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Die Hoffnung ist zurückgekehrt nach Hamburg

Die Hoffnung ist zurückgekehrt nach Hamburg

49 Jahre, 24 Tage und 30 Minuten wird die Uhr im Stadion des Hamburger Sportvereins anzeigen, wenn die „Rothosen“ am Sonntag zum Gastspiel bei Eintracht Frankfurt einlaufen.

So lange ist das Gründungsmitglied der Bundesliga ununterbrochen erstklassig. Unter den Fans ging in letzter Zeit die Angst um, man müsse die Uhr im kommenden Mai auf Null zurückstellen. Doch nun ist alles anders. Die Hoffnung ist zurück in Hamburg. Und sie hat einen Namen: Rafael van der Vaart.

Neue Zeitrechnung

Der „Bundesliga-Dino“ pflegt seine eigene Zeitrechnung und so ließ sich der Hamburger Blätterwald nicht lumpen und rief kurzerhand den Beginn des „Rafaelianischen Kalenders“ aus. Über 1.000 Fans begrüßten van der Vaart bei seinem ersten Training für den HSV seit seinem Abschied im Jahr 2008, über 3.000 Trikots mit seiner Nummer 23 wurden bereits verkauft. „Die Fans lieben mich“, weiß auch der Holländer selbst, „ich bin glücklich, wieder hier zu sein.“

Mit dem „kleinen Engel“ soll alles anders werden. „Die Saison beginnt für uns erst am Sonntag richtig“, vermeldete Coach Thorsten Fink und weiß dabei nicht nur um van der Vaarts Qualitäten auf dem Platz: „Rafael nimmt Druck von den Kollegen und kann selbst damit umgehen. “ Ein Umstand, der im medialen Haifischbecken Hamburg kein unwichtiger ist. Zudem lenkt auch Gattin Sylvie von so manchem Problemchen ab. Die Hansestadt hat sein Traumpaar wieder, es scheint, als wäre nach vier Jahren Regen die Sonne über Hamburg wieder aufgegangen.

Der erfahrene Van der Vaart selbst bleibt trotz der Euphorie, die seine Rückkehr entfacht, gelassen: „Druck ist natürlich immer da. Vor allem, wenn man zu einem Verein zurückkommt, wo man schon einmal gut gespielt hat. Die Leute erwarten viel. Das Einzige, was ich jetzt machen kann, ist gut zu spielen und der Mannschaft zu helfen. Dann müssen wir gucken, ob das am Ende reicht.“ 

Bleibt die Frage, ob Van der Vaart alle Probleme des HSV vergessen machen kann.

  • Der Sportdirektor

Frank Arnesen ist angezählt. Vor der vergangenen Saison kam der Däne mit vielen Vorschusslorbeeren an die Elbe. Angeblich soll der ehemalige Chelsea-Sportdirektor das dickste Notizbuch im europäischen Fußball besitzen. Die Hamburger konnten sich davon bisher aber nicht überzeugen, bei den Hanseaten macht der 55-Jährige einen unglücklichen Eindruck.

Vor dem Hintergrund der leeren Klub-Kassa waren für Arnesen große Sprünge nicht zu bewerkstelligen. Allerdings musste er bereits nach seinen ersten Transfertätigkeiten – der Massenverpflichtung von Reservisten seines Ex-Klubs – Kritik einstecken. Aus der „Chelsea II“-Fraktion konnte sich einzig Gökhan Töre ins Rampenlicht spielen. Der 20-Jährige avancierte mit sieben Assists zum besten HSV-Vorbereiter der vergangenen Saison – und wurde sogleich an Rubin Kazan verkauft.

Mit Mladen Petric (7) sowie Paolo Guerrero (6) wurden zudem die beiden besten Torschützen abgegeben und David Jarolim – der passsicherste Hamburger (22 Spiele, 93 % angekommene Pässe) – aussortiert.

Braucht man Arnesen?

Adäquater Ersatz wurde von Arnesen nicht verpflichtet. Artem Rudnev (letzte Saison 22 Tore für Lech Posen) war ihm 3,5 Millionen wert, wartet aber noch auf seinen Durchbruch. Mit Rene Adler wurde zweifelsfrei ein Top-Keeper ablösefrei geholt. Da es Arnesen aber nicht gelang, den ebenfalls zuverlässigen Jaroslav Drobny an den Mann zu bringen, stehen nun zwei erstklassige, aber auch teure Schlussmänner auf der Gehaltsliste des HSV.

Erst die Last-Minute-Transfers werteten den Kader qualitativ wieder auf. Der Haken an der Sache?  Ausgerechnet den Königstransfer von Rafael van der Vaart kann sich der Arnesen nicht auf die Fahnen schreiben. Zum einen wäre die Verpflichtung der Hamburger Lichtgestalt ohne das großzügige Darlehen von Investor Klaus-Michael Kühne nicht zu stemmen gewesen. Zum anderen hatte Arnesen seine Finger  bei den Verhandlungen mit Tottenham – für die er 2004/05 selbst tätig war - kaum im Spiel, Marketing-Vorstand Joachim Hilke wickelte den Deal ab.

Auch der Transfer von Petr Jiracek als Konsequenz aus dem miserablen Saisonstart ging nicht von Arnesen aus. Wie die „Welt“ berichtete, habe sich der Tscheche ob der fehlenden Perspektive bei Wolfsburg selbst dem HSV angeboten.

Vorwürfe im Badelj-Transfer

Den Wechsel von Milan Badelj vollzog Arnesen hingegen höchstselbst. Doch dieser brachte ihn in Bedrängnis. „Das war ein ganz schlechtes Geschäft für den HSV, weil unnötig viel Ablöse und ein zweiter Berater gezahlt wurden. Der Vertrag des Spielers lief aus, er wollte auf keinen Fall verlängern, sondern zum HSV wechseln“, erzählte Badeljs Berater Dejan Joksimovic der „Sport Bild“. Daraufhin musste Arnesen, mit Anwalt im Schlepptau, zum Rapport beim HSV-Aufsichtsrat antreten, der ihm jedoch nach einem vierstündigen Gespräch das Vertrauen aussprach.

Rettet van der Vaart Arnesen den Kopf?

Der als „Wunderwuzzi“ Gepriesene, der den HSV-Umbruch vorantreiben sollte, sieht sich mittlerweile mit Vorwürfen konfrontiert, vor allem auf dem deutschen Markt die nötige Fachkompetenz vermissen zu lassen. Van der Vaart und sportlicher Erfolg könnten den angeschlagenen Sportdirektor aber zumindest vorübergehend aus der Schusslinie nehmen.

  • Das Umfeld

Viele Köche verderben bekanntlich den Brei. Und in Hamburg kocht so mancher sein eigenes Süppchen. Nicht nur die lebhafte Medienlandschaft macht die Arbeit beim HSV schwer. Die groß aufgestellte Führungsriege, in der auch die Fans durch ein Vorstandsmitglied vertreten sind, hat seine Tücken, wenn es darum geht, Entscheidungen durchzubringen.  

Ex-HSV-Coach Armin Veh, am Sonntag mit Frankfurt Gegner des HSV, bestätigt gegenüber „Bild“ rückblickend dieses schwierige Umfeld: „Es gab nur Probleme mit der oberen Etage, weil dort ein ständiges Hauen und Stechen war. Und das wurde oft über die Medien ausgetragen. Es gab ständig Intrigen. Es lähmt einen Klub, wenn nicht an einem Strang gezogen wird, sondern jeder nur seine eigenen Interessen verfolgt.“

Aktuell sorgt Gönner Klaus-Michal Kühne, der stets betont, sich nicht in die das operative Geschäft der Hamburger einmischen zu wollen, für Aufregung. Nachdem der Transportunternehmer Van der Vaarts Transfer mitfinanziert hat, übt er gegenüber der „Welt am Sonntag“ Kritik an der Führung des HSV:  "Die Sportdirektion macht dort keinen guten Job, der Vorstandschef schaut mir zu sehr auf die Zahlen.“

Die Möglichkeiten in der Metropole Hamburg sind groß, allerdings gelingt es dem HSV seit Jahren nicht, die Kräfte optimal zu bündeln. Der Verein ist anfällig für Störfeuer von außen und innen.

  • Mannschaft und Trainer

Konstanz wird beim HSV nicht groß geschrieben. Seit Huub Stevens (Februar 2007 bis Juni 2008) schaffte es kein Trainer mehr, länger als ein Jahr im Amt zu bleiben. Martin Jol kratzte knapp daran, suchte im Sommer 2009 aber freiwillig das Weite. Für Bruno Labbadia war nach knapp zehn Monaten Schluss, auf ihn folgte für zwei Monate interimistisch Ricardo Moniz. Armin Veh wurde nach acht Monaten von Michael Oenning abgelöst, der sich sechs Monate versuchen durfte.

Thorsten Fink hat mittlerweile 11 Monate als HSV-Coach auf dem Buckel.  Bisher war der 44-Jährige von Kritik ausgenommen. Zu offensichtlich waren die Qualitäts-Defizite, die sein Team aufwies. Doch mit der neu entfachten Euphorie steigt auch die Erwartungshaltung und Finks Bilanz (sechs Siege in 30 Spielen) wird sich deutlich verbessern müssen. Ansonsten werden die in Hamburg so gebräuchlichen Mechanismen greifen.

Auch innerhalb der Mannschaft ist Konstanz eher ein Fremdwort. Dennis Aogo hat unter den aktuellen Kaderspielern mit 106 die meisten Bundesliga-Einsätze für den HSV. Viele gute Spieler gingen in Hamburg ein und aus, doch nicht immer waren es die richtigen. Selbst Leistungsträger wie Guerrero oder Petric sorgten zeitweise mit Eskapaden für Unruhe im Team. 

Rafael van der Vaarts Aufgabe wird es auch sein, den Laden als Leithammel zu führen und zusammenzuhalten. Hätte man von Anfang an gewusst, dass es mit seiner Verpflichtung klappen würde, dann stünden seine beiden Neo-Kollegen Badelj und Jiracek wohl jetzt nicht im Kader. Das Tauziehen um den Niederländer bescherte den Hanseaten nun aber ein neues Prunkstück - das zentrale Mittelfeld – welches sich als Glücksfall herausstellen könnte.

Mit van der Vaart wird alles gut

Jiracek, der eine starke EM spielte, als laufstarker Sechser gemeinsam mit dem eigentlich als Spielmacher geholten Badelj, der aus der Etappe die Fäden zieht. Davor der geniale van der Vaart als Verbindung zum Sturm.

Dort schafft mit den Vorlagen des „kleinen Engels“ Rudnev den Durchbruch oder es gar HSV-Rekordtransfer Marcus Berg, seinen Status als Mega-Flop noch abzuwenden. Westermann rückt zurück in die Innenverteidigung und stabilisiert die Abwehr. Wenn dann noch Akteure wie die ehemaligen Nationalspieler Aogo oder Marcel Jansen im Schatten van der Vaarts ihr Potenzial abrufen, ja, dann wird alles gut.

Zumindest hoffen das die Fans des Hamburger Sportvereins.

 

Christoph Kristandl