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"Wer uns bezwingen will, muss Blut spucken"

"Es ist unglaublich - Griechenland ist Europameister. Heute müssen alle Griechen feiern, egal, ob in Deutschland, Australien oder sonst wo. Das ist der beste Augenblick meines Lebens. Ich bin stolz, dass ich ein Grieche bin."

Diese Worte stammen vom einzigen Torschützen des EM-Finals 2004 zwischen Gastgeber Portugal und Griechenland, Angelos Charisteas, der seine Mannschaft überraschend zum Europameister köpfte.

Zehn Jahre ist dies nun her. Das Jubiläum wurde am Jahrestag mit einem Testspiel zwischen den damaligen Endspiel-Gegnern begangen, welches erneut in Lissabon stattfand und dieses Mal 0:0 endete.

In der Zwischenzeit wurde das Land stark gebeutelt, Finanzkrise, Arbeitslosigkeit, Armut. Die Aussichten sind nicht gerade rosig. Dennoch - das Wunder unter "König Otto", eine der größten Sensationen der Fußball-Geschichte, bleibt unvergessen.

Unorthodoxe Mittel

Das Team war zudem das erste, das mit einem ausländischen Trainer - dem Deutschen Otto Rehagel - bei Welt- oder Europameisterschaften einen Titel gewinnen konnte.

"Rehakles", der sein Team bei der EURO 04 gelegentlich mit zwei Vierer-Abwehrlinien verteidigen ließ und dahinter zur Absicherung einen Libero aufbot, trainierte Griechenland von 2001 bis zur WM 2010.

Sein portugiesischer Nachfolger namens Fernando Manuel Costa Santos, der ebenfalls verstärkt auf die Defensive setzt, wird nach der WM aufhören.

Keine gute WM-Bilanz

Zuvor möchte er jedoch noch die Bilanz der Griechen bei Weltmeisterschaften aufpolieren.

Zwei Teilnahmen haben die Hellen bislang zu Buche stehen. Beide Male flogen sie bereits in der Vorrunde raus, 1994 in den USA mit 0:10 Toren, 2010 gelang gegen Nigeria immerhin der erste und - bislang - einzige Sieg.

Bei Europameisterschaften sieht das Ganze - nicht zuletzt aufgrund des Titels - besser aus. Bei vier Teilnahmen (1980, 2004, 2008, 2012) schied man zweimal in der Vorrunde aus, holte einmal den Titel und 2012 war im Viertelfinale beim 2:4 gegen Deutschland Endstation.

Trotz einer guten Qualifikation - Griechenland lag mit 25 Punkten punktgleich mit dem Ersten Bosnien-Herzegowina auf Platz zwei seiner Quali-Gruppe - sicherten sich die "Ethniki" erst nach den Playoff-Spielen gegen Rumänien (3:1-Heimsieg und einem 1:1) das WM-Ticket nach Brasilien.

Routiniers

Zwei der Helden von 2004, die sich den Turniersieg kritischen Stimmen zufolge regelrecht "ermauerten" (in allen K.o.-Runden setzte sich Griechenland jeweils mit 1:0 durch), sind auch heuer noch dabei: Der 34-Jährige Konstantinos Katsouranis (PAOK Thessaloniki) und Rekordnationalspieler Giorgos Karagounis (Fulham FC).

Der inzwischen 37-Jährige mit der Nummer 10 ist die tragische Figur der Griechen: Er war 2004 im Finale ebenso aufgrund einer Gelben Karte gesperrt wie acht Jahre später im Viertelfinale gegen Deutschland.

"Ich war das letzte Opfer, danach wurde das Reglement geändert, das stinkt", so der Altmeister, der von seinen Landsmännern vor allem aufgrund seiner 100-Prozent-Mentalität vergöttert wird und durch seine Kampfkraft und Standard-Künste überzeugt.

Bereits vor zwei Jahren vermutete man, es könnte sein letztes Turnier sein. Doch nun ist er erneut dabei.

Bekannte Gesichter

Daneben sind die wohl bekanntesten Akteure im aktuellen Kader der Hellenen Celtic-Stürmer Giorgos Samaras und Dortmund-Verteidiger Sokratis. Der 26-jährige BVB-Akteur bestritt für Griechenland bislang 47 Länderspiele und kam schon bei der WM 2010 in Südafrika sowie bei der EURO 2012 in Polen und der Ukraine zum Einsatz. Gemeinsam mit dem Schalker Kyriakos Papadopoulos soll er für Sicherheit in der Defensive sorgen.

Im Angriff ist Konstantinos Mitroglou für Torgefahr zuständig. Der 26-Jährige steuerte im Quali-Playoff alle vier Tore bei und hatte somit maßgeblich Anteil am WM-Ticket. Zudem sorgte er mit Olympiakos in der Champions League für Furore, gegen Anderlecht gelang ihm sogar ein Hattrick. Seit Beginn des Jahres spielt er bei Fulham, doch nach dem Abstieg ist sein Verbleib bei dem von Felix Magath gecoachten Club fraglich.

Unbekannte Gegner

In der Gruppe C trifft "das Piratenschiff" auf Kolumbien, Japan und die Elfenbeinküste – bislang keine guten Gegner für die Hellenen, gab es doch noch in keiner Begegnung mit diesen drei Ländern einen Sieg.

Das einzige Duell gegen Kolumbien endete 0:2, das war 1994 in einem Testspiel vor der WM. Auch gegen Japan gab es erst eine einzige Partie beim Confederations Cup in Deutschland 2005, die die Asiaten mit 1:0 gewannen.

Gegen die Elfenbeinküste hat die griechische Nationalmannschaft noch nie gespielt.

"Blut spucken" und Freude bereiten

"Wir sind nicht die Besten. Aber wer uns bezwingen will, muss Blut spucken", kündigt Coach Santos selbstbewusst an. Auch der Teambus macht Mut: "Helden spielen wie Griechen" ist das Motto, welches auf dem Mannschaftsgefährt prangt.

Die WM-Teilnahme ist für das Land angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage bereits ein riesiger Erfolg. "Das Wichtigste ist, dass wir in Brasilien dabei sind", sieht das Defensivspieler Dimitris Siovas (Olympiakos Piräus) ähnlich. "Die Leute in Griechenland gehen durch schwere Zeiten. Was wirklich wichtig ist, ist also, dass wir ihnen ein wenig Freude bereiten."

Die Mission des Teams bei der WM lautet somit, dem krisengeschüttelten Volk Ablenkung und dem scheidenden Trainer einen versöhnlichen Abschluss zu bieten. Bereits nach den erfolgreichen Playoff-Spielen zeigte sich der Portugiese gerührt: "So etwas habe ich noch nie erlebt. Die Griechen haben mich ins Herz geschlossen."

Alles andere als ein Aus in der Vorrunde wäre eine Überraschung. Doch Griechenland hat 2004 hinreichend bewiesen, dass es für die ein oder andere Überraschung gut ist …

 

Henriette Werner