news

"Wir werden in Österreich ein Fußball-Hoch erleben"

Die Wintermonate 2011/12 waren für Werner Gregoritsch turbulent.

Die sportliche Talfahrt mit Kapfenberg mitsamt anschließender Entlassung Ende November, der Krebstod seiner Schwester und die überraschende Bestellung zum U-21-Nationaltrainer – das alles binnen zwei Monaten.

Hundert Tage nachdem er Andreas Herzogs Nachfolge antrat, zog „Gregerl“ nun ein erstes Resümee. Er spricht über Lehrstunden bei Arsene Wenger, Trainer mit Ablaufdatum, den Krebstod seiner Schwester sowie Traktoren und Ferraris.

WERNER GREGORITSCH ÜBER…

…SEINEN NEUEN JOB:

Für mich als großen Patrioten ist es eine Auszeichnung, die U 21 zu trainieren. Es ist eine völlig andere Arbeit als Vereinstrainer. Ich habe früher ständig Mannschaften, die am Abgrund waren, als Feuerwehrmann übernommen. Das war natürlich viel emotionaler und ich habe viel mehr versucht, die Spieler zu korrigieren.

…DIE ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN TRAINERN:

Als Teamtrainer ist man von den Vereinstrainern abhängig. Man sieht, wie die Kollegen hinter dem U-21-Team stehen, auch wenn es früher Dispute gegeben hat. Dass sich die Trainer untereinander so verstehen und einen Respekt voreinander haben, ist unter Vereinstrainern nicht immer so.

…DIE QUALITÄT DER U 21:

Ich habe noch nie so eine gute Mannschaft gehabt wie jetzt. Wir haben ein Riesen-Potenzial an Spielern in Österreich. Die muss man reifen lassen.

…DIE TRAININGSARBEIT IN DEN VEREINEN:

Ich habe selten junge Spieler gesehen, die so eine Disziplin haben. Sie wird in den Vereinen vorgelebt. Einem Florian Kainz beispielsweise musste ich nicht sagen, dass er in der Defensive doppeln soll. Der steht im Defensivbereich von alleine genau richtig. Da bin ich den Trainern dankbar, egal ob Sturm, Innsbruck, Rapid oder Austria.

…SEINE PERSON, SEINE STÄRKEN UND ZUKUNFTSPLÄNE:

Ich bin als ehrgeiziger und emotionaler Mensch bekannt. Die Werte haben sich bei mir aber in den letzten zwei Jahren verschoben. Es geht mir nicht darum, die U 21 als Sprungbrett zu einem Top-Klub zu benutzen. Es ist vielmehr eine Freude für mich, meine Fachkompetenz, mein Wissen und meine Fähigkeit, junge Spieler zu begeistern, zu nutzen. So lange ich im Fußballgeschäft gebraucht werde, den Leuten eine Freude machen und sie besser machen kann, bleibe ich Trainer.

...PERSÖNLICHE ERFOLGE:

Rene Aufhauser würde es im Fußball ohne mich nicht geben. Ich habe auch Christian Fuchs oder Christoph Leitgeb am Anfang ihrer Karriere geholfen. Mit jungen Spielern komme ich zu 80 Prozent sehr gut aus, aber es gibt natürlich auch da Ausnahmen.

…SCHICKSALSSCHLÄGE:

Meine Schwester, die mein Leben von klein weg mitbestimmt hat, ist kurz vor Weihnachten mit 48 Jahren an Krebs gestorben. Ich habe auch meine Mutter an den Krebs verloren, als ich 22 war. Da hat es zu Weihnachten natürlich einen Knick gemacht. Ich will nicht mehr nur auf Konfrontation gehen, ich will den Erfolg nicht über alles stellen. Ich war vor 15 Jahren selbst schwer krank und habe Krebs gehabt. Ich gehe immer noch zu Selbsthilfegruppen, um die Menschen dort zu motivieren. Fußball war immer meine Therapie.

…ÖSTERREICHS FUSSBALL-ZUKUNFT UND EIN MÖGLICHES PROBLEM:

Wir werden in den nächsten zehn bis 15 Jahren in Österreich ein Fußball-Hoch erleben. Der 93er-Jahrgang spielt großteils schon im Ausland. Als ich mit ausländischen Funktionären über meinen Sohn sprach, sagten alle, er hat ein großes Potenzial. Er gilt als eines der größten Talente in Europa. Aber sie sagten auch, dass er so bald wie möglich ins Ausland muss, um ihm die österreichische Mentalität auszutreiben. Die österreichische Mentalität bedeutet, dass Spieler bei einem Erfolgserlebnis zu schnell satt sind, oder nicht bereit sind, im Training immer 100 Prozent zu geben. In Deutschland, wo mehr Klasse ist, geht es im Training zu wie im Match.

…MARCEL KOLLER UND DIE ZUSAMMENARBEIT MIT IHM:

Ich habe Marcel Koller nie kritisiert, auch wenn ich den österreichischen Weg auch gut gefunden hätte. Koller versucht, sehr professionell und akribisch zu arbeiten. Der Nachwuchsfußball hat für ihn einen sehr hohen Stellenwert, er versucht, alle Trainer einzubinden. Wir nehmen aufeinander Rücksicht und haben ausgemacht, dass sich das U-21-Team die A-Nationalmannschaft zum Vorbild nimmt.

…SEINEN RUF ALS TRAINER:

Mir wird nachgesagt, nur Diktator und Peitschenknaller zu sein. Das stimmt aber nicht, das geht heute gar nicht mehr. Ich bin auch bereit, Ziele gemeinsam zu formulieren.

…TAKTISCHE FORTBILDUNG UND PARALLELEN ZWISCHEN KAPFENBERG UND ARSENAL:

Ich war zwei Mal eine Woche bei Arsene Wenger und habe stundenlang mit ihm gesprochen. Ich habe alle Trainingseinheiten verfolgt. Wenn ich heute sage, wir haben bei Kapfenberg wie Arsenal trainiert, glaubt man, ich wäre deppert. Weil man das ja nicht sieht. Weil die Leute da einen Traktor haben und dort einen Ferrari.

...TAKTISCHE HILFEN AUS ANDEREN SPORTARTEN:

Für mich ist beispielsweise Don Shula, einer der berühmtesten NFL-Coaches, ein Guru. Oder wenn man im Eishockey das schnelle Umschalten sieht, kann man das auch auf Fußball umlegen. Man analysiert, wie das funktioniert und wie man es umsetzen kann.

…SCOUTING-ARBEIT ALS U-21-TEAMCHEF:

Ich bin jedes Wochenende an zwei Spielorten, oft noch bei einem dritten in der Regionalliga. Es spielen oft rund 25 U-21-Spieler als Stammspieler in der Bundesliga. In der ersten Liga sind es weitere 40. Du kannst als Trainer nicht mehr alles bewältigen, ich habe ein sehr gutes Trainerteam zusammengestellt, das eine sehr große Hilfe für mich ist. Ich habe auch vor, zum Beispiel den VfB Stuttgart, Bayern oder Hannover zu besuchen. Aber wenn ich ständig unterwegs bin, sprenge ich das ÖFB-Budget.

…DIE ROLLE DER TRAINER:

Das Trainergeschäft wird immer schwieriger. Trainer haben in den letzten Jahren einen neuen Stellenwert bekommen. Sie sind jetzt der Mistkübel für die Leistungen aller Beteiligten, auch der Spieler. Der Trainer ist schuld, wenn der Spieler aus zwei Metern drüber schießt. Wenn heute ein Verein in zwei Jahren drei Trainer holt, weiß man, dass der Trainer ein Ablaufdatum hat. Die Vereine, die längerfristige Lösungen hatten und eher die Spieler als die Trainer gewechselt haben, haben sich besser positioniert.

…DAS PROBLEM DER BUNDESLIGA:

Für die Trainer steht im Vordergrund, dass die Null steht. Wenn ein Coach nicht in drei, vier Monaten die Leistung bringt, die verlangt wird, ist er weg. Da will man keine Niederlagen riskieren.