Kevin Großkreutz hatte den BVB-Slogan „Echte Liebe“ schon intus, lange bevor er von jedem BVB-Fanartikel lachte. Michael Zorc, Manager des BVB, sieht Großkreutz als Beispiel, das den Menschen Hoffnung macht: „Sein Weg zeigt allen Fußballtalenten in Dortmund und Umgebung, dass es nach wie vor möglich ist, sich diesen Traum zu erfüllen und den Sprung von der Südtribüne auf den Rasen zu schaffen.“

Im Hinspiel gegen Marseille brach er sich die Nase und hatte einen entzündeten Weisheitszahn. Trotzdem spielte er durch – und gehörte zu den Besten. „Arbeit und Leidenschaft“ nennt er als Tugenden, die man als Borusse an den Tag legen muss. Damit verkörpert er das, was man in Dortmund sehen will, was die Leute, die hier Jahrzehnte lang ihr Einkommen mit der Arbeit unter Tage verdienten, ausmachte und was immer noch mit der Stadt und dem Verein mitschwingt. Auch wenn die Kohle- und Stahlwerke längst geschlossen sind und das Geld nun mit Technologie statt Schwerindustrie verdient wird.

Flexibel und unterschätzt

Dieser Junge ist Balsam auf die Seelen der Fans, die lange auf so einen gewartet haben - einen gebürtigen Dortmunder, wie es Zorc war, wie es Ricken war – und die in den schwierigen Jahren rund um die Pleite der Borussia so manchen Spieler kommen und gehen gesehen haben, der für sie unter die Kategorie Söldner fällt.

Klopp sprach einmal von Großkreutz als bestem deutschen Mittelfeldspieler, weil er flexibel ist wie kein anderer und über enorme fußballerische Intelligenz verfügt. In den beiden Meisterjahren gehörte er zum Stamm, beackerte den linken Flügel, war jeweils unter den Top-3-Torschützen seiner Mannschaft und wurde doch unterschätzt. Viele sahen bei ihm fußballerische Defizite. Er könne nur laufen, sagten sie.

Die technisch feine Klinge gehört wirklich nicht zu seinem Standardrepertoire, weshalb zumeist alle von Lewandowski und Reus schwärmen, früher von Götze und Kagawa. Aber was ist schlecht daran, wenn jemand weniger Talent hat, sich den Erfolg dafür aber umso härter erarbeitet?

In der Vorsaison verlor Großkreutz seinen Stammplatz. Zu groß wurde die Qualität im Mittelfeld und so fand er als Backup für andere Positionen seine neue Rolle im Team. Die zahlreichen Verletzungen der letzten Monate sorgten dann dafür, dass Großkreutz in dieser Spielzeit so viele Minuten auf dem Platz stand, wie kein Anderer. Einzig beim Pokal-Spiel in Saarbrücken wurde er nach 66 Minuten ausgewechselt, ansonsten verpasste er keine Sekunde.

Integrationsbeauftragter und Fanbotschafter

Er ist die Konstante in der Aufstellung von Jürgen Klopp, dem die Spieler reihenweise wegbrechen. So bekam Großkreutz die Chance, seine Vielseitigkeit unter Beweis zu stellen. Linksverteidiger, Rechtsverteidiger, Sechser. Im letzten Spiel der Vorsaison gegen Hoffenheim stand er nach Rot gegen Roman Weidenfeller sogar im Tor und für das wichtige Spiel in Marseille überlegte Klopp, ihn in die Innenverteidigung zu stellen.

„Er schafft es Jahr für Jahr, sich auf unterschiedlichsten Positionen mit unterschiedlichsten Anforderungen weiterzuentwickeln“, attestiert Klopp dem 25-Jährigen. Der sieht es selbst nüchtern: „Wo der Trainer mich hinstellt, werde ich alles geben.“

Und auch abseits des Platzes ist er die Allzweckwaffe des BVB. Neuen Spielern zeigt er schon mal die Stadt, übt mit ihnen die Vereinshymnen, vermittelt ihnen das besondere Gefühl des Zusammenhalts in Dortmund. Shinji Kagawa und Henrikh Mkhitaryan können im wahrsten Sinn des Wortes ein Lied davon singen.

Der Junge für alle Fälle

Er schaut immer wieder bei den Nachwuchsmannschaften vorbei, ist so etwas wie Markenbotschafter und Fanbeauftragter. Klopp beschreibt es so: „Er ist eine Art Standleitung zu unseren Fans. Er weiß immer, was sie bewegt, und hält uns alle auf dem Laufenden.“

Und wenn alle Stricke reißen, wenn nichts und niemand mehr läuft, dann läuft nur noch Großkreutz, egal auf welcher Position. Wenn die sonst umjubelten Stars die Nerven wegschmeißen, das leere Tor verfehlen und die Kugel aus fünf Metern in die Wolken jagen, dann wurschtelt er das Leder eben auch noch selbst in die Maschen, der Dortmunder, der Junge für alle Fälle.

 

Christoph Kristandl

Torverhältnis Punkte
Borussia Dortmund 6:5 6
FC Arsenal 4:4 6
SSC Napoli 5:6 6