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"Ja, wir wollen hier neue Wege gehen"

Mit Christopher Houben hat Sturm Graz auf den ersten Blick einen „Quereinsteiger“ zum wirtschaftlichen Geschäftsführer bestellt.

An sportlichen Berührungspunkten mangelt es jedoch keineswegs – sei es seine Football-Vergangenheit oder die Tätigkeit als Herausgeber des Internet-Portals „Sturm12“.

Dennoch ist seine Bestellung durch den Vorstand um Präsident Christian Jauk ebenso unkonventionell wie die Ideen, die der 31-Jährige einbringen möchte.

„Ich könnte mir gut vorstellen, dass die Sichtweise von außen, ein gewisser frischer Wind und der Punkt, neue Wege zu gehen, für mich gesprochen haben“, vermutet Houben selbst.

Im LAOLA1-Interview gewährt der Grazer einen ausführlichen Einblick in seine sportliche Gedankenwelt und blickt dabei auch über den Tellerrand des SK Sturm hinaus:

LAOLA1: Sie kehren aus Wien in Ihre Heimat Graz zurück. Wie gut ist der Nährboden für Fußball in dieser Stadt?

Christopher Houben: Graz hat in Österreich einen ganz besonderen Status. Ich würde Graz wirklich als Fußball-Stadt bezeichnen. Der Anteil des Umfelds am Meistertitel war enorm. Welche Stadt in Österreich kann so etwas aufweisen - vor allem in Relation zur Größe? Ich denke, das kann ein ganz entscheidender Wettbewerbsvorteil in entscheidenden Phasen der Meisterschaft oder des Cups sein. Das ist ein Riesen-Potenzial für Sturm Graz, eine tolle Möglichkeit, um als Klub noch mehr Erfolge zu erzielen und noch mehr herauszuholen.

LAOLA1: Wie ist Ihre eigene Affinität zu Sturm entstanden?

Houben: Die Liebe zu Sturm ist vor allem in der Schule mit Schulfreunden entstanden, mit denen man die Leidenschaft für Sturm geteilt hat und gemeinsam ins Stadion gegangen ist, die großen Erfolge der Ära Ivica Osim erlebt hat, mitgefiebert hat, auch gejubelt hat. Das ist eine Ära, die viele Leute in Graz geprägt hat, so auch mich. Diese Erinnerungen sind irrsinnig wertvoll, so bin ich zu Sturm gekommen, und habe die Faszination Sturm lieben gelernt. Sturm ist nicht nur ein Fußballklub. Fußball bei Sturm ist eine Spur mehr. Es ist auch ein sozialer Sammelpunkt. Was mich bei Sturm immer wieder irrsinnig fasziniert, ist, wie viele Leute mit unterschiedlichsten Backgrounds zusammenkommen und einer gemeinsamen Leidenschaft nachgehen.

LAOLA1: Sturm quasi als Lebensgefühl?

Houben: Absolut, das trifft es auf den Punkt. Sturm ist nicht nur eine kurze Freizeitbeschäftigung, sondern für viele Leute in dieser Stadt, in diesem Bundesland und teilweise auch an anderen Orten dieser Welt ein ganz fundamentaler Bestandteil ihres Lebens.

Die Ära Osim hat Generationen von Sturm-Fans geprägt

LAOLA1: Präsident Christian Jauk versucht, moderne Strukturen einzuziehen, die in Österreich noch nicht alltäglich sind. In welchen Kontext kann man das setzen?

Houben: Wenn ich den Fußball vor allem in den letzten Jahren beobachtet habe, habe ich mich immer wieder gewundert, warum der Fußball doch sehr resistent ist, sich gewissen modernen Entwicklungen, die es aus Organisations-Theorien oder auch der Wirtschaft im Allgemeinen gibt, anzupassen. Ich muss an dieser Stelle klarstellen: Hier geht es nicht um Kommerzialisierung, sondern darum: Wie organisieren wir uns besser? Wie arbeiten wir vereinsintern professioneller? Der Fußball ist diesbezüglich aber nicht nur in Österreich langsam, sondern auch in anderen Ländern – dort merkt man es aber teilweise nicht so stark, weil einfach der Stellenwert des Fußballs größer ist. Aber gerade wenn wir den Blick nach Deutschland wagen, sehen wir doch sehr gut, wie professionelles Arbeiten und modernes Denken einen sehr positiven Einfluss auf den Fußball haben können.

Und dann können wir das Ganze auch auf Sturm Graz umlegen, und da kann man schon sagen: Ja, wir wollen hier neue Wege gehen, wir wollen einen gewissen Paradigmenwechsel weg von diesem klassischen Vereinsdenken. Verein wurde in der Vergangenheit immer wieder ein wenig mit Freunderlwirtschaft, mit nicht ganz professionell arbeiten, mit Ehrenamtlichkeit assoziiert. Da gilt es den Schritt wegzumachen – für den gesamten österreichischen Fußball. Und da gilt es auch für Sturm Graz Zeichen zu setzen und vielleicht eine Vorbildfunktion einzunehmen – auch wenn dieser Weg kein einfacher wird und das natürlich eine sehr hohe Ambition ist, die wir uns da setzen.

LAOLA1: Sie haben vorher die deutsche Bundesliga positiv erwähnt. Wenn wir über den Tellerrand blicken: Welche Sportart oder Liga halten Sie für besonders gut organisiert und strukturiert?

Houben: Beispiele gibt es genügend. Man kann sich in den Vereinigten Staaten die NFL anschauen, die in den letzten zehn bis 20 Jahren eine Maschinerie geworden ist, die den amerikanischen Sportmarkt unaufhaltsam für sich einnimmt. Aber gerade das Beispiel deutsche Bundesliga ist ein sehr gutes. Sie ist ein Vorbild in der Hinsicht, wie die Deutschen es im Vergleich zu anderen geschafft haben, die Traditionskomponente im Fußball mit dem modernen wirtschaftlichen Anspruch und natürlich auch mit dem Leistungsanspruch zu kombinieren. Ich glaube, es steht momentan keine Liga aus dem eigenen Wachstum heraus angetrieben so gut da wie die Deutsche Bundesliga. Das unterscheidet sie stark von der Premier League, wo das Mäzenatentum wieder stark zu greifen beginnt, das unterscheidet sie aber auch stark von Spanien. In Deutschland gibt es eine viel größere Ausgeglichenheit, es wird aber auch besser gewirtschaftet, wenn man sich die Schuldenstände von spanischen Großvereinen anschaut. Über Italien muss man leider Gottes nicht besonders viel sagen, diese Liga hat sich in den letzten Jahren nicht so toll entwickelt.

LAOLA1: Die Erfolgsstory schlechthin in Deutschland ist Borussia Dortmund – ein Verein, der in den Nuller-Jahren ähnliche Probleme wie Sturm hatte, nun aber sowohl sportlich, als auch wirtschaftlich sehr gut dasteht. Ein Vorbild?

Houben: Die Ähnlichkeiten zwischen Sturm Graz und Borussia Dortmund – natürlich auf einer ganz anderen Größenskala – sind in der Tat sehr auffallend. Sportlich unglaublich erfolgreich, sympathisches Auftreten, starke Marke, viele Fans, große Tradition, tolles Stadion – wie soll man da sagen, es sei kein Vorbildverein? Aber ganz wesentlich ist: Es gibt nicht nur ein Vorbild, und wir bauen hier keinen Verein nach. Wir bauen kein zweites Borussia Dortmund. Wir sind in Graz, Sturm hat eine ganz eigene Geschichte und Eigenheiten, die gilt es zu berücksichtigen. Man kann sich aber natürlich an verschiedenen Vorbildern – und die heißen nicht nur Borussia Dortmund, da gibt es auch viele andere Vereine, und die müssen auch nicht nur aus dem Fußball kommen – orientieren und Erkenntnisse auf unsere eigene steirische, Grazer Sturm-Art umsetzen.

LAOLA1: Sie waren in Ihrer Jugend als Footballspieler bei den Graz Giants aktiv, waren später Pressesprecher des Verbandes. Kann man aus diesen Tätigkeiten etwas für den Fußball mitnehmen?

Houben: Man kann aus allem im Leben etwas für den Fußball mitnehmen kann. Der Fußball ist kein separates Gebilde, für den ganz eigene Regeln gelten. Nein, man kann immer etwas dazulernen – so auch aus dem Football-Sport. Aber es gibt auch ganz viele andere Themen, aus denen man etwas mitnehmen und im Fußball zur Anwendung bringen kann. Aber natürlich kenne ich aufgrund meiner Tätigkeit bei den Graz Giants und auch im American-Football-Bund Österreich sehr genau, wie Verbände beziehungswiese Vereine funktionieren.

LAOLA1: Ein ganz wesentlicher Bestandteil des Footballs ist Strategie…

Houben: Das ist eines meiner absoluten Lieblingsthemen. Football ist sehr geprägt von Analyse, den richtigen Rückschlüssen und dann der Umsetzung auf dem Spielfeld. Strategie ist jedoch ein Thema, das mich nicht nur aufgrund meiner Football-Vergangenheit beschäftigt, sondern es hat vor allem die letzten drei Jahre meines Berufslebens bei der Telekom Austria geprägt. Ich glaube, Strategie und auch Vision sind ganz wesentliche Punkte, um die gesamte Sturm-Familie hinter ein gemeinsames Ziel zu bringen. Es geht genau um diese gemeinsamen Zielsetzungen: Wo möchte Sturm Graz in drei, vier oder fünf Jahren stehen?

LAOLA1: Wie sehen Ihre Strategie und Ihre Vision für Sturm aus?

Houben: Schwierige Frage, weil zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz klar geklärt. Ich glaube aber nicht an „meine“ Strategie. Es kann nur eine Strategie und eine Vision für Sturm Graz geben. Und die gilt es in den nächsten Wochen und Monaten zu erarbeiten, sie dann einerseits intern klar zu kommunizieren, und dann nach außen zu tragen beziehungsweise der ganzen Sturm-Familie klar mitzugeben, wofür Sturm Graz steht und welche Ziele man in den nächsten Jahren erreichen möchte. Das ist aber eine Erarbeitung, die erst erfolgen muss. Denn das Wichtigste an so einem Strategieprozess ist eben die Diskussion und nicht einfach nur das Niederschreiben eines Ziels.

LAOLA1: Bei Ihrer Präsentation sprach Vorstand Ernst Wustinger von Ihrer „Mischung aus Fantasien und strategischen Überlegungen.“ Wie darf man das verstehen? Denken Sie Dinge an, die über das bekannte Maß im österreichischen Fußball hinausgehen?

Houben: Definitiv! Wie wir vorher bereits besprochen haben, kann man für die Tätigkeit bei Sturm aus anderen Themengebieten etwas lernen. Ich kann mir vorstellen, aus allen Bereichen des Lebens neue Ideen aufzugreifen, vielleicht erfinden wir auch selber manchmal etwas Neues – manchmal sind es Ideen, die man woanders kennenlernt und neu kombiniert auf Sturm Graz anwendet. Der österreichische Fußball ist nicht so ausgereift, um es so zu sagen, dass man sich neuen Ideen gegenüber verschließen könnte. Ganz im Gegenteil.

LAOLA1: Wie würden Sie Ihre Arbeitsweise beschreiben: Kreativer Kopf? Workaholic?

Houben: Das Wort, das es wohl am besten beschreibt, ist strukturiert. Ich muss ehrlich sagen, ich tue mich sehr, sehr schwer, wenn alles chaotisch abläuft, und deswegen möchte ich bei Sturm auch besonders darauf schauen, dass wir mehr Struktur in den Verein bekommen, dass wir alle an einem Strang und auch in die gleiche Richtung ziehen. Ich glaube aber, dass ich zumindest auch einen Schuss Kreativität mitbringe und bei Sturm ganz viele Ideen umsetzen möchte. Diese Ideen müssen aber beileibe nicht alle von mir kommen. Man muss auch ein kreatives Klima schaffen, wo alle Leute – einerseits aus dem Team, andererseits aus der erweiterten Sturm-Familie - ihre Ideen einbringen können.

LAOLA1: Strukturiertes Arbeiten ist ein gutes Stichwort. Sie sind Gründer der Plattform Sturm12, die gerade in diesem Punkt dem Verein sehr kritisch gegenüber gestanden ist. Fühlen Sie die Chance, es besser zu machen?

Houben: Es ist nicht nur eine Chance, sondern eine Verpflichtung. Als ich die Gespräche geführt habe, die Position als wirtschaftlicher Geschäftsführer anzutreten, wusste ich, dass das bedeutet, jene Dinge, die man in der Vergangenheit in schriftlicher Form immer wieder bekrittelt hat, in Zukunft auch besser zu machen. Man muss sich an den Zielen natürlich messen lassen.

LAOLA1: Sie haben betont, dass sie durch Sturm12 einen intensiven Außenblick auf den Verein hatten: Welche Außendarstellung hat Sturm in den vergangenen Jahren abgeliefert?

Houben: Sportlich ein sehr gutes Bild, da brauchen wir nicht viel diskutieren. Ein Kritikpunkt war in der Vergangenheit natürlich immer wieder, dass man organisatorisch wahrscheinlich nicht ganz so offensiv gespielt hat, wie man das auf dem Fußballfeld getan hat. Soll heißen: Man ist die Probleme oder Herausforderungen vielleicht nicht immer aktiv genug angegangen und hat sich ein wenig zurückgezogen. Ich glaube, man muss auch abseits des Spielfelds ein wenig mehr auf Offensive umschalten, ein bisschen proaktiver agieren, überlegen, wie wir unseren finanziellen Rahmen ausweiten können, wie wir mehr Zuschauer ins Stadion kriegen. Es ist im Fußball definitiv nicht so, dass alles ein Status quo und unveränderbar ist. Man kann die Dinge ganz konkret anpacken und sie auch in die richtige Richtung verändern.

LAOLA1: Sie waren Ihr Leben lang Medienkonsument. Zuletzt haben Sie selbst die journalistische Seite kennengelernt. Hat sich dadurch etwas verändert?

Houben: Natürlich verändert sich etwas, weil man die Mechanismen des  Journalismus kennenlernt. Die Medien sind einer der wichtigsten Stakeholder eines Fußball-Vereins. Man muss sich mit Medien beschäftigen, um auch wirklich gut mit ihnen arbeiten zu können. Das ist ganz wesentlich. Die Kommunikation ist auch einer der Punkte, die wir in der nächsten Zeit sehr stark adressieren wollen. Kommunikation aber nicht nur gegenüber den Medien, sondern auch Kommunikation gegenüber den Fans, den Sponsoren und natürlich auch intern im Verein.

LAOLA1: Jauk will weg vom Ausbildungsverein und hat für Sturm den Begriff „Karriereplattform“ geprägt. Wie gefällt Ihnen dieser Begriff?

Houben: Mir gefällt der Ausdruck Karriereplattform auch viel besser als Ausbildungsverein. Sturm Graz wird immer Spieler abgeben. Gleichzeitig wird man auch Spieler dazu holen. Es geht nur darum, an welche Vereine und an welche Ligen man Spieler abgibt. Ich glaube, Sturm Graz kann sich sehr wohl dorthin entwickeln, dass Spieler nur noch dann den Verein verlassen, wenn sie wirklich einen fußballerischen Karrieresprung vor sich haben. Das muss die Zielsetzung sein.

LAOLA1: Ein Thema, das bei Sturm immer diskutiert wird, ist die steirische Identität der Mannschaft. Wie wichtig ist es Ihnen, dass eine gewisse Anzahl an Local Heroes auf dem Feld steht?

Houben: Identifikation ist ein ganz wesentlicher Punkt. Identifikation kann einerseits über das Bundesland, die Heimat, den eigenen Standort erfolgen, aber auch über andere Punkte. Nehmen wir nur ein Beispiel aus der jetzigen Sturm-Mannschaft heraus: Imre Szabics ist bekanntlich kein Steirer, sondern Ungar, und ist trotzdem eine ganz starke Identifikationsfigur. Es ist für einen Fußballverein enorm wichtig, Identifikationsfiguren am Rasen zu haben. Wenn dann noch die lokale Komponente, sprich der steirische Faktor, dazu kommt, dann ist das natürlich umso besser und ein Vorbild für die steirische Jugend, um zu sagen: „Sturm Graz ist ein Verein, über den ich eine Fußball-Karriere einschlagen und vielleicht auch zu einem größeren Verein im Ausland wechseln kann.“

LAOLA1: Wenn Sie in fünf Jahren eine Zwischenbilanz Ihrer Arbeit ziehen: Wann sind Sie zufrieden?

Houben: Zufrieden kann man sein, wenn Sturm im organisatorischen Bereich genauso professionell wahrgenommen wird wie im sportlichen Bereich. Sportlich hat man bei Sturm ohne jeden Zweifel hervorragend gearbeitet, und da gilt es jetzt noch, die zweite Komponente nachzuziehen und vielleicht manchmal auch den sportlichen Bereich wieder mitzuziehen, auch mal in die Führungsrolle zu gehen.

LAOLA1: Ist Sturm schon so weit, dauerhaft die Top 3 anpeilen zu können? Über weite Strecken der Vereinsgeschichte war der Verein ja nicht so erfolgreich wie in der jüngeren Vergangenheit…

Houben: Man ist in Graz vor allem durch die Ära Osim sehr verwöhnt. Daher gibt es natürlich einen gewissen Anspruch, der in Graz mittlerweile da ist. Sturm hat sich in der Tat in der Hierarchie der österreichischen Vereine, wenn man das mit der Ära vor Ivica Osim vergleicht, massiv nach oben gearbeitet und sich sicher oben etabliert. Das Ziel muss es jedes Jahr sein, und das kann man auch so klar sagen, sich für einen internationalen Startplatz zu qualifizieren. Wenn das dazwischen mal ein Jahr nicht gelingt, darf es aber auch kein großes Problem sein.

LAOLA1: Und da kann am Ende auch noch der eine oder andere Meistertitel rausschauen…

Houben: Dass man sich Stück für Stück nach oben orientiert und noch besser werden möchte, muss in der Natur jedes Sportlers, jedes Sportvereins und natürlich auch jedes Mitarbeiters eines Sportvereins liegen. Im Sport geht es um Leistung, um höher, schneller, weiter. Deswegen keine Frage: Wenn ein Meistertitel immer wieder mal drinnen ist, wäre das natürlich schön. Und die Feste, die man in Graz anlässlich zu Meistertiteln feiert, sind ja immer sehr schön, oder?

Das Gespräch führte Peter Altmann