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Die vielen Brandherde beim FC Bayern München

Die vielen Brandherde beim FC Bayern München

"Der FC Hollywood ist zurück", war in den letzten Tagen immer öfter zu vernehmen.

Gemeint ist natürlich der FC Bayern, der aufgrund zahlreicher Eskapaden und Scharmützel in den 90er-Jahren diesen Beinamen bekam.

Die Ereignisse der vergangenen Woche erinnerten stark an jene Zeit, als sich der Verein häufig selbst im Weg stand und die Medien nicht mehr durch sportliche Leistungen mit Geschichten fütterte.

Die 1:3-Niederlage im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League beim FC Porto ließ die Wogen hochgehen. Der Rücktritt von Bayern-Legende Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt folgte, seither gab es täglich Dutzende Gerüchte, warum und weshalb dieses und jenes am "Weißwurst-Äquator" vonstatten geht.

Der Zeitpunkt für solche Nebenkriegsschauplätze ist denkbar ungünstig, biegt die Saison 2014/15 doch auf die entscheidende Zielgerade ein. Vor dem Rückspiel gegen die Portugiesen (heute, ab 20:45 Uhr im LAOLA1-LIVE-Ticker) gibt es zahlreiche Brandherde und Fakten, die gegen einen Aufstieg des FCB in die Vorschlussrunde der Königsklasse sprechen.

LAOLA1 hat sie genauer unter die Lupe genommen:

Der Risikofaktor

Eigentlich wollte Xabi Alonso in dieser Saison auf den Rekord von Clarence Seedorf losgehen: Den dritten Champions-League-Titel mit dem dritten Verein. Doch beim 1:3 in Porto wurde ausgerechnet der routinierte Spanier zum Buh-Mann. Nach 82 Sekunden vertändelte der 33-Jährige den Ball, was zum 0:1-Horror-Start der Bayern führte. Schon in den Spielen davor strahlte Alonso ungewohnte Unsicherheit aus. Nach den guten Leistungen zu Beginn seines Engagements in München entwickelte er sich mittlerweile zum Risikofaktor. Der Routinier wirkt behäbig, mit intensivem Pressing des Gegners weiß er momentan nicht umzugehen. Zudem gibt es Probleme im Zusammenspiel mit Bastian Schweinsteiger, der zuletzt aber sowieso verletzt war. Die beiden ähneln sich in ihrer Spielweise zu sehr. Impulsive Dribbling-Vorstöße, wie sie beispielsweise David Alaba beherrscht, sucht man bei Alonso vergeblich. Der spanische Welt- und Europameister muss seine Form schleunigst wiederfinden. Nur so kann er seine wertvollen Fähigkeiten – Passsicherheit, Übersicht und Spielintelligenz – perfekt in den Dienst der Mannschaft stellen. Ansonsten wird es nichts mit dem Seedorf-Rekord.

Das Wunderkind

Eigentlich ist Mario Götze ein Spielertyp, wie ihn Guardiola liebt. Trickreich, wendig und mit dem Radar-Auge für den entscheidenden Pass zum Mitspieler. Doch so richtig in Schuss kommt der 22-Jährige unter dem spanischen Coach noch immer nicht. 2013 kamen die beiden gemeinsam nach München. Seitdem hat sich Götze jedoch bei weitem nicht so entwickelt, wie man sich das vom einstigen Dortmunder Wunderkind erwartet hatte. Darin sind sich auch die deutschen Experten einig. "Für mich war er in Dortmund ein besserer Spieler", meint beispielsweise Jürgen Kohler im "kicker". Lothar Matthäus stimmt in der "Sport Bild" überein: "Der Wechsel zum FC Bayern kam für Götze zu früh." Im Herbst konnte der DFB-WM-Finaltorschütze zwar noch überzeugen, doch seit der Winterpause läuft es überhaupt nicht mehr. Ganze neun seiner 13 Scorerpunkte in der Liga erzielte er bereits innerhalb der ersten zwölf Spieltage. Dabei wäre die aktuelle Situation, in der Ribery und Robben mit Verletzungsproblemen zu kämpfen haben, die perfekte Gelegenheit, in eine Führungsrolle hineinzuwachsen. Stattdessen weiß der Offensiv-Spieler erneut nicht zu überzeugen. Zudem musste er sich nach einem Schlag im Hinspiel gegen Porto mit Knieschmerzen herumschlagen. Das Rückspiel wird so etwas wie eine Reifeprüfung für das einstige Wunderkind.

Der Eklat

Eine Ära ging zu Ende. Fast 40 Jahre lang arbeitete Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt als Mannschaftsarzt für den FC Bayern. Seit dem 1:3 im Hinspiel gegen Porto ist Schluss damit. Der Kult-Arzt aus München trat zurück. Schon seit langem war bekannt, dass der "Doc" mit Pep Guardiola nicht das beste Verhältnis pflegt. Ein lautstarker Streit zwischen Karl-Heinz Rummenigge und "Mull" nach dem Porto-Spiel brachte das Fass zum Überlaufen. "Aus unerklärlichen Gründen" sei die medizinische Abteilung für die Niederlage "hauptverantwortlich gemacht" worden, hieß es von Seiten Müller-Wohlfahrts. Sein Verhältnis mit Guardiola stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Entgegen der Forderung des Coaches wollte der Arzt nicht tagtäglich beim Bayern-Training anwesend sein. Zudem gab es wegen der Behandlung des über ein Jahr verletzten Thiago mächtig Ärger zwischen den beiden. Unter dem Streit leidet sicherlich auch die Atmosphäre in der Kabine. Müller-Wohlfahrt erfreut sich bei den Profis großer Beliebtheit. Nicht umsonst vertrauen die verletzten Schweinsteiger, Robben und Alaba noch immer auf dessen Dienste.

Die Verletzten

Man stelle sich vor, Lionel Messi, Sergio Busquets, Gerard Pique, Andres Iniesta und Neymar würden beim FC Barcelona dauerhaft ausfallen – oder Cristiano Ronaldo, Sergio Ramos, Luka Modric, Toni Kroos und James Rodriguez bei Real Madrid. So ähnlich ergeht es seit Wochen den Bayern, die auch im Rückspiel gegen Porto Arjen Robben, Franck Ribery, David Alaba, Medhi Benatia und Javi Martinez vorgeben müssen. Zudem fehlte zuletzt Bastian Schweinsteiger, der – wie Philipp Lahm – vor seiner Rückkehr steht. Die Münchner wurden vom Verletzungsteufel arg gebeutelt, sodass Pep Guardiola seit Wochen erst gar nicht die Möglichkeit bekommt, das von ihm geliebte Rotieren im gewünschten Ausmaß zu praktizieren. Im Schnitt musste er sechs Spieler pro Match vorgeben und damit fast vier Mal so viele Akteure wie etwa Barca oder mehr als doppelt so viele wie Real.

Die Abwehr

Medhi Benatia ist verletzt, Holger Badstuber nach seinen zahlreichen Verletzungen längst noch nicht der Alte und Dante ein Schatten seiner selbst. Zu allem Überfluss leistete sich in Porto Jerome Boateng, in den letzten Monaten der Leuchtturm in der FCB-Defensive, einen unerklärlichen Aussetzer. Der 26-Jährige schien seine gelegentlichen Blackouts hinter sich gelassen zu haben, ließ sich aber vom teils katastrophalen Defensiv-Verhalten seiner Mannschaftskollegen anstecken. Die Bayern benötigen dringend einen Zu-Null-Sieg gegen Porto, was angesichts der Behäbigkeit der einzelnen Akteure zur Mammut-Aufgabe wird. Zu allem Überfluss haben die Portugiesen als einzige Mannschaft in dieser Champions-League-Saison noch kein Spiel verloren und überdies in jedem einzelnen zumindest einen Treffer erzielt.

Die Statistik

"Ein 2:0-Heimspiel-Erfolg für den FC Bayern wäre kein Weltwunder", erklärte Thomas Müller auf der offiziellen Pressekonferenz vor dem Viertelfinal-Rückspiel. Damit hat er grundsätzlich recht, wer jedoch einen Blick in die Geschichtsbücher riskiert, muss ihm widersprechen. Noch nie haben die stolzen Münchner in einem Europacup-Duell einen Zwei-Tore-Rückstand aus dem Hinspiel wettgemacht. Insofern ist zumindest eine Klub-Premiere erforderlich, um dem portugiesischen Tabellen-Zweiten (drei Punkte hinter Meister Benfica, Anm.) das Ticket für das Halbfinale doch noch zu entreißen.

Die "Krise"

Es ist höchst beachtlich, dass eine einzige Niederlage – in einem unbestritten wichtigen Spiel – einen ganzen Klub so aus den Angeln heben kann. Das 1:3 in Porto samt folgendem Eklat um "Doc" Müller-Wohlfahrt zeigt augenscheinlich, wie fragil die Kooperation zwischen Pep Guardiola und dem FC Bayern in Wahrheit ist. Vom Spanier, der - allen voran vom Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge seit jeher in den Himmel gelobt wird - wird nichts anderes als das Triple gefordert, das unter seinem Vorgänger Jupp Heynckes gewonnen wurde. Realistisch ist das angesichts des Personal-Engpasses derzeit nicht, doch das schert Öffentlichkeit, Fans und Verantwortliche wenig. Das ganze Handeln und Sein Guardiolas an der Säbener Straße wird in Frage gestellt, die bislang exzellente Arbeit völlig außer Acht gelassen. Im umgekehrten Fall kann man wiederum schon jetzt davon ausgehen, dass der 44-Jährige - für den das Rückspiel gegen Porto das 100. Pflichtspiel auf der Trainerbank der Bayern ist - bei einem Weiterkommen in den Himmel gelobt würde. So oder so – die Ausmaße, die Erfolg und Misserfolg beim FC Bayern nach sich ziehen, sind völlig unverhältnismäßig.


Christoph Nister / Jakob Faber