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"Der größte Anreiz, die größte Herausforderung"

Im Europacup gibt es keine größere Bühne.

Wer die Kategorie Einwohneranzahl hernimmt, hat mit dieser These durchaus Recht. Schließlich ist die Metropole Istanbul mit 13,8 Millionen hinter Mexico City, Shanghai und Peking die viertbevölkerungsreichtse Stadt der Welt.

Zwar gibt es aus fußballerischer Sicht sicherlich bedeutendere Schauplätze, doch für die meisten Kicker von Red Bull Salzburg wird das Rückspiel in der 3. CL-Quali-Runde bei Fenerbahce sicherlich die bisher größte Show in ihrer Karriere.

Motiviert in die "Hölle"

Beim ersten Heim-Pflichtspiel in der neuen Saison werden 50.000 türkische Fans ins Sükrü-Saracoglu-Stadion, benannt nach einem ehemaligen Ministerpräsidenten der Türkei sowie dem längstdienenden Klub-Chefs Feners, pilgern.

Und wer wie die Spieler via youTube recherchiert hat, wird wissen: Das ist ein wahrer Hexenkessel.

Beim 1:1 im Hinspiel war die Stimmung in der Red-Bull-Arena auf beiden Seiten ausgezeichnet, doch Martin Hinteregger wusste schon nach Schlusspfiff: "Dort erwartet uns die Hölle."

Eine "Hölle", auf die sich die Salzburger aber sehr freuen. "Wir spielen manchmal vor 5000 Zuschauern, jetzt vor 50.000. Also ich finde das super", sagt etwa Christian Schwegler, der nach einer starken Prellung sehr optimistisch ist, beim Rückspiel von Beginn an dabei zu sein.

Auch Sportdirektor Ralf Rangnick freut sich: "Gegenüber der Unterstützung, die wir zu Hause hatten, gibt es eigentlich nur eine Steigerung: Wenn 50.000 gegen dich sind. Etwas Schöneres kann es gar nicht geben. Wir hoffen, dass es am Ende dann mucksmäuschenstill ist."

Ein Hexenkessel als Vorteil

Vorbereiten konnte sich Salzburg auf die Stimmung freilich nicht. Rangnick: "Das geht nicht, in Österreich gibt es nur ein Stadion mit 50000. Und auch wenn man Komparsen engagieren würde, würden sie nicht diese euphorische Stimmung hinbekommen."

Der Deutsche, der nach dem 1:1 im Hinspiel das Chancenverhältnis 55:45 Prozent für Fener sieht, erkennt aber den Vorteil am vermeintlichen Nachteil: "Es wird ordentlich was los sein, ich habe das schon mit Schalke erlebt, das ist Adrenalin pur. Und für eine Top-Leistung brauchst du auch jede Menge Adrenalin."

Die Spieler sind in jedem Fall heiß auf das Rückspiel. "Es macht richtig Spaß vor so einer Kulisse zu spielen", meint etwa Marco Meilinger. Stefan Ilsanker: "Ich freue mich, habe ja noch nie dort gespielt." Der defensive Mittelfeldspieler hat mit den meisten Teamkollegen in diesem Punkt allgemein etwas gemein.

Mangelnde Erfahrung kein Hindernis

Denn was internationale Erfahrung in europäischen Bewerben betrifft, haben die "Bullen" noch viel Aufholbedarf. Von der Startelf der vergangenen Woche hat der Schweizer Christian Schwegler mit 31 Pflichtspielen in CL-Quali, Europa League, EL-Quali und UEFA Cup die meiste Erfahrung.

Hinter dem 29-Jährigen kommt Andreas Ulmer auf die meisten Einsätze auf internationaler Vereinsebene, die beiden Außenverteidiger also als die großen Routiniers in der Anfangsformation.

Insgesamt weist die zu erwartende Salzburger Startelf 104 Europacup-Einsätze auf, alleine Fener-Kapitän Emre hat mit 90 fast so viele wie die junge Startelf der "Bullen".

"Es ist sicherlich kein Nachteil, ähnliche Spiele schon erlebt zu haben", weiß Schwegler. Aber entscheidend sei es nicht, so der Schweizer, der im Hinspiel die Fener-Waffen Dirk Kuyt, Pierre Webo und Moussa Sow auszuschalten wusste . "Da hat man schon etwas zu tun", grinst Schwegler.

Spieler UCL-Quali Europa League EL-Quali UEFA Cup GESAMT
Gulacsi 1 - - - 1
Schwegler <span style=\'color: #ff0000;\'>11 <span style=\'color: #ff0000;\'>15 <span style=\'color: #ff0000;\'>4 <span style=\'color: #ff0000;\'>1 <span style=\'color: #ff0000;\'>31
Ramalho 1 - - - 1
Hinteregger 3 12 2 - 17
Ulmer <span style=\'color: #ff0000;\'>11 <span style=\'color: #ff0000;\'><span style=\'color: #000000;\'>13 2 1 27
Meilnger 1 4 - - 5
Kampl 1 1 - - 2
Ilsanker 3 - - - 3
Mane 1 - - - 1
Soriano 2 2 - 3 7
Alan 3 6 3 - 12

Erfahrung hin oder her, Rangnick relativiert: "Es entscheidet sich am Platz und der ist genauso breit und lang wie überall sonst auch."

Beim Gedanken an das Spiel geht der "Bullen"-Chef richtig auf: "Es kann gar keine größere Herausforderung, keinen größeren Anreiz geben. Die Mannschaft weiß durch das Hinspiel, dass sie in der Lage ist, gegen diesen Gegner nicht nur zu bestehen, sondern auch zu gewinnen."

"Werden uns nicht anscheissen"

Zusammen mit der elektrisierenden Stimmung im zuletzt 2004 umgebauten Saracoglu-Stadion erwartet auf Salzburg das bisher größte Spiel seit der Zusammenstellung dieser Mannschaft 2012.

"Respekt haben wir, aber anscheissen werden wir uns nicht", bleibt Meilinger cool in Istanbul. Hinteregger weiß: "Für die meisten wird es das erste Spiel vor so einer Kulisse, aber wir werden uns nicht einschüchtern lassen."

In der jüngeren Vergangenheit brachte dieses Stadion Österreich auf internationaler Ebene kein Glück. Im März 2011 unterlag das ÖFB-Team in der EM-Quali der Türkei 0:2, Nun-Salzburger Florian Klein konnte von der Bank beobachten wie Stefan Maierhofer dabei einen Elfer verschoss.

Alle guten Dinge wären drei

Zwei Jahre davor unterlag Sebastian Prödl mit Werder Bremen im letzten UEFA-Cup-Finale Shaktar Donetsk 1:2 nach Verlängerung. Alle guten Dinge wären also im großen Interesse Österreichs drei.

An der Entschlossenheit scheitert es definitiv nicht. Noch vor dem Abflug wurde trainiert, das Flugzeug hob deswegen später als geplant ab. Trainer Roger Schmidt verspricht: "Wir werden alles raushauen, was in uns steckt, ich fühle, wir erreichen etwas Außergewöhnliches."

Und auch seine Spieler schlagen in dieselbe zuversichtliche Kerbe.

"Nach dem Hinspiel sind wir mit Selbstvertrauen hierher gekommen", landete Torhüter Peter Gulacsi mit breiter Brust in Istanbul. Hinteregger: "Wir müssen Tore schießen und das werden wir."

Was neben der Leistung aus dem Hinspiel für Salzburg spricht: Die Heimmacht Fenerbahce war in der jüngeren Vergangenheit in dieser Phase der Saison nämlich keine große. In der abgelaufenen Spielzeit wurde die CL-Quali mit einem 1:1 gegen den rumänischen Gegner Vaslui eröffnet.

Young Boys Bern machte es vor

Nach einem 4:1-Auswärtssieg stiegen die Türken zwar ins Playoff auf, dort kam allerdings das Aus gegen Spartak Moskau. Nach einem 1:2 reichte den Russen in Istanbul 1:1.

Bewerb Siege Remis Niederlagen
CL-Quali
0 2 0
Europa League
4 2 1
Süper Lig
12 2 3

Vor drei Jahren konnten die Young Boys Bern mit 1:0 bei Fenerbahce gewinnen, auch die Schweizer hatten erst zu Hause unentschieden gespielt - sogar 2:2.

Und ein gutes Omen gibt es auch noch: Salzburg stieg in der Red-Bull-Ära bislang in der CL-Quali immer nach einem Heim-1:1 auf.

Istanbul ist eine große Bühne, aber auch eine große Chance. Die Belohnung wäre das CL-Playoff, der nächste große Gegner und damit die nächste große Bühne und damit Chance. Oder wie es Rangnick nennt: "Der größte Anreiz."

 

Aus Istanbul berichtet Bernhard Kastler