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Viktoria Pilsen: Die tschechische Wundertüte

Viktoria Pilsen: Die tschechische Wundertüte

Es war ein weiter Weg, den Viktoria Pilsen gehen musste, um dort anzukommen, wo es nun steht.

Aus dem ewigen Mitläufer der tschechischen Liga, der insgesamt sieben Mal seinen Vereinsnamen änderte, wurde ein renommierter Vorzeigeklub, der am Donnerstag den SK Rapid in der Gruppenphase der Europa League fordert.

Allerdings erst aufgrund der Erfolge in der jüngeren Vergangenheit. Denn an Meistertitel oder Vorstöße auf europäischer Ebene war vor 2010 nicht zu denken.

1911 gegründet konnten die Westböhmen im Vorjahr den dritten Meistertitel ihrer Vereinsgeschichte bejubeln.

Wo Cech und Nedved ihre Karriere starteten

Zwar tauchen eine Handvoll weltbekannter Stars auf der Liste ehemaliger Spieler auf, diese machten allerdings woanders große Karriere.

Etwa Petr Cech, die Chelsea-Legende, welche nun in Diensten des FC Arsenal steht und von 1989 bis 1999 in der Jugend Pilsens geformt wurde.

Oder aber der Vize-Europameister von 1996, Pavel Nedved, heute Sportdirektor von Herzensverein Juventus Turin, wo er nach seiner Ausbildung in Pilsen (bis 1991) seine größten Erfolge feiern konnte.

Aktuell ist Pilsen nicht nur in der Position des Meisterschafts-Mitfavoriten, sondern stellt auch viele tschechische Nationalspieler, welche sich erfolgreich für die EURO 2016 qualifizieren konnten.

Rapid strebt an, was Pilsen schon kennt

Rapid wird es gegen das starke Ensemble nicht leicht haben. Auch wenn in zwei EL-Spielen nur ein Sieg gegen Dinamo Minsk herausschaute, hat Pilsen den Grün-Weißen etwas voraus.

Denn gleich drei Mal konnten die Tschechen im Europacup überwintern: 2011, als man als Gruppendritter in der Champions League nach dem Umstieg in die Europa League im Sechzehntelfinale nach Verlängerung an Schalke scheiterte.

2012 holte man vor Atletico den EL-Gruppensieg, schaltete Napoli aus, scheiterte im Achtelfinale aber an Fenerbahce. Und 2013 sicherte man sich in der Königsklasse hinter Bayern und Man City Rang drei, warf nach dem EL-Umstieg Shakhtar Donetsk aus dem Bewerb und verlor dann gegen Lyon.

Statt Stars steht das Kollektiv im Vordergrund. Doch wer oder was macht Viktoria Pilsen so stark und unangenehm?

LAOLA1 hat einige Stützen des tschechischen Meisters unter die Lupe genommen:

Kozacik duelliert sich mit Landsmann Novota

NOVOTAS SLOWAKISCHER KONKURRENT:

Erst kürzlich standen zwei Kontrahenten des Duells Rapid gegen Pilsen noch in ein und demselben Kader. Im slowakischen Nationalteam ist Viktorias Rückhalt Matus Kozacik die Nummer eins, zum Leidwesen von Rapid-Keeper Jan Novota. Im Europa-League-Aufeinandertreffen dürfen beide spielen und die Nummer eins der Wiener will seinem Kontrahenten diesmal nicht den Vortritt lassen. Beide sind 31 Jahre alt und seit geraumer Zeit erste Wahl zwischen den Pfosten. Kozacik hatte mit 29 Einsätzen in der Meistersaison 2014/15 maßgeblichen Anteil am Titel, hält in der Liga aktuell nach zehn Einsätzen bei elf Gegentoren und einem in zwei Spielen in der Europa-League-Gruppenphase. Auch zur erfolgreichen EM-Qualifikation der Slowakei leistete der Pilsen-Torhüter Mithilfe, stand er doch in allen Spielen im Gehäuse und verwies entweder Jan Mucha oder eben Novota auf die Bank. Auch die Pilsener Michal Duris und Patrik Hrosovky spielen mit beiden im slowakischen Team.

Prochazka darf erst im Rückspiel ran

DER FELS IN DER BRANDUNG:

Die beste Nachricht aus Rapid-Sicht gleich zu Beginn: Vaclav Prochazka ist in Wien gegen die Grün-Weißen nach seiner Gelb-Roten-Karte in der 80. Minute gegen Villarreal gesperrt. Die schlechte: Im Rückspiel wird er definitiv wieder dabei sein. Der Ersatz-Kapitän zählt nämlich prinzipiell zum Stamm und verleiht nicht nur Viktoria Pilsen sondern auch dem erfolgreich für die EURO 2016 qualifizierten tschechischen Nationalteam die nötige Kompaktheit in der Innenverteidigung. Im abschließenden Spiel gegen die Niederlande sah man jedoch, dass auch der 31-Jährige fehleranfällig ist und gleich an mehreren Gegentreffern nicht unbeteiligt war. Trotzdem ist er mit seiner Robustheit und Kopfballstärke eine wichtige Konstante im Spiel der Pilsener, die es erst einmal zu ersetzen gilt. Für ihn muss im ersten Aufeinandertreffen mit Rapid ein anderer in die Bresche springen. Aller Voraussicht nach wird dies Lukas Hejda sein, der bereits gegen Villarreal nach Prochazkas Ausschluss dessen Position in der Viererkette einnahm.

Horava treibt Pilsens Spiel an

DER DYNAMISCHE CENTER:

Gestatten, Tomas Horava! Der offensive, zentrale Mittelfeldspieler, der im Notfall auch defensiver agieren kann, ist das Um und Auf im Spiel der Tschechen und stand vor allem in den letzten Spielen im Fokus. Auch Rapid-Chefscout Bernard Schuiteman, der Pilsens erfolgreiche Generalprobe gegen Aufsteiger FC Zlin (4:2) beobachtete, hob die Nummer sieben hervor - vor allem aufgrund seiner Dynamik. Unter anderem wird diese auch mit Torerfolgen belohnt. In zehn Liga-Einsätzen ließ es der 27-Jährige, der 2013 von Sigma Olmütz nach Pilsen übersiedelte, zwei Mal krachen, in der Europa-League-Gruppenphase bisher einmal mit einem Kopfballtor beim 2:0-Auftakterfolg gegen Dinamo Minsk. Und auch aus österreichischer Sicht ist der auffällige Ballverteiler kein Unbekannter. Im letzten Spiel vor dem Start der erfolgreich gestalteten EM-Qualifikation siegte das ÖFB-Team in Olmütz mit 2:1. Den zwischenzeitlichen Ausgleich erzielte Horava, der damals mit einigen Pilsen-Kollegen von heute auf dem Platz stand.

Duris überrascht als Knipser

DIE TORMASCHINE:

Michal Duris darf man durchaus als Knipser bezeichnen. Der Knoten beim 27-jährigen Slowaken ist aber erst in dieser noch jungen Saison geplatzt. Magere vier Liga-Saisontreffer landeten in der vergangenen Meistersaison auf seinem Konto, in der Saison davor auch nur fünf. Aufgrund dieser Bilanz ist der 12-fache Internationale heuer regelrecht explodiert. Obwohl er zu Beginn der Saison eigentlich nur als Reservist eingeplant war. Der Stürmer, der früher auch auf den Seiten zum Einsatz kam, erzielte in neun Liga-Einsätzen bisher neun Treffer - eine hervorragende Quote! Dazu kommt noch ein Tor in der Europa-League-Quali gegen Vojvodina Novi Sad. Dafür steht auf Nationalteam-Ebene noch die Null in puncto Zählbares. Duris ist aber mehr als nur eine Tormaschine, arbeitete in den EL-Duellen sehr viel und hatte auch immer wieder das Auge für den Mitspieler. Ihn gilt es aus Rapid-Sicht unter Kontrolle zu bringen. Denn Pilsen hat in Duris derzeit jenen Knipser, den die Grün-Weißen im Moment vermissen.

Limbersky sorgt für Aufregung

DER SKANDAL-BOY:

Durch die sportliche Brille betrachtet ist David Limbersky durchaus ein verdienstvoller Spieler. Mit 32 Jahren längst ein Routinier hat der linke Außenverteidiger 277 Spiele für Viktoria Pilsen auf dem Buckel und erzielte 17 Tore. Zudem hat er als einer der wenigen mit Modena eine Auslandsstation in seiner Vita stehen. Zusätzlich wären da noch 34 Einsätze für das tschechische Nationalteam. Aufgrund der Vorfälle in den vergangenen Wochen gerieten diese Statistiken jedoch ins Hintertreffen. Der Defensivspieler fährt nur wenige Tage, nachdem er Tschechien mit seinem Treffer zur EM-Teilnahme schoss, seinen teuren Bentley unter Alkoholeinfluss (1,5 Promille) in Prag gegen einen Laternenpfosten, flüchtet vom Unfallort und bedroht, als er doch aufgegriffen wird, die Polizisten. "Für den Verein stellt der Vorfall einen absolut inakzeptablen Bruch mit Vertragsinhalten dar", hieß es in einer Mitteilung des tschechischen Erstligisten, der eine Geldstrafe von "in Pilsen nie dagewesener Höhe" aussprach. Außerdem droht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Zudem wurde er nicht nur aus dem Nationalteam ausgebootet, sondern dem erfahrenen Spieler wurde bei Pilsen auch das Kapitänsamt entzogen. Nichtsdestotrotz stand er drei Tage später beim 4:0 gegen Pribram wieder am Platz und erzielte zwei Treffer. Beim Torjubel folgte der nächste Skandal, von Reue keine Spur: Limbersky feiert eines seiner Tore, indem er seine dumme Aktion nachstellt und ein Vehikel pantomimisch unkoordiniert steuert.

Vrba trainiert Tschechien, Krejci coacht Pilsen

DER 2. ERBE DER TRAINER-IKONE:

Karel Krejci hat es nicht leicht, auch wenn seine noch kurze Amtszeit als Trainer von Viktoria Pilsen durchaus erfolgsversprechend begann. Denn sein Vorgänger Miroslav Koubek musste aufgrund der verpassten Champions-League-Quali und schlechter Liga-Ergebnisse trotz des erst kurz davor fixierten Meistertitels nach nur einer Saison seinen Hut nehmen. Die Erwartungshaltung in Pilsen ist in den letzten Jahren ins Unermessliche gestiegen und Schuld daran hat Erfolgstrainer und Trainer-Ikone Pavel Vrba. Der 51-Jährige, der 2014 zum tschechischen Nationaltrainer befördert wurde und in dieser Funktion erfolgreich die EM-Qualifikation schaffte, übernahm Pilsen 2008 im Mittelmaß der Liga. Kontinuierlich formte Vrba eine konkurrenzfähige Mannschaft, die sich 2011 und 2013 die ersten zwei Meistertitel der Vereinsgeschichte sichern konnte. Zudem wurde in diesen beiden Jahren auch die Champions-League-Teilnahme fixiert, wo man u.a. auf Top-Teams wie Bayern München und Manchester City traf. Auch diese Saison gilt Pilsen neben Sparta Prag zu den Anwärtern auf den nationalen Titel. Aktuell hat Pilsen nach einer starken Aufholjagd mit sechs Siegen in sechs Liga-Spielen (9 Siege in 10 bewerbsübergreifenden Pflichtspielen) unter Krejci punktemäßig zu Sparta aufgeschlossen und liegt auf Rang zwei. Die Erfolgsserie verwundert nicht weiter, hat der Neo-Coach doch die Arbeit Vrbas als dessen Assistenz-Trainer hautnah miterlebt. Er soll nun die in die Fußstapfen des Meistermachers treten.

 

Alexander Karper