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"El Clasico" als Duell der Sportzeitungen

Entweder man ist für Real Madrid oder man ist für den FC Barcelona.

Ein Mittelding existiert im Regelfall nicht.

So wie es den meisten Fußballfans im Vorfeld von „El Clasico“ geht, so ähnlich ist auch die spanische Medienlandschaft gespalten.

Auf der einen Seite stehen die Madrider Zeitungen, auf der anderen die Sportgazetten aus Barcelona.

Entweder schwarz oder weiß

Was in der spanischen Hauptstadt als Schiedsrichter-Fehler interpretiert wird, ist in der Mittelmeermetropole eine faire Entscheidung. Was hier als Provokation dargestellt wird, ist dort simples Selbstvertrauen.

Die unterschiedliche Sichtweise auf ein sportliches Event lässt sich kaum so schön verdeutlichen wie im iberischen Blätterwald.

Vor dem Showdown in La Liga am Samstag – ab 15:30 Uhr LIVE auf LAOLA1.tv – bittet LAOLA1 mit Santi Nolla (Chefredakteur „Mundo Deportivo“) und Carlos Carpio (stellvertretender Chefredakteur und Real-Experte der „MARCA“) zwei anerkannte Medien-Größen zu einem etwas anderen Doppel-Interview:

LAOLA1: Eine der zentralen „Säulen“ des Journalismus ist Objektivität. Eine Sichtweise, die von vielen spanischen Sportmedien, die eine klare Positionierung einnehmen, nicht geteilt wird. Wie erklärt sich dieses Phänomen?

Carlos Carpio: Jedes Medium kann sich frei für die Linie, die es als passend befindet, entscheiden. „MARCA“ hat sich immer schon bemüht, alle Fangruppen, Vereine und Sportarten abzudecken. Logischerweise wird Real Madrid aus Verkaufsgründen zumeist der Platz auf der Titelseite und viel Raum gewährt, was aber nicht heißt, dass sich die Zeitung gegen andere Mannschaften positioniert – wie es etwa Konkurrenzmedien klar machen.

Santi Nolla: Objektivität gibt es nicht. Die „Säule“ des Journalismus muss Ehrlichkeit sein. Die Medien dürfen nicht heuchlerisch sein und ihre Redaktionslinie muss für den Leser klar ersichtlich sein. Das sind die Kriterien der Berichterstattung und jener, die sie ausführen. Wer klar Partei ergreift, hintergeht niemanden.

LAOLA1: Ihre Zeitung ist in der öffentlichen Meinung einem der beiden Großvereine zugeteilt. Wie viel Freiheit bleibt den Redakteuren hinsichtlich der vorgegebenen Linien?

Nolla: „Mundo Deportivo“ ist eine Mehrsport-Zeitung Barcelonas. Die Redakteure haben alle Freiheiten, sich in ihren Analysen frei auszudrücken, genauso wie alle weiteren Mitarbeiter. Wir sind keine Hofberichterstatter. Wir sind eine unabhängige Zeitung mit einer klaren Verlagsrichtlinie.

LAOLA1: Die „MARCA“ wird beispielsweise als klar „Pro Real“ gesehen, dennoch lässt sich starke Kritik erkennen. Wie passt das zusammen?

Carpio: „MARCA“ äußert sich nicht kritisch gegenüber einem Klub, sondern gegenüber bestimmten Aktionen. Wenn zum Beispiel ein Trainer dem Co-Trainer der anderen Mannschaft ins Auge fährt, sagen wir, dass das schlecht ist. Einfach, weil es schlecht ist, unabhängig davon, wer es macht. Einige Personen wollen aber nicht, dass wir das machen und werfen uns eine Anti-Einstellung vor. Aber „MARCA“ ist nicht Anti. Wer nicht in jeder Situation Partei ergreifen will, ist nicht automatisch in der Opposition. Das wird von Seiten Real Madrids und des FC Barcelona teilweise anders gesehen. Unsere Aufgabe ist die Berichterstattung, keine Propaganda. Deshalb gibt es auch keine Parolen, gegen oder für wen geschrieben werden soll.

LAOLA1: Wie viele Personen/Redakteure sind bei einem Clasico direkt oder indirekt beteiligt?

Nolla: Ein Clasico ist ein Spiel. Um das konkrete Aufeinandertreffen kümmern sich in etwa 20 Personen. Man muss dabei erwähnten, dass die Redaktion sowohl Web als auch Print bedient. Wird um 21 Uhr etwa gespielt, liegt das Spielende dem möglichen Redaktionsschluss sehr nahe.

Carpio: Beim Clasico arbeiten alle Redakteure der Sektion Real Madrid (9), der Sektion Barca in Barcelona (3 Redakteure und 1 Fotograf) plus 4 oder 5 Fußball-Beauftragte, 3 weitere Fotografen und 5 Zuständige für die Website. Alles in allem 25 Leute – aber manchmal kommt uns das zu wenig vor.

LAOLA1: Die Auflagenstärke in Katalonien bzw. Spanien macht Redaktionen zu einem „Player“. Wie viel „Macht“ würden Sie ihrer Zeitung in der spanischen Welt des Sports einräumen?

Nolla: So viel, wie ihr die Leser geben.

Carpio: Je mehr Leser wir, ob nun Print oder Online, haben, desto mehr Verantwortung bringt das mit sich. Wir sind uns gewisser Konsequenzen bewusst, die unsere Nachrichten mit sich bringen können.

LAOLA1: Ist die Ankunft von Jose Mourinho Segen oder Fluch für die Rivalität Barca-Madrid? Und ist der Portugiese Segen oder Fluch für Journalisten?

Carpio: Diese Frage ist besser von Real Madrid selbst zu beantworten, aber gewisse Ermüdungserscheinungen der Beziehung Trainer-Klub sind offensichtlich. Aus journalistischer Sicht würde ich differenzieren zwischen Mourinho dem Showman, der einfallsreich und in manchen Situationen witzig, in anderen unangenehm ist, und Mourinho dem Trainer, dessen enorme Fähigkeiten unbestritten sind.

Nolla: Weder das eine noch das andere. Mourinho ist ein hervorragender Trainer, der in einigen Fällen Spannung erzeugt.

LAOLA1: Wie hat sich die Berichterstattung über den Clasico in den letzten zehn Jahren verändert?

Nolla: Heutzutage ist es viel ausführlicher.

Carpio: Es wird immer mehr berichtet und jedem Detail Aufmerksamkeit geschenkt. Auch das Interesse am Spiel hat sich globalisiert. Ein Real-Barca interessiert heute die Menschen in jedem Winkel der Welt. Vor allem der FC Barcelona hat sich in dieser globalen Vermarktung in den letzten zehn Jahren enorm entwickelt.

LAOLA1: Mit welchem Trainer gab es die beste/schlechteste Zusammenarbeit?

Carpio: Von der ersten Ära Fabio Capello an (1996), als Journalisten der Zugang zum Training verboten wurde, haben sich die Distanzen zwischen Mannschaft und Medien vergrößert. Das hat sich nicht verändert, unabhängig davon, wer auf der Trainerbank gesessen ist. Aber die fehlende Nähe, die wir uns wünschen, ist eine Sache, die Abscheu gegenüber Journalisten, die Jose Mourinho an den Tag legt, eine andere. Er sieht das wie eine Abfuhr gegenüber uns, in Wirklichkeit erleben die Fans diese Abfuhr – wir berichten nur darüber.

Nolla: „Mundo Deportivo“ respektiert immer alle Trainer des FC Barcelona. Aber unter Robson (Anm.: 1996-1997), das war eine große Epoche.

LAOLA1: Angesichts Ihrer jahrelangen Erfahrung würden Sie zustimmen, dass wir uns aktuell in einer außergewöhnlichen Phase befinden, in der zwei Klubs und zwei Spieler über allen stehen oder ist das die natürliche Verbesserung des Fußballs? Wird man sich in zehn, zwanzig Jahren noch an diesen Bipolarismus und die Rekorde erinnern oder werden sie gebrochen sein?

Nolla: Wir werden uns an Messi, den besten Spieler der Welt und viermaligen Weltfußballer erinnern und an Cristiano, den zweitbesten. Wir werden uns an die Duelle Barca-Madrid erinnern, die Kasparov-Karpov oder Lakers-Celtics in anderen Epochen als einschneidende Sportereignisse abgelöst haben.

Carpio: Ohne Zweifel, die Rivalität befindet sich in ihrer Glanzzeit, auch weil der FC Barcelona die historischen Unterschiede ausgeglichen hat. Als ob das nicht reicht, haben wir auch die beiden größten Figuren des Fußballs, Messi und Cristiano, und bis letztes Jahr auch die beiden Trainer mit der größten Persönlichkeit. Ja, in 20 Jahren werden wir uns nostalgisch an diese Zeit zurückerinnern.

LAOLA1: Señor Carpio, das von ihrer Zeitung enthüllte Ultimatum der Real-Kapitäne an Florentino Perez (Stichwort: „Präsident: Er oder wir“) über die Absetzung von Mourinho brachte viel Aufregung und einen direkten Angriff des Präsidenten als Reaktion mit sich. War es das wert?

Carpio: Am Tag, als wir die Nachricht veröffentlichten, waren wir uns des Erdbebens, das sie auslösen wird, bewusst. Wir haben diese delikate Information von einigen Quellen bestätigt bekommen und wollten sie den Lesern nicht vorenthalten. Der Präsident leugnete unsere Darstellung, weil er dazu getrieben wurde. Ansonsten wären die Konsequenzen für ihn schlimmer gewesen. Auch wenn es uns schmerzt, als Lügner dazustehen, bleibt uns die Ruhe der Gewissheit, dass es die Wahrheit ist. Auch Verantwortliche im Klub sind zu uns gekommen und haben uns Recht gegeben.

LAOLA1: Auf der anderen Seite sorgte das auf TV3 gezeigte „Jagd“-Video für viel Unruhe und provozierte offizielle Stellungnahmen. Wie sehen Sie, Señor Nolla, diese Polemik mit ein paar Wochen Distanz? Hat sich das Klima der Clasicos in der Berichterstattung allgemein etwas radikalisiert?

Nolla: Das Klima hat sich deswegen nicht verändert. Es war ein schlechter Bericht, für den sich TV3 schon entschuldigt hat. Es gab aber auch andere schlechte Praktiken und niemand hat sich entschuldigt.

LAOLA1: Señor Nolla, eine Exklusiv-Meldung Ihrer Zeitung ist der 10-Millionen-Vorvertrag des FC Barcelona mit Neymar. Wird er Ihrer Meinung nach in Barcelona landen und braucht ihn der Klub überhaupt?

Nolla: Der Klub braucht ihn und er wird nach Barcelona kommen.


Die Interviews führte Christian Eberle