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"Wir waren es nicht wert, dieses Trikot zu tragen"

Nüchtern betrachtet, könnte Sturm Graz das 4:4 in Wiener Neustadt auf zwei Arten verkaufen.

Einerseits mit dem Hinweis auf Moral und Charakter der Mannschaft, die zwei Mal einen Zwei-Tore-Rückstand aufgeholt hat.

Andererseits mit dem Hinweis auf die inferiore Darbietung, die diese jeweiligen Rückstände verschuldet hat.

Die Steirer wählten mehrheitlich die selbstkritische Variante.

„Jeder ist angefressen, weil das einfach nicht gut war von uns“, betonte Christian Gratzei, der bei den Freistoßtreffern von Philip Hellquist und Tobias Kainz keine gute Figur gemacht hatte.

„Da waren wir es nicht wert, dieses Trikot zu tragen“

„Für die erste Hälfte müssen wir uns bei den Fans entschuldigen“, sprach Lukas Spendlhofer Klartext, „das war wirklich indiskutabel. Da waren wir es nicht wert, dieses Trikot zu tragen. Da muss sich wirklich jeder hinterfragen, warum er nicht bei 100 Prozent war. Die ersten 45 Minuten haben wir komplett verschlafen. Das darf uns nicht mehr passieren, so werden wir nichts reißen.“

„Wir waren 0:2 hinten und ich wollte einfach etwas verändern, weil wir keinen Zugriff auf das Spiel hatten. Da sollte man als Trainer nicht zu lange warten, deshalb habe ich mich entschlossen, schnell zu wechseln“, meinte der seit Donnerstag 49-Jährige, der allgemein von einem „sehr kuriosem Spiel“ sprach:

„Meine Mannschaft hat in der ersten Halbzeit unterirdisch gespielt. Das soll die Leistung von Wiener Neustadt nicht schmälern. Sie waren vor der Pause viel griffiger und aggressiver und sind auch verdient in Führung gegangen. Wir waren im gesamten Defensivverhalten viel zu passiv, hatten keine guten Balleroberungen und konnten dadurch nicht schnell umschalten. In der Pause wurde es daher etwas lauter.“

„Nicht den Fehler machen, die ganze Schuld auf die Innenverteidigung zu schieben“

Eine mögliche Erklärung für den verunsicherten Auftritt liegt in den erzwungenen Umstellungen. Da Rechtsverteidiger Martin Ehrenreich und Innenverteidiger Michael Madl verletzungsbedingt passen mussten, rückte Spendlhofer auf die rechte Seite. Im Abwehrzentrum lief mit Andreas Pfingstner und Kamavuaka ein Pärchen auf, das nach langen Verletzungspausen über kaum Spielpraxis verfügt und nicht gerade Sicherheit ausgestrahlt hat.

Donis Avdijaj wiederum referierte: „Egal wie man sich fühlt, sollte man nach einem Spiel versuchen, das Positive herauszuziehen. Das Positive ist, dass die Mannschaft schon des Öfteren bewiesen hat, dass wir über einen der größten Team-Willen verfügen, den ich im Fußball in den höchsten Ligen je gesehen habe. Wir sind zwei Mal sensationell zurückgekommen. Aber wir bekommen auch Gegentore, die wir nicht kassieren dürfen, wenn wir irgendwo mitmischen wollen. Das ist kein Fehler eines einzelnen – ich hätte mich in der ersten Halbzeit am liebsten selbst ausgewechselt, denn das war desaströs. Aber der Trainer hat in der Kabine klare Worte gefunden.“

Und gehandelt. Den mit sich selbst unzufriedenen Schalke-Leihspieler beließ Franco Foda jedoch auf dem Platz, was sich dank dessen Doppelpacks bezahlt machen sollte.

„Meine Mannschaft hat in der ersten Halbzeit unterirdisch gespielt“

Schon nach 35 Minuten nahm der Sturm-Coach aber Anel Hadzic für Andreas Gruber vom Feld, nach einer lauten Kabinenansprache zur Pause korrigierte er endgültig seine Aufstellung von Spielbeginn und brachte für Innenverteidiger Wilson Kamavuaka Angreifer Josip Tadic.

„Man darf nicht den Fehler machen, die ganze Schuld auf die Innenverteidigung zu schieben“, nahm Foda das Duo jedoch in Schutz, „schon weiter vorne sind wir nicht gut angelaufen. Auch im Mittelfeld waren wir nicht aggressiv, obwohl wir da kompakt sein wollten. Wir haben den Gegner zu viel spielen lassen. Insgesamt war das Spiel gegen den Ball speziell in der ersten Halbzeit sehr mangelhaft und erst in der zweiten Halbzeit viel besser. Dadurch konnten wir auch mehr Druck erzeugen.“

Spendlhofer, der in den zweiten 45 Minuten wieder auf der gewohnten Innenverteidiger-Position ran durfte, wollte die personellen Umstellungen ebenfalls nicht als Ausrede gelten lassen:

„Das ist natürlich nie leicht, aber die neu formierte Abwehr darf keine Entschuldigung sein. Wir sind alle Profis genug. Jeder muss das spielen, was ihm der Trainer sagt. Das haben wir einfach nicht zusammengebracht. Wir sind 26 Leute im Kader, jeder kann spielen, es muss auch ein jeder spielen, aber das haben wir diesmal nicht gut gemacht.“

„Wenn ich nicht daran glaube, habe ich den Beruf verfehlt“

Durchaus gut gemacht haben die „Blackies“ ihre Sache unmittelbar nach der Pause, als Avdijaj und Simon Piesinger per Traumtor für den zwischenzeitlichen Ausgleich sorgten, ehe die beiden Ex-Sturm-Kicker Reinhold Ranftl mit seinem zweiten Treffer dieser Partie und Kainz den Zwei-Tore-Abstand wiederherstellten.

„Nach dem Ausgleich waren wir zu fahrlässig und sind wieder in Rückstand geraten. Was für die Mannschaft spricht, ist die Moral, sie hat nie aufgegeben, immer nach vorne gespielt und eigentlich sollten auswärts vier Tore für einen Sieg reichen. Aber Wiener Neustadt war ein guter Gegner“, bilanzierte Foda.

Avdijaj (88.) und Roman Kienast (91.) waren es schließlich mit zwei Last-Minute-Treffern, die doch noch einen Punkt beim Abstiegskandidaten retteten.

„Ich glaube immer daran. Wenn ich nicht daran glaube, habe ich den Beruf verfehlt. Man weiß, dass im Fußball immer etwas passieren kann, und es ist auch passiert“, gab Kienast bis zum Schluss die Hoffnung nicht auf.

„Vielleicht war es zum richtigen Zeitpunkt ein Schuss vor den Bug“

Aber auch laut Meinung des Stürmers hätten die Grazer gar nicht erst in diese Situation kommen dürfen: „Nach dem Ausgleich habe ich mir eigentlich gedacht, dass wir jetzt drüberfahren, aber dann sind wir wieder in ein Loch gefallen. Sicher muss man loben, dass wir noch einmal zurückgekämpft haben, aber trotz allem: Wenn wir vorne mitspielen wollen, müssen wir einfach von der ersten Minute an besser spielen.“

Dass seine Schützlinge hart mich sich ins Gericht gingen und sich nicht für zwei Aufholjagden feiern ließen, kann nur im Sinne Fodas sein – gerade im Hinblick auf den anstehenden Showdown mit Rapid am kommenden Sonntag.

„Es ist schön, wenn die Spieler selbstkritisch sind, aber ich habe sie schon vor diesem Spiel gewarnt. Wiener Neustadt spielt gegen den Abstieg, sie hauen alles rein. In dieser Liga gibt es kein Fallobst, du musst immer am Limit spielen, um ein Spiel zu gewinnen. Deshalb müssen wir uns da in Zukunft von Anfang an anders präsentieren. Aber vielleicht war es zum richtigen Zeitpunkt noch einmal ein Schuss vor den Bug. Gegen Rapid müssen wir es besser machen, aber ich bin auch der Überzeugung, dass wir es besser machen werden.“

„Wir schauen nicht auf Rapid“

Theoretisch könnte der Ärger über den Dämpfer dadurch gemildert werden, dass auch Rapid beim 1:1 gegen die Admira nicht voll punktete und daher in der Tabelle alles beim Alten blieb.

Wie gesagt: theoretisch. „Dann ist es ja noch schlimmer, dass wir die Punkte liegen gelassen haben“, ärgerte sich Avdijaj, „aber wir schauen nicht auf Rapid. Wir gucken nicht auf die anderen Mannschaften, das ist uns eigentlich scheißegal. Wir wollen unseren Trend fortsetzen und die Fans mit unserem Spiel so begeistern, wie wir es in den Spielen davor getan haben. Man kann die Partie gegen Rapid als Endspiel sehen – aber zielgerichtet, nicht spielgerichtet. Wir wollen jetzt nicht versuchen, alles auf diese Karte zu setzen.“

Dass eine Leistungssteigerung von Nöten ist, versteht sich ohnehin von selbst. Kienast: „Gegen Rapid müssen wir anders auftreten.“

Peter Altmann

Wiener Neustadt Sturm Graz
Ballbesitz 42% 58%
Zweikämpfe 49,5% 50,5%
Eckbälle 5 6
Torschüsse 15 13
Torschüsse außerhalb Strafraum 4 2
Torschüsse innerhalb Strafraum 11 11
Kopfballchancen 2 4
Abseits 3 0
Fouls 14 18