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"Laufe nicht wie ein Hampelmann durch die Gegend"

Marcel Koller spricht gerne vom „Ernstkampf“.

Ein hierzulande nicht so geläufiger Begriff, wohl aus dem Schweizerdeutsch importiert.

Wofür es steht, liegt auf der Hand: Schluss mit Testmatches in aller Freundschaft. Ab Dienstag geht es für das österreichische Nationalteam in Pflichtspielen „um die Wurst“ – übrigens auch eine Floskel, die der ÖFB-Teamchef nur allzu gerne verwendet.

Ab dem Beginn der WM-Qualifikation mit dem Schlager gegen Deutschland steht das „System Koller“ endgültig auf dem Prüfstand, nachdem es den bisherigen Bewährungsproben souverän standgehalten hat.

„Ein Spiel, bei dem man feuchte Hände kriegt“

Allen Unkenrufen nach seiner Bestellung zum Trotz hat sich der 51-Jährige in Fußball-Österreich schnell Respekt erarbeitet, und damit gleichzeitig auch jenen vor seiner Elf gesteigert.

Und dies auf denkbar unspektakuläre, aber umso effizientere Art und Weise: Durch eine klare Philosophie, dem konsequenten Verfolgen dieses Wegs, großen persönlichen Einsatz, eine gewisse Unaufgeregtheit, unverbindlichen Charme und die nötige Kompromisslosigkeit.

Man könnte auch von einer professionellen Gelassenheit sprechen. „Ich muss nicht wie ein Hampelmann durch die Gegend laufen. Ich bin auch schon länger dabei“, entgegnet Koller der Frage, wie sehr er dem Kräftemessen gegen Deutschland entgegenfiebern würde.

Im selben Atemzug betont er: „Ich freue mich, dass es endlich losgeht. Denn das sind die Spiele, bei denen man feuchte Hände kriegt. Das hat aber nichts mit Nervosität zu tun, das liegt an der Anspannung und Vorfreude. Das Stadion wird voll sein, was ich persönlich noch nicht erlebt habe, und wir müssen das Unsere dazu beitragen, damit die Unterstützung der Fans da ist. Alle Österreicher werden sich sicher heiser schreien.“

Der realistische Mittelweg

Koller ist ein Meister darin, Hoffnung zu schüren, diese gleichzeitig wieder kräftig zu bremsen und mit dem notwendigen Schuss Realismus zu versehen – ein Mittelweg, den man im Land von Himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt nur bedingt kennt.

Auch dem Teamchef ist aufgefallen, dass die Erwartungshaltung von Medien und Fans in den vergangenen Tagen wieder nahe an die Schmerzgrenze gestiegen ist, in der Hoffnung auf ein „Wunder“ nicht mehr allerorts ein realistischer Blick auf die wahren Kräfteverhältnisse geübt wird.

„Diese Euphorie und dieses Schüren kann man bei so einem wichtigen Spiel drumherum immer erleben“, verdeutlicht der Eidgenosse, „von Trainerseite ist aber eine gewisse Gelassenheit wichtig.“

Ein gesundes Selbstbewusstsein ja, ein klares Nein zu populistischem Ballyhoo. „Der Trainer lässt erst gar nicht aufkommen, dass wir großartig rausposaunen, dass wir gewinnen“, erklärt etwa Kapitän Christian Fuchs. Hinweise auf die gestiegene Qualität der Mannschaft sind indes nicht verboten, wenn nicht gar erwünscht.

Kampfansagen? Fehlanzeige!

Bei aller spürbaren Vorfreude, bei allem Optimismus: Zu weit aus dem Fenster lehnte sich im Hinblick auf das Deutschland-Spiel im Laufe der Vorbereitungswoche kein ÖFB-Spieler. Kampfansagen? Fehlanzeige!

Der Grundtenor, möglicherweise auch die offizielle Sprachregelung, lautete in etwa so: „Wir sind bereit, es ist etwas drinnen, aber wir kennen die Kräfteverhältnisse und sind natürlich Außenseiter – bei einem Sieg ist in der Qualifikation noch nichts gewonnen und bei einer Niederlage noch nichts verloren.“

Das trifft den Nagel auch ungefähr auf den Kopf. Wie schnell nach einer Sensation die glänzende Ausgangsposition wieder verspielt sein kann, mussten die ÖFB-Kicker 2008 am eigenen Leib erfahren – dem 3:1 gegen Frankreich zum Auftakt folgten ein 0:2 in Litauen und ein 1:1 auf den Färöer.

Der Umgang mit der österreichischen Mentalität

Koller kennt die österreichische Mentalität inzwischen besser und baut dementsprechend seit Wochen beiden Szenarien – ob Erfolg oder Misserfolg – gebetsmühlenartig vor.

„Auch wenn wir Punkte holen, geht es weiter. Wenn ich die nächsten drei Wochen durch die Gegend gehe und mich abfeiern lasse, werden wir gegen Kasachstan große Probleme bekommen. Deswegen wird es wichtig sein, es richtig einzuordnen. Wenn es Punkte gibt, darf man sich unmittelbar danach freuen, aber dann geht es auch schon wieder weiter. Man muss dranbleiben.“

Möglicherweise ein unösterreichischer Ansatz, sich im Erfolgsfall nicht zurückzulehnen und auszuruhen. Gleichzeitig fordert Koller stets – möglicherweise ebenso unösterreichisch, im Misserfolgsfall die Ruhe zu bewahren und nicht alles über Bord zu werfen:

„Auf dem Weg unserer Entwicklung werden Nackenschläge kommen, das ist ganz normal. Wir können nicht davon ausgehen, dass es immer mit Jubel, Trubel, Heiterkeit weitergehen wird. Dementsprechend werden wir auch nicht alles auf den Kopf stellen, wenn dies mal der Fall sein sollte. Wir gehen unseren Weg weiter, schauen vielleicht einmal ein bisschen nach links oder rechts, aber das Ziel, wo wir hinkommen wollen, ist im Kopf drinnen, und das werden wir konsequent verfolgen.“

Das Feilen an Details

An diesem Ziel feilt der Schweizer gemeinsam mit seinem Trainerstab akribisch, indem er auf die Politik der kleinen Schritte setzt, nicht in einer Hauruck-Aktion alle Baustellen auf einmal beseitigen will.

Stand in der Anfangsphase seiner Amtszeit vor allem die Verfestigung seiner defensiven Grundprinzipien auf dem Programm, wurde zuletzt vermehrt an der offensiven Idee gearbeitet. Ersteres funktionierte in den vergangenen Länderspielen bereits beachtlich, Zweiteres wird man vielleicht schon gegen Deutschland beobachten können, soll aber wohl vor allem beim Kasachstan-Doppel im Oktober zum Tragen kommen.

Koller ist es zudem gelungen, binnen kurzer Zeit ein stabiles Kadergerüst zu bilden. Sein Stamm ist längst klar ersichtlich. Mit diesem wird nun an der Feinjustierung gearbeitet. Schon in den ersten Testspielen war die Handschrift des Übungsleiters klar zu erkennen. Auch gegen die DFB-Elf könnten Kleinigkeiten entscheidend sein.

Koller: „Zwischen beiden Mannschaften gibt es in dem Sinne keine großen Geheimnisse – vielleicht ganz kleine Details, die in einem Spiel entscheidend sein können.“

Löw: „Keine Zufallsaktionen mehr“

Details, auf die in der jüngeren ÖFB-Vergangenheit unter Umständen weniger Wert gelegt wurde. Dass in taktischer Hinsicht ein Schritt nach vorne gelungen ist, deutet auch der deutsche Teamchef Joachim Löw an, wenn er über sein Gegenüber spricht:

„Marcel Koller ist ein Trainer, den man aus der deutschen Bundesliga kennt. Seine Mannschaften sind immer gut organisiert und in der Defensive schwer auszuspielen. Die österreichische Grundordnung ist in den letzten Spielen besser gewesen. In der Offensive herrscht mehr Direktheit zum Tor, die Mannschaft ist in der Lage schneller umzuschalten. Man sieht nicht mehr jene Zufallsaktionen nach vorne, die man in den letzten Jahren vielleicht gesehen hat, sondern gutes Aufbauspiel aus der Abwehr heraus, gute Pressingaktionen. Diesen Mut nach vorne zu gehen, hat man 2008 und 2011 vielleicht noch nicht so gesehen.“

In diesen beiden Jahren forderte das ÖFB-Team den „Lieblingsnachbarn“ jeweils doppelt, einmal unter Teamchef Josef Hickersberger, einmal unter Koller-Vorgänger Didi Constantini.

„Nicht nur 90 Minuten konsequent sein“

Unter Anleitung des Tirolers wäre im Juni 2011 im bis dato letzten Heimspiel gegen Deutschland beinahe ein Remis gelungen, aber eben nur beinahe – kurz vor dem Abpfiff schoss Mario Gomez den Siegtreffer zum 2:1.

Deshalb appelliert Koller wohl nicht zufällig daran, die Konzentration bis zum allerletzten Moment hochzuhalten: „Gegen Deutschland muss man konsequent sein, und das nicht nur zehn oder 90 Minuten lang, sondern bis zum Abpfiff.“

Im „Ernstkampf“ kommt es eben auf jedes noch so kleine Detail an.

Peter Altmann