

Nach einer job-technisch eher defensiv geprägten Trainer-Ära hat jeder nach dieser Saison bestellte Head Coach einen offensiven Background. Schlechte Zeiten für Könner wie den in Chicago gefeuerten Lovie Smith, der ganz klar als Defense-Experte deklariert ist.

Während Jacksonville mit Gus Bradley (bisher Defensive Coordinator in Seattle) gegen den Strom schwimmt, ist mit Arizona nur noch ein Team auf der Suche. Es wäre keine Überraschung, würden sich gerade diese in der Offensive schwachbrüstig aufgestellte Franchise dem Offensiv-Trend anschließen.

Mit Darrell Bevell (Seattle), Bruce Arians (Indianapolis), Todd Haley (Pittsburgh), Jay Gruden (Cincinnati) oder Brian Schottenheimer (St. Louis) sind diverse Offensive Coordinators als potenzielle Head Coaches im Gespräch.

LAOLA1 bietet eine Analyse der bisherigen Trainerbestellungen:

CHIP KELLY (PHILADELPHIA EAGLES): Lange Zeit schien es, als würde Kelly Oregon doch die Treue halten. Am Mittwoch zogen die Eagles nach langem Hin und Her doch ihren Wunschkandidaten an Land und könnten sich damit einen der Hauptpreise am Coaches-Markt gesichert haben. Der 49-Jährige verfügt zwar über den Nachteil, noch nie in irgendeiner Funktion in der NFL gearbeitet zu haben, gilt jedoch als offensives Genie. Teile seiner "Up-Tempo-Offense" haben zum Beispiel Einzug in den Gameplan von New Englands Coaching-Guru Bill Belichick gehalten. Phillys Köder könnte kurioserweise Michael Vick gewesen sein. Der Altstar passt von seiner Anlage her perfekt in Kellys bervorzugte Spielweise - der vermeintliche Mann der Zukunft, Nick Foles, indes eher weniger. Ob die Eagles nun doch Vicks Gehalt von 16 Millionen Dollar für die kommende Saison schlucken und ihn behalten? Mit Running Back LeSean McCoy und den Receivern DeSean Jackson und Jeremy Maclin sollten wichtige Puzzlesteine bereits vorhanden sein, dazu kommt der 4. Pick im heurigen Draft.

MARC TRESTMAN (CHICAGO BEARS): Der Hintergrund dieser Trainer-Bestellung ist klar: Die Defense der Bears funktioniert, nun soll die Offense schlagkräftiger werden. Dass Trestman im Alter von 57 Jahren seine erste Chance als NFL-Head-Coach bekommt, ist dennoch eine Überraschung, verbrachte er doch die vergangenen fünf Saisonen in der CFL bei den Montreal Alouettes. Nichtsdestotrotz könnte es ein genialer Schachzug sein, denn Trestman gilt als Quarterback-Guru wie er im Buche steht. Als Offensive Coordinator der Oakland Raiders coachte er Rich Gannon 2002 zu einer MVP-Saison, Mitte der 90er vertrauten ihm die San Francisco 49ers ihr Kaliber Steve Young an. Dieser ist mittlerweile ESPN-Experte und begeistert von dieser Bestellung: "Das könnte für Jay Cutler die Chance seines Lebens sein." Eben jener Cutler spielte bislang gut für die Bears, aber selten brillant. Ob Trestman seinen Neo-Schützling auf die nächste Stufe heben kann, wird eine der spannendsten Fragen der kommenden Saison.

MIKE MCCOY (SAN DIEGO CHARGERS): Für den eher konservativen Weg, einen Offensive Coordinator zum Head Coach zu bestimmen, entschied sich San Diego. Die Chargers lotsten McCoy vom AFC-West-Rivalen Denver nach Südkalifornien. Bei den Broncos leistete der 40-Jährige in dieser Saison mit Peyton Manning gute Arbeit, bewies aber auch schon im Jahr davor mit Tim Tebow genügend Flexibilität, sein Offensiv-System dessen natürlichen Limits anzupassen. Ergo galt McCoy als logischer Kandidat für eine Beförderung, war bei einigen Teams im Gespräch. Dass er sich für die Chargers entschied, verwundert wenig. Dort verfügt er - abseits gehobener Lebensqualität - mit Philip Rivers bereits über einen Franchise-Quarterback. Diesen gilt es jedoch zurück in die Spur zu bekommen - 47 Turnover in den vergangenen beiden Jahren sind viel zu viel.

GUS BRADLEY (JACKSONVILLE JAGUARS): Für das Team aus Florida gab es einige Optionen - zum Beispiel San Franciscos Offensive Coordinator Greg Roman, der ein enger Freund und einstiger College-Zimmergenosse von General Manager David Caldwell ist. Dieser entschied sich jedoch für Bradley und schwimmt somit gegen den Offensiv-Strom. Der 46-Jährige fungierte zuletzt als Defensive Coordinator Seattles und leistete im Nordwesten der USA hervorragende Arbeit. Die Defense der Seahawks zählte in dieser Saison zu den aggressivsten und effizientesten der Liga und war die Basis für den Erfolgslauf. Sein Talent berechtigt Bradley fraglos für eine Chance als Head Coach. In Jacksonville wartet nach nur zwei Saison-Siegen jede Menge Aufbauarbeit, wobei Neo-Owner Shad Khan fest entschlossen ist, die Franchise zum Erfolg zu führen.

ROB CHUDZINSKI (CLEVELAND BROWNS): Die Browns gingen im Tauziehen um Chip Kelly leer aus. Ihr Plan B mag vielleicht ein überraschender sein, ist jedoch keineswegs unspannend. Mit Chudzinski übernimmt nicht nur ein ausgewiesener Offensiv-Fachmann (zuletzt zwei Jahre OC von Cam Newton in Carolina) die notorische Loser-Franchise, sondern auch jemand, dem dieser Job eine echte Herzensangelegenheit ist. Der 44-Jährige wuchs nämlich in Ohio als glühender Fans der Browns auf. Cleveland hinterließ zwar in den vergangenen Jahren keinen konkurrenzfähigen Eindruck, hat aber ein junges Team aufgebaut, dem durchaus der nächste Schritt gelingen könnte.

DOUG MARRONE (BUFFALO BILLS): Als ehemaliger Offensive Coordinator der New Orleans Saints verfügt der 48-Jährige über NFL-Erfahrung. Da er zuletzt in Syracuse quasi in der Nachbarschaft tätig war, sind die Begebenheiten in Buffalo kein komplettes Neuland für ihn. Marrone lotste zahlreiche seiner College-Assistenten mit zu den Bills und legt die Defense in die Hände des bisherigen Defensive Coordinators von AFC-East-Rivale New York Jets, Mike Pettine, der aus der nominell guten Verteidigung eine schlagkräftige Einheit formen soll. Ähnliches gilt für Marrone und die Offense. Talent ist vorhanden. Es gilt jedoch die Frage zu beantworten, ob Ryan Fitzpatrick wirklich die ideale QB-Lösung ist.

ANDY REID (KANSAS CITY CHIEFS): Das schwächste Team der vergangenen Saison verschwendete erst gar nicht viel Zeit und heuerte so schnell wie möglich das eben erst in Philadelphia nach 14 Saisonen gefeuerte Schwergewicht an. Dem 54-Jährigen ist durchaus zuzutrauen, den Turnaround zu schaffen, verfügt er doch über einen talentierteren Roster als es die Bilanz von zwei Siegen und 14 Niederlagen aussagt. Immerhin fünf Chiefs schafften es trotz dieser Horror-Saison in die Pro Bowl. Der Erfolg steht und fällt mit der Quarterback-Entscheidung - in Philly war Reid auf dieser Position immer gut bedient. Die Ära von Matt Cassel ist wohl zu Ende. Dass Kansas City seinen Nummer-1-Draft-Pick automatisch für einen Spielmacher verwendet, ist ob fehlender hochqualitativer Kandidaten jedoch alles andere als fix.

Peter Altmann