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"Wir müssen nicht, aber wir wollen und können"

Tag eins des ÖFB-Camps im Hinblick auf die ausstehenden EM-Qualifikations-Spiele in Montenegro und gegen Liechtenstein ist gleichzeitig das erste Wiedersehen seit dem großen Triumph von Stockholm.

Der Betreuerstab und ein Teil der Mannschaft flogen damals unmittelbar nach dem Match zurück nach Wien, der andere Teil der ÖFB-Elf stieß in der schwedischen Hauptstadt auf die geschaffte EURO-Teilnahme an.

Viel Zeit, den Erfolg auszukosten, blieb also nicht. Gemeinsam konnte man das Erreichen des Ziels bis dato gar nicht zelebrieren.

„Natürlich wäre es schön, wenn man das eine oder andere noch mehr auskosten könnte“, bedauert Julian Baumgartlinger, „aber ich glaube, wir haben es in Schweden im Stadion ganz gut gelöst. Es war wirklich toll nach dem Spiel. Dort konnten wir es alle gemeinsam zusammen mit dem Staff und dem Trainer-Team genießen.“

„Gab auch in Mainz viele Gratulationen“

Die Momente des Jubels in der Friends Arena sind wohl dem ganzen Fußball-Land noch in allerbester Erinnerung, auch dem Mainz-Legionär: „Man ist schon noch euphorisiert. Es war ein tolles Erlebnis.“

Ein Erlebnis, das auch über die Landesgrenzen hinweg für Aufsehen sorgte. „Es gab auch in Mainz viele Gratulationen. Ich glaube, auch in der Bundesliga hat fast jeder registriert, dass es etwas Besonderes war, was wir geleistet haben“, erzählt Baumgartlinger.

Der 27-Jährige bestreitet am Freitag in Podgorica bereits sein 40. Länderspiel. Es gab tendenziell schon stressigere Ausgangspositionen als vor diesem ÖFB-Doppel, da Österreich bereits als Gruppensieger feststeht. Auf die leichte Schulter will man die beiden verbleibenden Spiele jedoch keinesfalls nehmen.

Nicht das Zünglein an der Waage

„Genießen kann man es nur, wenn man erfolgreich ist“, verdeutlicht Baumgartlinger, dass man sich die Party im Happel-Stadion nach dem Match gegen Liechtenstein nicht verderben lassen will.

„Ich denke schon, dass es eine andere Situation ist, wenn man weiß, dass man ein großes Zwischenziel erreicht hat. Aber ich glaube, dass man dann eher Motivation und Vorfreude auf das Spiel empfinden kann. Wir müssen nicht, aber wir wollen und können.“

Auch wenn diesmal kein riesiger Druck auf den ÖFB-Kickern lastet, gibt es keinen Grund nachzulassen: "Der Siegeswille ist ungebrochen."

Für Montenegro geht es am Freitag noch darum, die Chance auf ein EM-Ticket zu wahren. „Da wollen wir nicht das Zünglein an der Waage sein, sondern unseren Weg weitergehen und Punkte holen“, betont der gebürtige Salzburger, der auch die Absicherung von Topf zwei bei der Auslosung für die EM-Endrunde als wichtiges Vorhaben nennt.

„Es ist beeindruckend, was wir ausgelöst haben“

Zu guter Letzt geht es auch darum, die eigene Form zu festigen oder gar auszubauen, erst gar keine Verunsicherung aufkommen zu lassen. 48.000 Zuschauer an einem Montagabend bei einem Heimspiel gegen Liechtenstein – ein derartiges Ambiente wäre bei Baumgartlingers Anfängen im Nationalteam wohl nur schwer vorstellbar gewesen.

„Es ist beeindruckend, was wir erreicht und ausgelöst haben. Es ist aber auch ein Ansporn, das weiterhin aufrecht zu erhalten“, verdeutlicht der defensive Mittelfeldspieler, dass man die Leistungen aus der jüngeren Vergangenheit immer wieder bestätigen müsse.

Die Entwicklung Baumgartlingers in den vergangenen Jahren kann stellvertretend für jene von diversen Kadermitgliedern angeführt werden.

Schon im Dress von Austria Wien war sein strategisches Talent zu beobachten. Der Transfer in die deutsche Bundesliga zu Mainz 05 war dennoch entscheidend für die weiteren Leistungssprünge.

Der wichtige Schritt nach Deutschland

Da im Nachwuchs von 1860 München ausgebildet, war Deutschland freilich kein unbekanntes Terrain. Die Umstellung sei nach dem Wechsel in die Karnevalsstadt im Sommer 2011 dennoch „eine riesige“ gewesen, auch weil mit Thomas Tuchel damals bei Mainz „ein sehr spezieller Trainer“ im Amt und Würden war.

Aber nicht nur deswegen: „Bei der Austria habe ich in zwei Jahren rund 90 Pflichtspiele gemacht. Da gab es keine Diskussionen, ob ich spiele oder nicht. In Mainz musste ich mich vom ersten Tag an beweisen, weil wir einfach fünf oder sechs zentrale Mittelfeldspieler auf fast demselben Niveau hatten. Da hieß es zunächst einmal, sich im Training durchzusetzen. Dann habe ich meine ersten Spiele gemacht und mich beweisen müssen. Es soll nicht despektierlich gegenüber Österreich sein, aber der Weg zum Stammspieler war einfach so viel schwieriger. Bei Mainz gibt es andere finanzielle Möglichkeiten. Für mich ist es ganz einfach härter geworden, insofern ist ein Unterschied da gewesen.“

Inzwischen führt Baumgartlinger seinen Klub als Kapitän auf das Feld und ist auch im Nationalteam zum Stammspieler und zur Führungskraft gereift: „Ich habe die Entwicklung und den Schritt nach Mainz gebraucht, damit dann auch in der Nationalmannschaft der nächste Schritt folgen konnte.“

Die fehlende Torgefahr

Abgeschlossen ist diese Entwicklung noch längst nicht. Man darf davon ausgehen, dass der 27-Jährige auch den „dunklen Fleck“ in seiner fußballerischen Vita noch ausmerzen möchte. Fragen zu seiner nur in Ansätzen vorhandenen Torgefahr erkennt Baumgartlinger inzwischen bereits im Ansatz und quittiert sie mit einem Schmunzeln.

Die Anspielungen, dass aus der Reihe hinter den Offensivkräften im ÖFB-Team teilweise zu wenig Torgefahr ausginge, seien jedoch gut und wichtig: „Denn das ist ja auch unser Anspruch. Wir sind alle ehrgeizig und wissen, dass wir spielerisch stark und variabel sind, teilweise auch hohe Balleroberungen im gegnerischen Bereich haben, und man dann auch als defensiver Mittelfeldspieler noch torgefährlicher werden kann. Das sind Kleinigkeiten, die mittelfristig noch zu verbessern sind.“

Teamchef Marcel Koller wünscht sich ebenfalls, dass mehr Spieler Torgefahr ausstrahlen: „Das ist natürlich wichtig, weil du dann viel weniger ausrechenbar bist.“

Auch wenn der Weitschuss in Tschechien im Juni 2014 nach wie vor das einzige Länderspiel-Tor von Baumgartlinger ist, zeigt sich Koller mit dem Bewusstsein seines Schützlings über diese Problemzone zufrieden:

„In Russland hatte Jules eine super Möglichkeit, wo er einen Sprint über 60 Meter hatte und das Quäntchen Glück gefehlt hat, oder vielleicht auch die Aggressivität, die du brauchst, um dieses Tor zu erzielen. Aber er hat in diesen vier Jahren einen großen Schritt nach vor gemacht, dass ihm bewusst ist, dass er auch Tore schießen kann. Ich bin überzeugt, dass das bald folgen wird.“

Ein würdiger Abschluss

Vielleicht schon in Montenegro oder gegen Liechtenstein. Am kommenden Montag ist zumindest gewährleistet, dass sich die Mannschaft nicht bald nach Schlusspfiff trennen muss, sondern gemeinsam das Erreichte zelebrieren darf.

An der Vorfreude scheitert es bei Baumgartlinger definitiv nicht: „Im Herbst geht es ohnehin Schlag auf Schlag, die Termine folgen relativ eng aufeinander. Am Montag, wenn wir die Quali beschließen, ist die Möglichkeit da, sich schön zu verabschieden. Deswegen werden wir auf unsere Kosten kommen.“

Peter Altmann