news

Eine 90-minütige Schande

Eine 90-minütige Schande

Ein gellendes Pfeifkonzert, Kopfschütteln bei den Spielern, Entsetzen bei Millionen Zuschauern vor den Fernsehgeräten. Die Darbietung des großen Real Madrid am Dienstagabend gegen Schalke 04 war schlicht eine Katastrophe.

3:4 verlor der Titelverteidiger im Rückspiel des Champions-League-Achtelfinals im heimischen Santiago Bernabeu. Auf Zeitschinden waren Pepe und Co. in den letzten Augenblicken der Partie angewiesen, um sich dank des 2:0-Auswärtssieges im Hinspiel den Aufstieg zu erzittern. Eine unwürdige Vorstellung, mit der man viel Kredit beim kritischen Madrider Publikum verspielte.

„Schande“, war der Begriff, der häufig verwendet und auch von Cristiano Ronaldo in den Mund genommen wurde. Beim Portugiesen, der ankündigte, die restliche Saison nicht mehr mit den Medien zu sprechen, lagen die Nerven ebenso blank, wie bei Kapitän Iker Casillas, der mehrfach eine schlechte Figur abgab.

Ancelotti fehlt die Erklärung

„Es tut mir sehr leid. Jeder hat heute gesehen, dass wir sehr schlecht gespielt haben, das ist nicht gut für unser Image und den Klub“, entschuldige sich Coach Carlo Ancelotti nach der Partie.

Hatte der Italiener nach der 0:1-Liga-Niederlage in Bilbao noch gemeint, sein Team habe ein Offensivproblem, musste er nach der Pleite gegen Schalke konstatieren: „Wir hatten in jedem Teil des Spiels Probleme: Angriff, Defensive, Gier, Kampfgeist, Fokussiertheit.“

Auch mit einer, wie zu hören war lautstarken, Halbzeitansprache konnte Ancelotti seine Mannen nicht wachrütteln. „Wir haben versucht, die Defensiv-Fehler auszumerzen, weil es das war, was am meisten schief lief“, erläuterte er sein Hauptanliegen in der Pause, beim Stand von 2:2. Dennoch fing man sich weitere zwei Treffer ein, was auch der erfahrene Trainer kaum fassen konnte: „Kein Team konnte im Bernabeu vier Tore gegen uns erzielen. Nur Barcelona, glaube ich, mit zwei Elfmetern. Wir waren unorganisiert.“

Nach einer Erklärung für den eklatanten Formverlust im Jahr 2015 suchte der 55-Jährige indes bislang vergebens. „Es ist schwer zu erklären. Wir haben etwas Selbstvertrauen in unser Spiel verloren“, sagte Ancelotti und versicherte, „ich glaube immer voll und ganz an dieses Team und weiß, was es im Stande ist zu leisten, auch wenn wir es im Moment nicht zeigen.“

„Wir haben die Pfiffe verdient“

Der desolate Auftritt Reals nahm eigentlich keinen Spieler der Madrilenen aus. Während sich die Fans vor allem Sami Khedira auserkoren und den Weltmeister bei seiner Auswechslung mit besonders lauten Pfiffen bedachten, stand in der Analyse vieler Experten das Offensiv-Trio Bale-Benzema-Cristiano Ronaldo sowie Keeper Iker Casillas im Fokus.

Während „BBC“ jegliche Defensivarbeit vermissen ließ, sah der fünfmalige Welttorhüter vor allem bei den ersten beiden Gegentreffern schlecht aus. „Das war nicht mein bestes Spiel“, meinte er, nahm aber gleichzeitig die ganze Mannschaft in die Pflicht. „Wir müssen über das Kollektiv nachdenken, wir gehen gerade durch eine schwierige Zeit. Aber, auch wenn das jetzt zu kurz greift, wir haben genug getan, um weiter zu kommen. Das Wichtigste ist, dass unsere Titelverteidigung weitergeht“, versuchte der Schlussmann krampfhaft das Positive zu sehen.

Den Fans reichte das allerdings nicht, was sie mit Unmutsbekundungen und vereinzelten weißen Taschentüchern für das eigene Team zum Ausdruck brachten. „Die Pfiffe haben wir uns verdient und sie sind da, um uns aufzuwecken“, verstand Ancelotti die Reaktion des Publikums und auch Casillas sagte: „Wir müssen die Fans verstehen, heute hatten wir nicht die Klasse für Real Madrid und nicht für die Top16 der Champions League.“

Ronaldo verweigert Interviews

Lieber auf den schweren Gang zum eigenen Anhang verzichtet hätte u.a. Ronaldo, der nach Schlusspfiff, wie einige andere, den Weg Richtung Kabine suchte, ehe das Team von Casillas in die Kurve beordert wurde. Der Portugiese, der mit seinen CL-Treffern 74 und 75 wieder mit Rekordtorschütze Lionel Messi gleichzog, war sich bewusst, welche Dimension diese Niederlage hatte. Kurz vor Schluss beobachteten die Lippenleser von „Canal+“, wie Ronaldo mit Benzema zusammenstand und sagte: „Was für eine Schande.“

Für Aufregung sorgte der Superstar in der Interviewzone, als er schnurstracks an den Journalisten vorbeihuschte und sie wissen ließ, er würde bis zum Ende der Saison nicht mehr mit den Medien sprechen.

„Mangel an Fußball, Charakter und Temperament“

Ein Statement des Portugiesen brauchten die Gazetten nach diesen 90 Minuten aber ohnehin nicht, um sich ein niederschmetterndes Urteil zu bilden.

„Real Madrid – ein Team ohne Herz und Seele“, schrieb „El Mundo Deportivo“ etwa und meinte, Real habe es nach dem Verlust der Tabellenführung verpasst, für Wiedergutmachung zu sorgen. Für „Marca“ war die erste CL-Heimniederlage seit dem 0:2 gegen Barca 2011 schlicht das „Achtelfinale der Schande“.

„Madrid steht unter Schock, das Bernabeu erlebt einen Alptraum, aus dem es in kaltem Schweiß liegend erwachte. Ein eindimensionales Real wurde durch seinen Mangel an Fußball, Charakter und Temperament in den Schatten gestellt“, so die Analyse des Blattes.

„as“-Journalist Juanma Trueba verstand nicht, wie Real den Gegner nach dem Hinspiel-Sieg noch so aufbauen konnte: „Die Chance auszuscheiden war eigentlich so groß, wie von einem Piano erschlagen zu werden. Wer das Spiel nicht gesehen hat, kann sich nicht vorstellen, wie nahe die Tasten an den Köpfen der Spieler waren. Max Meyer stand so oft frei, dass er ohne weiteres Graffiti auf die Rücken von Khedira und Kroos hätte sprühen können.“

Erst Levante, dann El Clasico

Aus einer lange Zeit komfortablen Situation manövrierte sich Real in den letzten Wochen selbst ins Abseits und muss nun schleunigst handeln. Am Wochenende steht mit dem Heimspiel gegen Levante (So., 21 Uhr, live bei LAOLA1) ein Pflichtsieg auf dem Programm, ehe eine Woche später El Clasico wartet.

„Wir haben uns nicht lächerlich gemacht, wir sind Profis und Profis können schlechte Leistungen bringen. Der Schlüssel dazu, besser zu werden, liegt in meinen Händen und in denen der Spieler, wir stehen gemeinsam in der Verantwortung!“, weiß auch Ancelotti, der angesprochen auf Rücktritt oder Rauswurf abwinkte.

„Darüber denke ich nicht nach. Ich versuche, es besser zu machen und ich muss es besser machen“, so der Italiener, der in Erinnerung rief, dass es im Fußball immer schnell gehen kann. „Bis Dezember haben wir 22 Spiele gewonnen, jetzt sind wir in einer schlechten Phase, die niemand für möglich gehalten hätte.“