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Die Akte Gomez

Die Akte Gomez

Da war er wieder einmal. Der berühmt-berüchtigte Torinstinkt.

Viele Spieler hätten ihn gerne, nur wenige haben ihn. Mario Gomez ist einer davon.

In der 43. Minute des Europa-League-Semifinal-Rückspiels zwischen der AC Fiorentina und Dynamo Kiew flankte Joaquín in den Strafraum der Ukrainer. Mario Gomez hielt das Knie bzw. Schienbein hin und der Ball kullerte ins Tor. Der Grundstein zum Europacup-Semifinal-Einzug (Hinspiel, Sevilla-AC Fiorentina heute ab 21.05 Uhr im LAOLA1-LIVE-Ticker) war gelegt.

Inwiefern diese technische Einlage beabsichtigt war, bleibt umstritten, mancherorts war gar von „Gomez stolpert die Fiorentina in die nächste Runde“ zu lesen. Das nötige Glück mag also sicherlich vorhanden gewesen sein, zweifelsohne fest steht aber: Der Deutsche stand wieder einmal im richtigen Moment am richtigen Ort im Strafraum.

Eine Eigenschaft, die der aussterbenden Art der reinen Strafraumstürmer anhaftet. Hier liegt aber ebenso das Problem des Deutschen. Tore definieren seine Daseinsberechtigung. Bleiben diese mal aus, gerät Gomez schnell ins Kreuzfeuer der Kritik.

Ein Tanz auf dem Drahtseilakt, der dem noch dazu verletzungsanfälligen Gomez bereits ein Wechselbad der Gefühle in Florenz bescherte.

Vom FCB-Abstellgleis zum Fiorentina-Königstransfer

Juli 2013. Ein brütend heißer Sommertag in der Toskana. Ein Tag, an den wohl niemand gerne freiwillig die kühlen eigenen vier Wände verlassen würde. Außer in Florenz. Dort versammelten sich 25.000 Zuschauer im Stadio Artemio Franchi. Grund war aber kein Pflichtspiel, die Meisterschaft sollte erst ein Monat später in die neue Saison starten, sondern ein einzelner Spieler: Mario Gomez.

Über einen Monat dauerten die zähen Verhandlungen mit dessen bisherigem Arbeitgeber Bayern München. Beim amtierenden Champions-League-Sieger war für den Strafraumstürmer kein Platz mehr. Mit einer Sprunggelenkverletzung in die Saison 2012/2013 gestartet, musste er schon bald auf Dauer seinen Stammplatz an Konkurrent Mario Mandzukic abgeben.

FCB-Flucht vor Guardiola und Mandzukic

Die spielerischen Defizite hatten den Ausschlag gegeben. Der mitspielende kroatische Stürmer, der sich für das Team aufopfert und beim Spiel gegen den Ball mithilft, stand in der Pole Position. Die konsequent auf Zuspiele lauernde Spitze war unerwünscht. Als dann auch noch der ähnlich denkende Trainer Pep Guardiola in der neuen Saison andockte, war der Abgang von Gomez beschlossene Sache.

Frenetischer Empfang

Da half ihm auch nicht mehr die sensationelle Trefferquote: 113 Tore in 174 Pflichtspielen. Umso größer die Erleichterung in Florenz, als der Torjäger schließlich für rund 16 Millionen zur Viola wechselte. Gomez erhielt einen Empfang, den sonst nur Stars aus Madrid oder Barcelona kennen.

Plakate wie „Mit Mario ist nichts unmöglich“ spiegelten die gestiegene Erwartungshaltung wider. Auch die italienischen Medien schürten die Euphorie: „Florenz ist in ein Gomez-Fieber gestürzt.“ (Corriere dello Sport) oder „Klubchef Andrea Della Valle schenkt Trainer Vincenzo Montella den Spieler, der den Unterschied machen kann.“ (La Repubblica).

Und den Unterschied machte Gomez bereits am 2. Spieltag beim FC Genua, als er beim 5:2-Sieg doppelt traf und ein weiteres Tor vorlegte. Überschwänglich empfangen, Liebling der Fans, perfekter Einstand? Die „Gomezmania“ war in vollem Gange. Der Doppelpack sollte aber der letzte Höhepunkt für längere Zeit bleiben.

Misslungene Debüt-Saison

Denn in der dritten Runde gegen Cagliari verletzte sich Gomez schwer. Diagnose: Innenbandriss. Folge: Monatelanger Ausfall.

In Cagliari begann die Verletzungsmisere

Als er Ende November wieder voll belastbar war, folgt der nächste Dämpfer. Eine Routine-Untersuchung bei DFB-Vertrauensarzt Dr. Müller-Wohlfahrt brachte eine Entzündung im Knie zum Vorschein, welche eine weitere Pause in den nächsten Monaten besiegelte.

Schlussendlich gab Gomez ganze fünf Monate nach der verhängnisvollen Verletzung gegen Cagliari sein Comeback im Februar 2014. Ein durchaus erfolgreiches, traf er doch bald darauf gegen Chievo und in der Europa League bei Juventus.

Doch das Verletzungspech blieb Gomez treu. Ende März setzt ihn eine Bänderzerrung im linken Knie für die restlichen Liga-Spiele außer Kraft.

Der schwerste Rückschlag sollte aber noch kommen. Anfang Mai erfuhr er von Bundestrainer Joachim Löw, dass er nicht im Kader für die WM 2014 in Brasilien aufscheinen würde.

„Ein Anruf vom Trainer, der schmerzt. Bis zuletzt habe ich daran geglaubt, rechtzeitig fit zu werden. Aber leider haben mich die Verletzungen in diesem Fussballjahr immer wieder zu sehr zurückgeworfen und am Ende hat es nicht gereicht - die hässlichste Saison meiner Karriere endet mit einem weiteren Rückschlag. Fast sieben Monate Knieverletzung waren einfach zu viel.“

Holpriger Saisonstart

Die erste Saison in Florenz entwickelte sich also zu einer Seuchen-Saison.

Umso motivierter startete Gomez in die neue Spielzeit, scorte gleich fünf Mal in vier Testspielen im Sommer. Zudem durfte er nach beinahe einem Jahr wieder für die deutsche Nationalmannschaft auflaufen.

Doch der Saisonstart verlief trotzdem alles andere als vielversprechend. Beim Freundschaftsspiel gegen Argentinien (2:4) wurde er nach vergebenen Chancen gnadenlos ausgebuht. Zurück im Verein verletzte er sich gleich wieder am 3. Spieltag bei Atalanta, diesmal zwickte der Oberschenkel.

Erst Ende Oktober sollte Gomez erstmals seit längerer Zeit wieder regelmäßig Spielzeit sammeln können. Doch sorgten davor die verletzungsbedingten Ausfälle für Aufregung, konnten diesmal die sportlichen Leistungen nicht mit den Erwartungen mithalten.

Sportlich in der Kritik

Der Torjäger traf nicht mehr das Tor. Gerade mal ein Treffer in zwei Monaten Comeback-Zeit standen zu Buche. Die italienische Presse, bei seinem Transfer noch sein größter Fan, schoss sich schnell auf seine Ladehemmung ein.

Als er dann auch noch bei der Liga-Pleite in Parma (0:1) Anfang Jänner den Ausgleich mit einem schwach geschossenen Elfmeter kläglich vergab, war das Buhmann-Image perfekt.

Eine Woche später mischte sich auch Trainer Montella in die Diskussion ein. Wer dachte, dieser würde seinem Schützling zur Seite stehen, irrte aber gewaltig. Er goss vielmehr weiteres Öl in die ohnehin schon feurige Diskussion:

„Ich erwarte mehr von ihm. Er ist ein wichtiger Spieler. Er erlebt eine psychologische Blockade, denn er ist nicht der Spieler, der in der Vergangenheit bewundert wurde.“

Montella verzichtete auf Rückendeckung

Zu guter Letzt versetzte Montella Gomez noch einen Tiefschlag und legte ihm indirekt gar das Karriereende nahe.

"Als ich gemerkt habe, dass ich nicht mehr auf dem Niveau spielen konnte, das meine Karriere gekennzeichnet hat, habe ich aufgegeben, auch wenn ich noch ein Jahr Vertrag vor mir hatte. Ich habe begriffen, dass mein Abenteuer mit dem Fußball zu Ende war.“

Die "Corriere della Sera" fasste die Misere zusammen: „Gomez ist für AC Florenz zum Problemfall geworden.“

Auf dem Weg zurück?

Der vermeintliche Problemfall antwortete auf stilvolle Art, indem er seinen Verein mittels zweier Doppelpacks gegen Atalanta (3:1) und Roma (2:0) praktisch im Alleingang ins Coppa-Halbfinale schoss.

Nichtsdestotrotz fand sich Gomez in den Wochen danach öfters auf der Ersatzbank wieder. Kleine Wehwehchen wie die Anfang März erlittene Bänderverletzung erleichterten nicht gerade eine dauerhafte sportliche Auferstehung, auf die er seither wartet.

Denn auch wenn er Ende März noch im Doppelpack gegen Udinese traf, steht fest: So wirklich angekommen ist Gomez noch nicht in Florenz.

Trotzdem wird weiterhin auf ihn gebaut. Vor allem im Europacup wird gerne auf die Erfahrung (40 Tore in 75 Spielen) des 29-Jährigen zurückgegriffen.

Ein möglicher EL-Titel würde die Sachlage schlagartig ändern.

Dessen ist sich der in der Kritik und möglicherweise auch in Bringschuld stehende Angreifer selbst bewusst: „Ich kann nicht ändern, wie die letzten zwei Jahre gelaufen sind. Deshalb schaue ich lieber nach vorne. Unser Ziel ist der Europa-League-Titel in Warschau.“

Da wäre es doch ein gelungener Start, wenn Gomez Florenz erstmals gegen Sevilla ins Endspiel schießt. Oder stolpert.

 

Andreas Gstaltmeyr