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Es geht um mehr, als nur um Europa

Es geht um mehr, als nur um Europa

Der FC Southampton trifft am Samstag (13:45 Uhr) auf den direkten Konkurrenten um Tabellenplatz sechs, Tottenham Hotspur.

In dieser vorentscheidenden Partie geht es nicht nur um einen sicheren Europa-League-Startplatz (sollte Arsenal den FA-Cup gewinnen, würde sich auch der Siebte qualifizieren) und das Prestige-Duell mit Ex-Trainer Mauricio Pochettino, sondern auch darum, ob – oder in welchem Umfang - den Saints im Sommer ein erneuter Umbruch bevor steht.

Luke Shaw (ManUtd), Adam Lallana, Rickie Lambert, Dejan Lovren (alle Liverpool), Calum Chambers (Arsenal) – die Liste der namhaften Abgänge im vergangen Sommer war lang und schmerzhaft.

Um zu verstehen, warum sich die Saints nach Tabellenplatz acht, dem besten der Vereinsgeschichte in der Premier League, gezwungen sahen, mehr als die Hälfte der Stammelf ziehen zu lassen, muss man sich die jüngere Vergangenheit des Klubs ansehen.

Turbulentes letztes Jahrzehnt

Turbulentes letztes Jahrzehnt
Gareth Bale verdiente sich seine ersten Sporen bei den Saints

Southampton stieg 2005, nach 27 Jahren in der höchsten Spielklasse, ab und stürzte in eine turbulente Phase mit zahlreichen Trainer-, Manager- und Eigentümerwechseln.

Das Resultat war eine massive Verschuldung, die auch durch den Verkauf von talentierten Jugendspielern wie Theo Walcott oder Gareth Bale nicht mehr zu decken war.

2009 folgte der Abstieg in die dritte Liga, der finanzielle Kollaps stand unmittelbar bevor. Erst die Übernahme durch den Geschäftsmann Markus Liebherr im Juli 2009 rettete den Verein.

Der Schweizer investierte in neue Spieler, die den Verein in den folgenden Jahren zurück in die Premier League führen sollten. Erleben konnte er dies selbst aber nicht mehr, Liebherr verstarb überraschend im August 2010.

Inzwischen leitet seine Tochter, Katharina Liebherr, den Verein. Die Eigentümerin investierte 2014 erneut 20 Millionen Pfund in den Verein, um einen Kreditgeber auszubezahlen und ist heute die alleinige Gläubigerin des Vereins.

Insgesamt belaufen sich die Schulden von Southampton auf rund 50 Millionen Pfund.

Rekordgewinn von 33 Millionen Pfund

Dass den Saints in den letzten Jahren aber große Schritte bei der finanziellen Konsolidierung gelungen sind, zeigen nicht zuletzt die 31 Millionen Pfund Eigenkapital und das 38 Millionen Pfund teure neue Trainingszentrum, die den Schulden gegenüber stehen. Im abgeschlossenen Geschäftsjahr erzielten sie, auch aufgrund des neuen TV-Vertrags der Premier League, einen Rekordgewinn von 33 Millionen Pfund. Der Umsatz konnte dabei von 77 auf 106 Millionen Pfund gesteigert werden.

Dabei hilft Southampton auch das erstaunlich niedrige Budget für Spielergehälter – 55,2 Millionen Pfund hören sich für österreichische Verhältnisse zwar gewaltig an, bedeuten in der Premier League aber nur den 16. Platz in der Gehaltstabelle, vor Crystal Palace, Hull, Leicester und Burnley. Budget-Krösus Manchester United gibt mit 215 Millionen Pfund fast das Vierfache dessen aus, was den Saints zur Verfügung steht.

Erneuter Umbruch im Sommer

Erneuter Umbruch im Sommer
Morgan Schneiderlin deutet seinen Abgang an

Der Umbruch, der Southampton bevor stehen könnte, ist also nicht der, sich stark verbessernden, finanziellen Situation geschuldet, sondern dem Anspruchsdenken der Spieler.

Morgan Schneiderlin, der bereits seit 2008 in Southampton spielt und das „Gesicht“ des Vereines ist, wollte bereits im vergangenen Sommer wechseln und besteht dem Vernehmen nach darauf, zu einem Champions-League-Verein wechseln zu dürfen.

Ähnliches gilt für Rechtsverteidiger Nathaniel Clyne, der von nahezu allen englischen Top-Klubs gejagt wird und ebenfalls internationalen Fußball als Voraussetzung nennt.

Doch damit nicht genug: Victor Wanyama, der unermüdliche Abräumer im defensiven Mittelfeld wird mit zahlreichen Top-Klubs in Verbindung gebracht.

Toby Alderweireld, der von Atletico Madrid nur ausgeliehen ist, erweckt bei mehreren Vereinen aus dem In- und Ausland Interesse, der langzeitverletzte Jay Rodriguez steht nach wie vor bei Tottenham auf der Wunschliste und Graziano Pelle wird bei Lazio Rom als Klose-Nachfolger gehandelt.

Ohne internationalen Fußball hätten die Saints wohl schlechte Karten, aber selbst im Falle einer EL-Teilnahme wird es schwer, alle genannten zu halten. Denn auf Verrücktheiten wollen sich die Verantwortlichen nicht einlassen.

„Wir können uns nicht davor verstecken – Fakt ist, dass wir auf einem signifikanten Schuldenberg sitzen, den sich der Verein durch vergangene Entscheidungen aufgebaut hat. Wir brauchen jetzt eine starke Führung und ein starkes Management, um diese Schulden über die nächsten Jahre abzubauen. Es geht um das Bilden von Substanz, wir wollen auch in 15, 20 oder 30 Jahren noch hier sein“, so Geschäftsführer Gareth Rogers zum „Telegraph“.

Vertrauen in Ronald Koeman

Vertrauen in Ronald Koeman
Koeman sorgt für die beste Defensive der Liga

Sollten also entsprechende Angebote eingehen, wird sich Southampton in einigen Fällen erneut von Leistungsträgern trennen.

Dass das sportlich kein Beinbruch sein muss, zeigt die aktuelle Saison, in der die neu zusammengestellte Elf von Koeman von Beginn an im oberen Drittel mitmischen konnte.

Dem Niederländer traut man es zu, auf erneute Abgänge reagieren zu können und dementsprechend günstigeren Ersatz an Land zu ziehen.

So wird den Saints Interesse an Feyenoord-Kapitän Jordy Clasie nachgesagt, der den abwanderungswilligen Schneiderlin ersetzen könnte.  

Am niederländischen Nationalspieler sind einige internationale Top-Klubs interessiert, Koeman hat aber den Vorteil, dass er den 23-Jährigen in Holland bereits trainiert hat.

Auch Clasies Teamkollege Tonny Wilhenna, den man bereits im Winter verpflichten wollte, steht weiter auf der Wunschliste.

Weitere Gerüchte drehen sich um Burnley-Verteidiger Kieran Trippier, der Nathaniel Clyne ersetzen könnte, Tottenham-Winger Andros Townsend und um den, an Real Madrid ausgeliehenen, ManUtd-Stürmer Javier Hernandez.

Ausgerechnet Tottenham

Ausgerechnet Tottenham
Unter Mauricio Pochettino wurde man im vergangenen Jahr Achter

„Wir haben ein massives Spiel vor der Brust, und ich habe kein Interesse mit der Presse über die Zukunft und Verträge zu sprechen, wir müssen uns auf den Fußball konzentrieren“, zeigt sich Trainer Ronald Koeman vor dem Spiel genervt. „Bis zum Saisonende werde ich keine Fragen mehr dazu beantworten.“

Beim weichenstellenden Spiel gegen Tottenham kommt es nun ausgerechnet zum Wiedersehen mit Ex-Trainer Mauricio Pochettino, der die Saints nach der vergangenen Saison Richtung London verlassen hatte.  

„Er ist ein großartiger Trainer, mit dem wir viel erreicht haben, aber jetzt steht er auf der anderen Seite“, so Morgan Schneiderlin zur „BBC“.

„Wir gehen nicht mit dem Gefühl in das Spiel, dass es unsere Saison entscheiden wird. Denn wenn wir die nächsten vier Spiele nicht gewinnen, bringt uns auch ein Sieg in diesem Spiel nichts. Es wird ein entscheidender Monat, wir freuen uns alle auf diese Spiele. Wir wollen zeigen, dass wir Platz fünf oder sechs verdienen. Wir wollen ein Statement setzen.“

Ob es den Saints tatsächlich gelingt, dieses Statement zu setzen, und ob es sich dabei nicht eher um ein Abschiedsgeschenk handelt, werden die nächsten Wochen zeigen.

Mit dem FC Southampton ist in den nächsten Jahren aber wohl häufiger zu rechnen – egal in welcher Besetzung. Denn die Saints sind unter Ronald Koeman deutlich größer, als die Summe ihrer Einzelspieler.

 

Alexander Neuper