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Die Renaissance der Fiorentina

Die Renaissance der Fiorentina

Es war ein gutes Zeichen. Ein Zeichen des Vertrauens. Ein Zeichen des Aufschwungs.

Mitte Februar betrat Eigentümer Diego Della Valle erstmals seit drei Jahren wieder das Stadio Artemio Franchi, um sich seine Fiorentina live anzusehen.

Als der Schuh-Tycoon zuletzt zugegen war, saß noch Cesare Prandelli auf der Trainerbank. Die Zeit dazwischen ersparte sich Della Valle. Verpasst hat er nichts. Denn die vergangenen beiden Saisonen dümpelte die „Viola“ irgendwo zwischen Abstiegsangst und biederem Mittelmaß herum.

Nun erlebt der Klub aus Florenz eine Renaissance. Seit dem großen Umbruch im Sommer geht es für den zweifachen Meister wieder steil bergauf.

"Wir hatten genug"

„Wir hatten genug von den Ergebnissen der letzten zwei Jahre“, sagte Andrea Della Valle, Diegos Bruder und Co-Eigentümer des Vereins, im August.

Kein Wunder, wurde die Fiorentina den hohen Ansprüchen ihrer Tifosi doch nicht einmal annähernd gerecht. Jene Stadt, die mit dem „Calcio Storico“ die Anfänge des Fußballs in Italien für sich reklamiert, will keinen Mittelständer beheimaten.

Doch seit dem Abgang von Prandelli im Sommer 2010 war so ziemlich alles falsch gelaufen. Der nunmehrige Teamchef war in Florenz überaus beliebt. Die Stadt hatte mit ihm gefeiert, als er das Team in die Champions League führte, und mit ihm gelitten, als seine Frau an Brustkrebs verstarb.

Missverständnisse auf der Trainerbank

Sinisa Mihajlovic trat in seine Fußstapfen. Er versuchte es zumindest. Und scheiterte. Es war ein großes Missverständnis. Prandelli war der Gentleman, der mit jedem gut auskam, sein serbischer Nachfolger vielmehr der streitbare "Bad Boy" ohne große Erfahrung.

Im ersten Jahr verpasste er mit Rang neun einen internationalen Startplatz doch recht deutlich, im November 2011 musste er seinen Stuhl letztlich räumen.

Auch Delio Rossi, der anschließend das Ruder übernahm, agierte nicht sonderlich glücklich. Und Anfang Mai 2012 leistete sich der ohnehin nicht übermäßig populäre Coach einen unverzeihlichen Ausrutscher.

Im Heimspiel gegen Novara wechselte er Adem Ljajic bereits nach 31 Minuten aus, der Serbe applaudierte höhnisch und richtete ein paar unschöne Worte in Richtung Rossi, weshalb dieser ausflippte und auf der Bank auf seinen Spieler einprügelte. Das jähe Ende der grundsätzlich wenig erfolgreichen fünfeinhalb Monate in Florenz.

Partys und Autos statt Training und Motivation

Daniele Prade ist seit Sommer für die Transfers zuständig

Daniele Prade, von 2000 bis 2011 in verschiedenen Funktionen bei der AS Roma tätig, wurde zum neuen Sportdirektor gemacht.

Der 46-Jährige erhielt jede Menge Freiheiten und mit Eduardo Macia, einem 38-jährigen Spanier, einen international erfahrenen (Valencia, Liverpool, Olympiakos) Technischen Direktor, der schon seit einigen Monaten bei der Fiorentina arbeitete, zur Seite gestellt.

Montella kommt nach Springsteen

Prades erste Aufgabe war es, einen neuen Trainer zu finden. Just einen Tag nachdem Bruce Springsteen in Florenz rockte, präsentierte die „Viola“ mit Vincenzo Montella den neuen "Boss".

Der Ex-Stürmer hatte als Interimscoach der Roma und 2011/12 als Catania-Trainer einen exzellenten Ruf erworben und war auch bei anderen namhaften Teams gehandelt worden. Doch nicht zuletzt die Roma zögerte zu lange und Montella entschied sich für ein Engagement in der Toskana.

Aus Sicht des Vereins ein ausgezeichneter Schachzug, ist Montella doch ein moderner Coach, der eine offensive Spielweise forciert, aufgrund seiner erst 38 Jahren noch sehr nahe am Leben eines Profi-Fußballers dran ist und sich darüber hinaus intensiv mit Psychologie beschäftigt.

Alles neu im Kader

Die neue sportliche Führung kam zum Entschluss, den Kader im Sommer komplett umzukrempeln. Von den 16 Profis, die in der laufenden Meisterschaft 15 oder mehr Einsätze zu Buche stehen haben, waren mit Manuel Pasqual, Jovetic und Ljajic lediglich drei schon im Vorjahr da.

Der Zwischenfall mit Ljajic ist allerdings auch bezeichnend für den Charakter des Teams in der Vorsaison. Kritiker werfen der Mannschaft von 2011/12 vor, ein Haufen überheblicher Jungstars gewesen zu sein, die sich mehr um teure Partynächte, Designer-Kleidung und tolle Autos sorgte als ihre Vorstellungen auf dem Platz.

„Ihr ekelt uns an!“, richteten die Fans den Spielern schon nach dem 0:5 gegen Juventus Mitte März via Transparent beim Training aus. Sie hatten genug von Geschichten wie jener über Alessio Cerci, der der Bitte eines Kellners, er möge doch seinen Maserati aus dem Halteverbot fahren, entgegnete, er solle ihn doch gefälligst zuerst fertig essen lassen.

Ein neuer Sportdirektor

Die Della-Valle-Familie überlegte laut, sich des Chaos-Klubs zu entledigen, entschied sich dann aber, es noch einmal mit einem Neustart zu versuchen. Pantaleo Corvino, der seit 2005 als Sportlicher Leiter für die Transfers zuständig war, musste mit Saisonende gehen.

Der Routinier habe sein goldenes Händchen verloren, wurde gesagt. Dass er ein solches davor besaß, ist unbestritten – Riccardo Montolivo, Luca Toni, Stevan Jovetic, Zdravko Kuzmanovic, Alberto Gilardino und Juan Vargas, um nur einige zu nennen, hatte er nach Florenz gelotst.

Borja Valero ist der Assistkönig

Und was neu gekommen ist, hat jede Menge Qualität. Etwa Borja Valero, der so etwas wie der Michu der Serie A ist. Um sieben Millionen Euro von Villarreal gekommen, war der einfache spanische Internationale verhältnismäßig ein Schnäppchen, das richtig eingeschlagen hat. Mit seinen neun Assists liegt der 28-Jährige hinter Napolis Marek Hamsik (11) und Romas Francesco Totti (10) in dieser Statistik auf dem dritten Platz.

Der argentinische Verteidiger Facundo Roncaglia hat aufgrund seiner kompromisslosen Spielweise in den wenigen Monaten Kult-Status erlangt. Unzählige „Chuck Norris Witze“, die auf den Gaucho umgemünzt wurden, kursieren im Internet – unlängst wurden sie sogar in einem Buch zusammengefasst.

Als einen seiner allerwichtigsten Einkäufe bezeichnet Prade jedoch einen Mann, der bisher noch keine einzige Minute gespielt hat – Ersatztormann Cristiano Lupatelli. Der 34-Jährige ist so etwas wie die gute Seele des Teams und dient den jungen Wilden durch seine professionelle Einstellung als Vorbild.

Identifikationsfiguren überzeugen

Obwohl die Fiorentina-Fans ihre Mannschaft im Spätsommer praktisch nicht wiedererkannten, können sie sich mit dem Team, das ihre Farben vertritt, identifizieren. Denn Prade hat auch daran gedacht.

Mit Emiliano Viviano wurde ein Tormann geholt, der schon als Kind beim "harten Kern" in der Curva Fiesole gestanden war. Ein Fiorentina-Fan durch und durch. Als sich etwa Valero im Februar nach dem Duell mit Juventus das Trikot von Andrea Pirlo sicherte, stürmte Viviano im Bewusstsein der ausgeprägten Rivalität der beiden Klubs auf den Spanier zu, riss ihm das Leibchen aus der Hand und warf es zu Boden.

Der Rückkehrer Luca Toni jubelt wie eh und je

Und würden solche Szenen die Tifosi nicht genug auf die Seite des Teams ziehen, würde Luca Toni den Rest besorgen. Nachdem der Deadline-Deal mit Dimitar Berbatov am 31. August geplatzt war, holte Prade den Routinier ins Boot.

Für den Wandervogel eine Heimkehr. „Ich fühle mich hier zu Hause“, sagt der 35-Jährige, der 2005/06 mit seinen 31 Treffern im Trikot der „Viola“ als erster Italiener überhaupt den „Goldenen Schuh“ geholt hatte.

Viel Ballbesitz, viele Torschüsse

Montella gelang es in Kürze, die unzähligen Neuzugänge zu einem Team zu formen. Interessant ist, dass er zwar zumeist mit einem 3-5-2 bzw. 3-5-1-1 spielt, aber immer wieder ein 4-3-3 probiert, wobei in beiden Fällen personell nicht gewechselt werden muss.

Das Spiel der Toskaner ist auf Ballbesitz (mit 55,6 Prozent die Nummer drei der Serie A) und hohe Passsicherheit (mit 84,5 Prozent ebenfalls Dritter) ausgelegt, wobei blitzschnell mit Pässen in die Tiefe angegriffen wird. Hinzu kommt, dass das Umschalten in die Defensive ausgezeichnet klappt, was im Schnitt lediglich 10,1 gegnerische Torschüsse (zweitbester Wert hinter Juventus) belegen.

Schlüsselspieler Pizarro und Jovetic

Für das Unterbinden der gegnerischen Konter ist in erster Linie David Pizarro – natürlich auch ein Neuzugang – zuständig. Dass der Chilene bei insgesamt nur 15 Fouls schon 13 Gelbe Karten erhalten hat, ist nur auf den ersten Blick überraschend. Der 33-Jährige greift eigentlich nur bei schnellen Gegenstößen zu unlauteren Mitteln und unterbricht so manchen Angriff auch schlicht mit einem Handspiel. Ist sein Team im Ballbesitz, nimmt Pizarro jene Rolle ein, die Pirlo bei Juve hat – er holt sich die Bälle aus der Abwehr und verteilt sie.

Diego (l.) und Andrea Della Valle

„Er ist nicht nur ein Freistoß-Zauberer. Es ist, als ob du einen Stürmer im Team hättest, der 15 bis 20 Tore in der Saison schießt, aber nie verletzt oder gesperrt ist“, sagt Zenga. Vio mag manchmal zwar Dinge sagen, die in der Praxis nur schwer umsetzbar erscheinen („Es gibt 4.830 verschiedene Varianten für Eckbälle“), doch die Statistik gibt ihm Recht. Mit 16 Toren nach Standards ist Fiorentina die Nummer eins der Serie A.

Träumen vom Scudetto

Der Erfolg gibt nicht nur Vio Recht, sondern auch allen anderen Verantwortlichen. Aktuell steht der zweifache Meister auf dem vierten Tabellenplatz. Lediglich drei Punkte trennen die Toskaner vom AC Milan und somit von der Champions-League-Quali.

Solch eine Saison war der „Viola“ nicht zuzutrauen. Prade gibt zu: „Wir sind angenehm überrascht, dass die guten Resultate so schnell gekommen sind. Aber unser Projekt ist in Wahrheit ein längerfristiges.“

Im Stadio Artemio Franchi ist das Vertrauen in die eigene Stärke jedenfalls wieder zurück. Sogar die Spieler sprechen offen darüber, dass sie in der kommenden Saison um den Scudetto mitspielen können.

Auch Diego Della Valle kommt wieder gerne. Es fühlt sich wieder ein bisschen an wie unter Cesare Prandelli. Und das ist für die Fiorentina ein gutes Zeichen.


Harald Prantl

Geht es ums Toreschießen, ist Jovetic der Spezialist. Der Montenegriner, der überraschend beim Klub gehalten werden konnte, ist auf dem Weg zum absoluten Superstar. Spätestens im Sommer dürften zahlreiche Angebote in zweistelliger Millionenhöhe für den 23-Jährigen eingehen. Bis es soweit ist, sorgt der Sechste der Torschützenliste (12) mit seinen 3,9 Schüssen Pro Spiel (hinter Napolis Edinson Cavani der zweithöchste Wert) aber im violetten Trikot für Gefahr.

Standard-Guru Vio als Geheimwaffe

Und dann wäre da noch die Geheimwaffe, die Montella aus Catania mit nach Florenz gebracht hat. Sie ist für bisher 16 Tore verantwortlich und trägt den Namen Gianni Vio. Der Mann aus dem Trainerteam ist Italiens Guru für Standardsituationen.

Vor zehn Jahren war Vio noch Bankangestellter bei der Unicredit in Mestre, dann kam er mit Walter Zenga, damals Trainer von Roter Stern Belgrad, in Kontakt. Nach und nach wurde der passionierte Mathematiker zum Profitrainer. Sein Buch über Standardsituationen heißt treffend „Ruhende Bälle: Der 15-Tore-Stürmer.“