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Johnny Ertl im Talk: Als Kapitän direkt in den Vorstand

Johnny Ertl im Talk: Als Kapitän direkt in den Vorstand

Johnny Ertl und der britische Fußball – eine Liebesgeschichte im Rosamunde-Pilcher-Stil.

2008 zog der „Steirerbua“ aus, um auf der Insel sein Glück zu suchen. Sieben aufregende Jahre später hängt er nun bei seinem Herzensklub Portsmouth die Fußballschuhe an den Nagel.

„Für mich ist die Spielerkarriere beendet“, erklärt der 32-Jährige im Interview mit LAOLA1. „Ich werde mich jetzt auf den nächsten Schritt vorbereiten. Der FC Portsmouth hat mir angeboten, als Vorstand beim Verein weiterzuarbeiten.“

Nach zwei Jahren bei Crystal Palace und weiteren zwei Saisonen bei Sheffield United fand der Defensiv-Allrounder bei „Pompey“ seine zweite Heimat.

Der siebenfache ÖFB-Internationale ging mit dem Traditionsklub, der in den letzten sechs Jahren zwei Mal Konkurs anmelden musste, durch dick und dünn. Er stieg mit den Südengländern von der zweiten in die vierte Liga ab, absolvierte dabei 88 Spiele und schoss zwei Tore.

Bis vor kurzem trug er noch die Kapitänsschleife, doch nun soll er als Teil des Vorstands helfen, den von den Fans 2013 übernommenen Verein zurück in die Championship zu führen.

Im LAOLA1-Interview philosophiert Ertl über den englischen Fußball. Er verrät seine Zukunftspläne und erzählt, welche Tipps er Sebastian Prödl gegeben hat.

 

LAOLA1: Trifft man Fans des FC Portsmouth, kommt man unweigerlich auf dich zu sprechen. Du genießt dort einen Legenden-Status. Wie schafft man es, als Österreicher zu solch einer Ikone bei einem englischen Traditionsverein zu werden?

Johnny Ertl: (lacht) Man muss bereit sein, die Kultur und Mentalität anzunehmen. Gleichzeitig aber auch authentisch sein. Ich liebe die Portsmouth-Supporter. Jeder einzelne von ihnen ist fantastisch. In England sind die Leute sehr zuvorkommend und offen für alles. Ich bin ein ehrlicher Fußballspieler und gebe immer hundert Prozent für den Verein. Das taugt den Briten.

LAOLA1: Du bist bei den Fans sehr beliebt. Das zeigen nicht zuletzt diverse Fotos auf Twitter. Was macht die Beziehung zu euren Anhängern so besonders?

Der Mann mit dem Hut heißt John Portsmouth Football Club Westwood

Ertl: Unsere Fans sind sehr speziell. Sie gehen mit dem Verein durch dick und dünn. In unserer Stadt gibt es nur einen Klub, man nennt das ‚One City Club‘. Portsmouth liegt auf einer Insel. Da halten alle zusammen. Diese Mentalität gibt es hier. Die Fans sind ein Wahnsinn. Ein Anhänger hat sogar seinen Namen ändern lassen, er heißt John Portsmouth Football Club Westwood, hat unzählige Tattoos, blaue Haare, einen blau-weißen Hut und immer eine Glocke mit dabei. Über ihn gibt es diverse Dokumentationen. In ganz England kennt man die Portsmouth-Supporter. Auswärtsspiele sind für uns wie Heimspiele. Unsere Fans sind überall dabei. John macht mit seiner Glocke immer Stimmung. Portsmouths Fankultur hat einen hervorragenden Namen.

LAOLA1: Du hast zuletzt deinen Vertrag aufgelöst. Hängst du die Fußballschuhe damit an den Nagel oder wirst du deine Laufbahn bei einem anderen Verein fortsetzen?

Ertl: Für mich ist die Spielerkarriere beendet. Ich werde mich jetzt auf den nächsten Schritt vorbereiten. Der FC Portsmouth hat mir angeboten, als Vorstand beim Verein weiterzuarbeiten. Ich sehe in England große Chancen, mich auf dem Gebiet des Sportdirektors oder als technischer Direktor weiterzubilden. Bei Portsmouth kann ich als Vorstand Erfahrungswerte sammeln und meine Ideen einbringen. Von der Größe und der Fankultur her gehört unser Verein zumindest in die Championship (zweite Spielklasse, Anm.). Das ist eine super Aufgabe für mich. Deswegen bin ich damals auch bei Portsmouth geblieben, weil ich den Reiz dieses Klubs erkannt habe. Ich will dem Verein in dieser Funktion etwas zurückgeben und meine Erfahrungen als Spieler einbringen. Es gibt keinen anderen Klub, bei dem der Kapitän direkt in den Vorstand wechselt. Ich kann den anderen Vorstandsmitgliedern eine ganz andere Sichtweise anbieten.

LAOLA1: Dafür musst du vorher aber erst gewählt werden.

Ertl: Genau. Die Wahlen laufen bis 11. September. Die Fans haben den Verein vor einigen Jahren übernommen. Sie wählen den Vorstand. Dafür habe ich mich aufstellen lassen. Letztes Jahr habe ich einen tollen Kurs besucht und diesen mit dem Master of Business Administration abgeschlossen. Einer der Teilnehmer, Les Ferdinand, ist mittlerweile Sportdirektor bei den Queens Park Rangers. Daraufhin ist der Verein an mich herangetreten und hat gesagt: ‚Johnny, wir wollen dich als Vorstand beim Verein halten. Mit deinen Ideen und deiner Verbundenheit zu den Fans bist du perfekt für diesen Job‘. Nebenbei mache ich im Trainingszentrum von West Ham meine Ausbildung für die UEFA-B-Lizenz und kann so weiterhin in unserer Akademie als Nachwuchscoach arbeiten.

Ertl ist Master of Business Administration

LAOLA1: Die englischen Klubs profitieren zumeist von einem reichen Eigentümer. Euer Verein gehört den Anhängern. Wie wollt ihr euch gegen die finanzkräftige Konkurrenz behaupten?

Ertl: Vor sieben Jahren hat „Pompey“ den FA-Cup gewonnen. Dann ging der Klub zwei Mal in Konkurs und wurde von den Fans neu gegründet. Jetzt haben wir ein neues Trainingszentrum, es ist enorm viel im Entstehen. Diese Aufgabe ist extrem reizvoll für mich. Unser großes Plus ist das Publikum. Wir können mit einem Zuschauerschnitt von 17.000 Fans in der vierten Liga rechnen. Damit würden wir sogar in der zweiten Liga gut dabei sein. Das ist ein enormer Vorteil. Als größter Fanklub in Großbritannien sind wir in einer einzigartigen Position. Wir wollen möglichst bald in die League One aufsteigen und danach in die Championship.

LAOLA1: Siehst du den FC Portsmouth als fangeführten Verein in einer Vorbildfunktion für andere englische Klubs?

Ertl: Ja, wir wollen wirklich ein Vorbild sein. Im englischen Fußball hat es immer wieder Mäzene gegeben, die kurzzeitig Geld investierten, aber nichts Nachhaltiges geschaffen haben. Bestes Beispiel dafür ist unser Verein. Wir haben wieder von ganz vorne anfangen müssen. Ich war bei dieser Aufbauarbeit von Stunde null an dabei. Deswegen haben mich auch die Fans so gerne. Sie wissen: ‚Auf Johnny können wir zählen‘. Ich habe dem Verein immer die Treue gehalten, weil ich mir dachte: Das ist es ein cooles Projekt. Rom ist nicht an einem Tag gebaut worden, das braucht Zeit. Aber ich habe viele Erfahrungen gesammelt. Der Verein ist mir extrem ans Herz gewachsen. Als ich hergekommen bin, war ich ein österreichischer Skifahrer. Die haben nicht einmal gewusst, dass man bei uns Fußball spielt.

Ertl nach dem letzten Saisonspiel vor seinem Polterabend mit Freunden

LAOLA1: Fühlst du dich England fußballerisch mittlerweile sogar mehr verbunden als der Steiermark?

Ertl: Meine fußballerische Heimat ist schon der Blumenbetrieb meiner Eltern. Dort habe ich einst die ersten langen Bälle geschlagen. Aber fußballerisch habe ich mich in England am meisten weiterentwickelt. Dort bin ich auch als Person am meisten gereift. In London musste ich mich als einziger Österreicher durchbeißen. Deswegen habe ich mich immer speziell auf die Saison vorbereitet, mit einem Höhentrainingslager beispielsweise.

LOALA1: Neben dem Fußball gilt die Musik als deine große Leidenschaft. Welche Platten hörst du momentan?

Ertl: Am liebsten höre ich natürlich meiner Frau (die österreichisch-bosnische Sängerin Selma Adzem, Anm.) zu. Ich unterstütze sie als Teil ihrer Band „Selma & The Sound“ auf der Gitarre. Demnächst spielen wir wieder in einem Lokal in Portsmouth. Ich bin ein großer Fan von meiner Frau.

LAOLA1: Vielen Dank für das Interview.

 

Das Gespräch führte Jakob Faber

LAOLA1: Verglichen mit der Zeit, als du nach England gewechselt bist, gibt es jetzt relativ viele ÖFB-Legionäre auf der Insel. Hast du Kontakt zu ihnen?

Ertl: Ja. Vor kurzem habe ich mich erst mit Sebastian Prödl getroffen. Ich kenne ihn noch aus meiner Zeit bei Sturm. Er ist ein „Steirerbua“ wie ich. Wir haben viel geplaudert.

LAOLA1: Welche Tipps hast du ihm geben können?

Ertl: Es sind viele Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen. Man braucht eine gewisse Zeit, bis man sich mit dieser anderen Kultur zurechtfindet. Als ich zu Crystal Palace gewechselt bin, hat es keinen Team-Betreuer gegeben. Mir wurde die Telefonnummer von einem Immobilien-Makler zugesteckt und ich habe nicht einmal gewusst, was Makler auf Englisch heißt. Diese Herausforderung hat mir gefallen. Basti schätze ich als ähnlichen Typen ein. Watford ist ein richtig cooler Klub, mit einem tollen Trainer und einem schmucken Stadion. Das ist eine super Chance für ihn.

LAOLA1: Du hast vorher erwähnt, dass du den englischen Trainerkurs für die UEFA-B-Lizenz absolvierst. Was ist der Unterschied zwischen der britischen und österreichischen Trainings-Philosophie?

Ertl: Großbritannien ist von Traditionen geprägt. Als ich hergekommen bin, war ich das Training nicht gewohnt. Wir hatten bei Crystal Palace mit Neil Warnock einen "Old-School-Manager". Er hat die Übungseinheiten sehr hart gestaltet. Manchmal haben sie zweieinhalb Stunden gedauert. Das hat mein Körper teilweise nicht durchgestanden. Bei der Austria und Sturm war ich anderes gewohnt. In England trainiert man traditionellerweise am Vormittag, auch an Wettkampftagen. Die Jugend wächst hier ganz anders auf. Mittlerweile setzt aber, beeinflusst von den ausländischen Trainern, ein Umdenken ein. Zum Beispiel werden die Trainingseinheiten kürzer gehalten. Die Engländer holen jetzt das auf, was sie aufgrund ihres traditionellen Denkens in den letzten Jahren verpasst haben. Generell ist der Unterschied zwischen Österreich und England aber schwer beschreibbar. Im Frühjahr habe ich Peter Stöger in Köln besucht. Da ist mir der Unterschied wieder vor Augen geführt würden. Die Spiele in England sind einfach intensiver. Es gibt eine längere Nettospielzeit, weil die Schiedsrichter mehr laufen lassen. Dieser Unterschied ist sehr interessant.

LAOLA1: Kommen wir zurück zu deiner Karriere. Du willst in Zukunft im Managerbereich oder als Sportdirektor arbeiten. Kannst du dir vorstellen, in dieser Funktion nach Österreich zurückzukehren? Vielleicht sogar zu deinem Jugendverein Sturm?

Ertl: Auf alle Fälle. Aber ich will mich gar nicht auf einen Klub fixieren. Der erste Schritt ist, bei Portsmouth in den Vorstand gewählt zu werden. Der britische Fußball hat mich angesteckt. Es gibt 92 Profi-Mannschaften, das muss man sich einmal vorstellen. Wenn Portsmouth ein Vorbereitungsspiel gegen irgendeine Mannschaft aus der Region bestreitet, wird das live im Radio übertragen. Trifft Sturm auf Hartberg, ist das in der Zeitung eine Kurzmeldung. Ich kann mir aber schon vorstellen, bei einem österreichischen Klub zu arbeiten.

LAOLA1: Lässt sich schon erahnen, wann ungefähr der Zeitpunkt für eine Rückkehr gekommen ist?

Ertl: Der Fußball ist ein Tagesgeschäft. Ich will gar nicht zu weit in die Zukunft denken, aber natürlich ist Österreich immer ein Thema und irgendwann will ich auch wieder zurück, um dort meinen Aufgaben nachzugehen. Derzeit liegen meine Ziele aber in England.

LAOLA1: Deine Spielerkarriere ist zu Ende. Würdest du im Rückblick irgendetwas anders machen?

Ertl: Nein. Alles, was ich in meiner Karriere erlebt habe, hat mich zu dem gemacht, was ich bin. In der Schule habe ich ‚Fever Pitch‘ von Nick Hornby gelesen. Seitdem bin ich England-Fan. Als ich die Chance hatte, zu Crystal Palace zu wechseln, musste ich diese nutzen. Als Spielertyp passe ich auch einfach nach England. Es war nicht mein Stil, vier Übersteiger zu machen. Ich war ein ehrlicher Spieler, der die Ärmel hochkrempelte und sich für seinen Klub voll reinhaut. Ich würde alles wieder genauso machen.