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Darum brennt Liverpool auf Klopp

Darum brennt Liverpool auf Klopp

Wir schreiben das Jahr 2008.

Dortmund dümpelt im sportlichen Mittelmaß umher und liegt finanziell am Boden. Die Mannschaft ist nicht mehr als durchschnittlich, doch dieser junge Trainer, der gerade mit Mainz knapp am erneuten Aufstieg in die Bundesliga scheiterte, sorgt zu Beginn der Saison für Hoffnung im schwarz-gelben Teil des Ruhrpotts.

Nachdem es zuletzt für den BVB unter Matthias Sammer, Bert Van Marwijk, Jürgen Röber und Thomas Doll kontinuierlich nach unten ging, soll Jürgen Klopp den ehemaligen Champions-League-Sieger wieder auf Vordermann bringen.

Es herrscht Aufbruchstimmung. Auch wenn selbst die enthusiastischsten Fans zu diesem Zeitpunkt nicht von dem träumen, was die Zukunft bringen wird, hat man einfach das Gefühl: Das passt!

Präsentation am Freitag

Sieben Jahre später ist der Glücksfall BVB-Klopp samt den Erfolgen (Meister 2011, 2012, Pokalsieger 2012, CL-Finalist 2013) Geschichte.

Klopp schrieb ein Märchen. Ein Märchen, auf dessen Nacherzählung man nun in Liverpool wartet.

Dort wurde die Verpflichtung des Trainers am späten Donnerstagabend offiziell bekanntgegeben.

Die Präsentation des Schwaben wird am Freitag (11 MEZ) über die Bühne gehen, für drei Jahre soll er unterschrieben haben, geschätzte zehn Millionen Euro sollen jährlich auf sein Konto wandern.

Es ist die einzig logische Entscheidung für beide Seiten.

Schon als Klopp seinen Abschied vom BVB verkündete, schien Liverpool die perfekte nächste Station zu sein. Auch weil absehbar war, dass man in Anfield mit Brendan Rodgers wohl nicht mehr glücklich werden würde.

Wie vor sieben Jahren hat man auch bei Liverpool und Klopp das Gefühl: Das passt!

Dasselbe in Rot?

Zum einen gibt es viele Parallelen zwischen den beiden Klubs bzw. ihrem Umfeld, zum anderen kann Klopp Liverpool genau das geben, was es braucht.

Beim BVB passte er von Anfang an wie die Faust aufs Auge: Ein extrem emotionaler Coach für einen extrem emotionalen Verein. In diesem Punkt kann Liverpool gut mithalten, Westfalenstadion und Anfield Road zählen zu den absolut stimmungsvollsten Stadion dieser Fußballwelt.

Wie Mourinho, nur nett

„Liverpool bekommt einen Botschafter, ein Symbol. Ein Verein wie Liverpool braucht einen Manager der Liverpool präsentieren und verkaufen kann, der klar in seinen Aussagen ist“, glaubt Fjörtoft.

„Jürgen berührt jeden, er hat diese Aura um sich. Als er nach Dortmund ging, sagte er, er wolle den Klub aufbauen. Das hat er gemacht und ihn bis ins Champions-League-Finale gebracht. Liverpool wird ihn lieben. Der englische Fußball wird ihn lieben“, verspricht der ehemalige Bundesliga- und Premier-League-Legionär den Fans und sieht Klopp in einer Kategorie mit 'The Special One': „Ihr werdet einen Mourinho-Typen haben, nur einen netten!“

Der rote Anhang fiebert dem Debüt von Klopp und dessen Vollgasfußball entgegen, weil er neues Feuer verspricht. Absolute Siegermentalität, niemals aufgeben, alles raushauen, Tempo und letztlich Erfolg wird erwartet. Vieles davon kannten die Liverpooler zuletzt nur vom Hörensagen. Exemplarisch dafür steht das letzte Spiel unter Rodgers, das Prestige-Duell bei Everton.

Zugegeben, das Merseyside-Derby ist traditionell keiner der ganz brisanten Lokal-Schlager, doch einen laschen, uninspirierten Auftritt ohne Biss wie jenen am vergangenen Wochenende kann man sich unter Klopp nicht vorstellen.

Fight bis zur letzten Sekunde und unglaubliche Comebacks gab es in Dortmunds Glanzzeit zuhauf, das imponierte auch in England.

Vorschusslorbeeren en masse

Klopp wird die Wende bringen, da ist sich eigentlich jeder sicher. Kritische Stimmen vernimmt man kaum, in der Expertenschar herrscht allgemeine Vorfreude auf das neue Klopp’sche Liverpool.

Auch der langjährige „Reds“-Spieler Didi Hamann ist überzeugt, dass sich unter seinem deutschen Landsmann einiges ändern wird.

„Rodgers hat uns in den letzten drei Jahren gesagt, dass Liverpool es mag, den Ball zu passen und das schöne Spiel aufzuziehen, aber es ist sehr schwer das zu machen und erfolgreich zu sein. Nur Barca hat das geschafft und in einer ähnlichen Weise machen es nun die Bayern, aber das sind zwei der besten Teams Europas“, meint Hamann bei „talkSport“.

Wo sich auf der einen Seite des Ärmelkanals die Gelbe Wand aufbaut, steht auf der anderen Seite The Kop, die Wiege des Fangesangs. Das traditionelle "You'll never walk alone" läuft in beiden Fußballtempeln vor den Spielen. Auf der Insel ist Liverpool wohl der emotionalste Verein, mit seiner großen, aber auch dunklen und traurigen Geschichte.

Hier wird sich Klopp, vom „Independent“ nach Gesprächen mit seinem Umfeld als Fußballromantiker bezeichnet, sofort zuhause fühlen.

Der 48-Jährige soll bereits seit seiner Kindheit „Reds“-Fan sein und daher zuletzt auch ein Angebot von Tottenham Hotspur abgelehnt haben. „Er würde nicht zu einem Klub gehen, den er nicht mag – so ein Typ ist er nicht“, meint TV-Experte Jan Age Fjörtoft.

Zuletzt litt die Stimmung in Anfield allerdings unter dem Grottenkick, den die Mannen in Rot oftmals ablieferten. Mit Klopp ist mit einem Schlag wieder Euphorie vorhanden.

Spätestens seit Rodgers‘ Rausschmiss ließen die Fans keinen Zweifel daran, wer künftig ihren Klub trainieren soll. Dem in Deutschland oft als Menschenfänger titulierten Charmebolzen eilt ein sportlich wie menschlich großartiger Ruf voraus.

Ähnliche Ausgangsposition

In Dortmund übernahm Klopp einen schlafenden Riesen, einen heruntergewirtschafteten Traditionsklub mit grandiosem Background, der meilenweit hinter den eigenen Erwartungen hinterherhinkte.

Klingt irgendwie auch nach Liverpool. In den 2000er-Jahren war man international noch eine große Nummer. Mittlerweile spielt man in der Königsklasse keine prägende Rolle mehr und in England zogen die anderen Großklubs davon.

Der zweite Platz 2013/14 war nur ein Ausreißer nach oben und dass man trotz bester Chancen letztlich wieder ohne den Titel da stand, passt nur in die Geschichte: Immerhin sehnen sich die Liverpooler, lange Zeit englischer Rekordmeister, noch immer auf den ersten Liga-Titel der Premier-League-Ära (seit 1992).

Klopp ist es zuzutrauen, das große Potenzial des LFC wieder auszuschöpfen und den Klub wieder groß zu machen, wie er es schon in Dortmund tat, sportlich und als Marke. Am Glanze der „Reds“ nagte in den letzten Jahren nicht nur das Verlierer-Image, sondern zuletzt auch der Abgang von Vereinslegende Steven Gerrard, der das Gesicht des Klubs war. Klopp kann auch diese Rolle ausfüllen.

Man habe zwar gepasst aber ohne Ertrag, es sei teilweise grauenvoll gewesen, sich das anzusehen, kritisiert der TV-Experte, der unter Klopp ein völlig anderes Spiel erwartet: schneller und direkter.

Der 42-Jährige bemängelt auch Rodgers' Darstellungen nach den Spielen. „Als Fan will ich keinen Manager der mir erzählt, das Team habe großen Charakter gezeigt, wenn es das nicht getan hat. Klopp wird den Leuten ehrlich erzählen, was er gesehen hat und was er darüber denkt, das wollen die Fans hören. Brendan hat zu oft Dinge gesagt, die nicht wahr waren. Die Leute hatten es satt, weil es immer wieder dasselbe war“, urteilt Hamann.

Klopp soll den Charakter bringen

Klopp traut er zu, der Mannschaft wirklichen Charakter zu verleihen.

„Wenn du oft genug an eine Tür klopfst, wird sie sich irgendwann öffnen. Was Brendans Team in den letzten Jahren gemacht hat, war anklopfen und wegrennen. Sie haben nie den letzten Schritt gemacht“, erinnert er an das zahlreiche Versagen in wichtigen Spielen.

„Diesem Team mangelte es an Charakter und ich denke nicht, dass es das mit Klopp geben wird, weil er an harte Arbeit glaubt. Die Spieler werden erst zu ihren Wurzeln zurück müssen, dann kannst du anfangen, Fußball zu spielen“, sagt Hamann.

Einen Turnaround von heute auf morgen hält der Ex-Internationale zwar nicht für möglich, Liverpool und die Spieler werden aber von Klopp profitieren, so Hamann.

„Klopp macht aus Liverpool nicht über Nacht einen Titelkandidaten, wenn sie in dieser Saison Vierter werden ist das gut. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass die Zukunft rosig sein wird.“

Damit spricht der Champions-League-Sieger dem Großteil der Liverpooler Fans aus dem Herzen.

Die „Reds“ brennen auf Klopp, es ist angerichtet für eine zweite Traumehe. Vielleicht ja wieder bis zum verflixten siebten Jahr.

 

Christoph Kristandl