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"Die glauben wirklich, sie sind besser als Guardiola"

Tschö, Roger Schmidt.

Mit dem Cup-Finale am Sonntag (16:30 Uhr) gegen den SKN St. Pölten endet die zweijährige Trainer-Ära des 47-Jährigen bei Red Bull Salzburg. Es wird sein 98. und letztes Spiel.

Nirgendwo anders in seiner Karriere hatte er bei einem Verein mehr Partien betreut, nirgendwo einen besseren Punkteschnitt (2,23). Die Chance Bayer Leverkusen hat sich Schmidt erarbeitet und nimmt sie auch wahr.

Im LAOLA1-Interview spricht der Fußball-Lehrer vor seinem letzten Spiel noch einmal ausführlich über viele schöne und weniger schöne Facetten im Fußball.

LAOLA1: Ernst Happel hat sich 1987 nach dem Pokal-Sieg mit dem HSV nicht von seinen Spielern verabschiedet, sondern sich ins Auto gesetzt und ist einfach gefahren. Wie würden Sie das handhaben?

Roger Schmidt: So sicher nicht (lacht). Ich verabschiede mich natürlich so, wie es sich gehört. Wir haben hier mit der Mannschaft, dem Trainer-Team und dem ganzen Staff zwei Jahre sehr eng zusammengearbeitet. Es war eine sehr angenehme Zeit und von der Atmosphäre her sehr positiv. Wir haben uns sehr zu schätzen gelernt. Wenn man dann diese Gemeinschaft verlässt, sollte auch ein vernünftiger Abschied folgen.

LAOLA1: Eine Feier wäre der Cup-Triumph und das damit verbundene Double an sich schon, weil auch eine großartige Saison gekrönt werden würde. Jetzt steht Ihrer Mannschaft nur noch der SKN St. Pölten im Weg. Dort trainiert Gerald Baumgartner, der einfach noch nie ein Cup-Spiel verloren hat.

Schmidt: Das ist sicherlich außergewöhnlich, dass ein Trainer in diesem Bewerb noch nie verloren hat und zwei Jahre hintereinander im Finale steht. Aber eines steht fest: Irgendwann wird er eines verlieren. (lacht)

LAOLA1: Am Sonntag?

Schmidt: Das wird sich zeigen. St. Pölten ist nicht umsonst ins Finale eingezogen. Sie waren besser als Sturm Graz, das muss man so sagen, wir haben das Spiel am Rückweg von Horn gesehen. Das war sicherlich die beste Mannschaft aus der zweithöchsten Liga, die ich bislang gesehen habe. Ich habe auch viele Partien beim FC Liefering verfolgt, nicht aber dieses Niveau. Es wurde sehr dynamisch und aggressiv gespielt. Von daher sollte man nicht meinen, dass das eine klare Geschichte wird, nur weil wir uns in Horn so klar durchgesetzt haben. Wir nehmen das sehr ernst. Wenn wir unsere Top-Leistung abliefern, dann haben wir auch eine große Chance zu gewinnen. Eine Selbstverständlichkeit ist das keine, das hat uns auch die Geschichte in der vergangenen Saison gelehrt.

LAOLA1: Was zeichnet die Teams von Gerald Baumgartner aus?

Schmidt: Sie sind sicherlich taktisch gut geordnet, kompakt, willig und haben auch Dynamik im Spiel nach vorne. Das ist jetzt keine defensive Mannschaft, sondern die sucht schon auch den Weg nach vorne, um durch schnelles Umschalten torgefährlich zu werden. Deswegen haben sie das Spiel gegen Sturm auch dominiert. Das sollte man als Anhaltspunkt nehmen, was da auf uns zukommen wird.

LAOLA1: Wenn sich der Gegner sehr gut einstellt, dann wird zumeist ein so genannter Plan B schlagend. Inwieweit kann an diesem parallel gearbeitet werden bzw. wie wichtig ist es für Salzburg, überhaupt daran zu arbeiten?

Schmidt: Unsere Spielidee liefert sehr flexible Möglichkeiten. Wir können nicht nur auf eine Art und Weise Tore schießen. Es geht ja im Fußball darum, Tore zu erzielen und Tore zu verhindern. Man kann versuchen, so wenig wie möglich an Möglichkeiten zuzulassen und sich so viele wie möglich zu erspielen, dann ist die Chance groß, dass man das Spiel gewinnt. Beides habe ich zuvor erwähnt, dass uns das gelungen ist. Unsere Spielidee hat so viele flexible Facetten, dass wir keinen komplett anderen Plan B brauchen. Es wird nicht dazu kommen, dass wir uns drei 1,95m-Latten kaufen und die dann vorne stehen haben und hoffen, dass irgendwer bei einem langen Ball die Rübe hinhält, wenn Plan A nicht funktioniert. Diesen Plan wird es nicht geben, für diesen Fußball stehe ich nicht. Diese Diskussion um Plan A, B, C, D, E, die dann irgendwann aufgetaucht ist, weil Basel ganz, ganz viel Glück hatte, dass sie bei uns nicht untergegangen sind. Diese Diskussion halte ich für einen Witz, damit kann ich nichts anfangen.

LAOLA1: Sie ist aber ein großer Teil des Fußballs.

Schmidt: Mit dem ich mich nicht beschäftige. Ich habe zuletzt einen Begriff gehört – den Monday Morning Quarterback. Das sind in den USA jene Leute, die nach dem Wochenende genau wissen, wie das Spiel gewonnen worden wäre, aber es nie beweisen müssen. Die setzen irgendwelche Hypothesen und Ideen in die Welt, die sich toll anhören, und glauben, das hätte funktioniert. Nur: Das kann nie einer widerlegen. Davon lebt eben der Fußball, dass nach einem 0:4 des FC Bayern gegen Real Madrid alle besser wissen, wie man gegen Real erfolgreicher gespielt hätte als Pep Guardiola, der beste Trainer der Welt. Das machen die mit einer Überzeugung und glauben tatsächlich, sie hätten es besser gemacht als Pep Guardiola. Aber mich als Trainer interessiert das null. Ob einer, der null Verantwortung hat, nachher irgendetwas besser weiß, das ist mir egal. Ich akzeptiere dieses Spiel, aber ich mache nicht mit. Und wer die Duelle gegen Basel gesehen hat, weiß, dass beide nach einer halben Stunde hätten entschieden sein müssen.

LAOLA1: Langfristig kann eine Niederlage wie gegen Basel wohl auch Positives bringen.

Schmidt: Sicherlich. Ich habe auch damals gesagt, wir brauchen nicht in Selbstmitleid verfallen, können den Kopf oben lassen und damit leben. Denn wir haben alles gegeben, was wir geben konnten und es hat an diesem Abend eben einfach nicht gereicht, um weiterzukommen. Aber wenn man alles gegeben hat, dann bin ich mit mir im Reinen. Die Spieler nehmen natürlich etwas mit. Es wollte ja jeder ein Tor machen. Jeder, der eine Chance hatte, wollte den Ball vor 30.000 Zuschauern ins Tor befördern. Aber es fehlte vielleicht etwas diese Coolness, die letzte Fokussierung, den Ball im Tor zu versenken. Vielleicht war es die Nervosität, die Einmaligkeit des Moments, die dazu führte, dass man die letzte Konsequenz vermissen ließ. Die riesige Enttäuschung danach kann dazu führen, dass das nächste Mal das Tor erzielt wird. Überhaupt, dass man mit Phasen im Spiel sensibler umgeht. Wir hätten gegen Basel den Sack in gewissen Phasen zuschnüren müssen. Das haben wir nicht gemacht, deswegen konnten sie durch billige Standards zwei Tor erzielen. Durch die Erkenntnis dieses Spiels kann man als Mannschaft reifer werden. Das haben andere Mannschaften voraus, weil sie es schon öfters erlebt haben.

LAOLA1: Was wird es brauchen, um in die Champions League zu kommen?

Schmidt: Stärkere Mannschaften als vergangene Saison Fenerbahce können nicht auf Salzburg zukommen und wir waren nahe dran, uns gegen Fenerbahce durchzusetzen. Andere Spitzenmannschaften, ähnlich eines Formats von Ajax oder Basel, können auch nicht kommen. Deswegen hat man große Chancen, das zu erreichen. Man muss sich eben gut darauf vorbereiten.

LAOLA1: Wie lange ist es für Spieler wie Kampl oder Mane sinnvoll, in Salzburg zu bleiben?

Schmidt: Das muss man individuell betrachten und muss auch jeder für sich beantworten. Spieler mit sehr viel Potenzial werden hierhergeholt, um sich weiterzuentwickeln und auf eine größere Liga vorzubereiten. Den Weg haben einige genommen. Sie haben aber auch ihre Verträge verlängert, das haben sie nicht gemacht, weil sie nun die Hälfte verdienen, sondern weil es etwas mehr gibt. Dann kommt auch der Markt ins Spiel, der das regelt. Am Ende des Tages müssen die Spieler aus den Verträgen herausgekauft werden und da ist die Frage, gibt es den Markt dafür? Da muss man eben individuell auf den einzelnen Spieler schauen.

LAOLA1: Gibt es für die beiden aber überhaupt ein Limit?

Schmidt: Ich denke, dass beide in der Lage sind, auf allerhöchstem Niveau in den Top-Ligen zu agieren.

LAOLA1: Welche Spiele haben Sie in Erinnerung, in denen Salzburg wirklich stark gefordert wurde?

Schmidt: Ich kann mich jetzt an kein Spiel erinnern, in dem wir nicht dominant waren. Das soll jetzt nicht überheblich klingen, aber unser Ansatz ist ja auch, dass wir das Spiel immer selbst in die Hand nehmen, sehr früh attackieren, um in Ballbesitz zu kommen und um das Spiel immer zu prägen. Das war auch gegen bessere Mannschaften so, vor allem in der Europa League. Wir haben ja gemerkt, dass man über diese Art des Fußballs andere Teams überraschen kann und sie auch dazu zwingt, diese anzunehmen. Man kann sich unserem Spiel nicht entziehen. Die Reaktion wäre, so wie wir zu spielen oder sehr passiv zu sein. Offene Spiele wurden es selten. Wir waren zumeist die Mannschaft, die versucht hat durch gutes Gegenpressing zum Torerfolg zu kommen, uns da auch festzusetzen. Die andere Mannschaft war darauf angewiesen, über Konter zum Erfolg zu kommen. So waren alle Spiele geprägt. Aber wenn man gut steht, in der Lage ist, schnell umzuschalten, dann stellt das auch für uns eine Herausforderung im taktischen Sinne dar. Unser Spiel erfordert eine gute Absicherung bei Ballverlusten, das kriegen wir durch super Gegenpressing hin. Da sind wir sicher fantastisch. Wurde das Gegenpressing überspielt, so haben wir hinsichtlich der Restverteidigung noch einmal große Sprünge gemacht. Wir hatten selten Situationen, auch wenn wir gegen Top-Mannschaften gespielt haben, dass mal einer alleine aufs Tor läuft. Da denkt man sich ja eigentlich, dass muss dieser Spielweise doch geschuldet sein, dass permanent einer alleine aufs Tor läuft. Aber etwa gegen Bayern, Ajax oder Basel, das hat es nicht einmal gegeben. Das spricht für das mannschaftstaktische, sehr hohe Niveau.

LAOLA1: Diese Art von Fußball macht Sie wohl auch für Ihre neue Aufgabe in Leverkusen interessant.

Schmidt: Es ist ein Weg, den man einfach gehen muss und zwar sehr konsequent. Man darf das nicht zu 98 Prozent machen, sondern zu 100, sonst wird es nicht funktionieren. Davon muss man die Mannschaft erst einmal überzeugen, dass das die richtige Art des Fußballs ist. Umso schneller sie daran glaubt, umso schneller wird das umzusetzen sein.

LAOLA1: Beginnt dort Ihr Salzburger Weg von neuem?

Schmidt: Das würde ich nicht sagen. Man darf nicht vergessen, Leverkusen war in den vergangenen Jahren hinter Bayern und Dortmund die beste Mannschaft in Deutschland. Sie hat hervorragend gespielt, war in der Champions League, hat gute Voraussetzungen und jetzt geht es einfach darum, diese Erfolge weiterzuführen - unter der Berücksichtigung, dass man etwas anders agieren möchte. Weniger aus dem Konter heraus, sondern auch im Ballbesitz des Gegners aktiv zu sein. Das ist der Grund, warum mich Leverkusen geholt hat.

LAOLA1: Im Frühjahr 2013 sagten Sie uns als Salzburg-Coach „Das Schwierigste liegt hinter uns“, im Herbst 2013 meinten Sie „Das Gerüst steht“. Was würden Sie zum Abschluss über Ihre Mannschaft sagen?

Schmidt: Wenn man sich vor zwei Jahren vorgestellt hat, welcher Fußball hier einmal gespielt werden soll und jetzt den Status Quo hernimmt, dann sind wir fast am Maximum. Es gibt zwar natürlich immer auch Schwankungen, aber die befinden sich auf hohem Niveau. Das Leistungsgefälle bewegt sich im hohen Bereich. An der Spitze der Saison waren wir gegen hochkarätige Mannschaften nahe dem, was wir überhaupt in der Lage sind zu spielen. Viel besser können wir nicht mehr spielen. Jetzt ginge es darum, die Einflüsse, die kommen, wenn sich Gegner auf unser Spiel einstellen, in die Trainingsarbeit einzubeziehen und feinzujustieren. Das Level zu halten ist die Herausforderung. Es geht darum, die Spieler immer wieder mit der Basis vertraut zu machen. Wenn die nach Wochen wiederkommen, muss wieder daran gearbeitet werden. Das ist nicht einmal drin und dann für immer. Vor allem bei unserer Spielidee, die sehr geschlossen gemacht werden muss, gehört die Basis wieder gelegt, Erkenntnisse aus der vergangenen Saison müssen einbezogen und dann wieder ein Schritt weiter gegangen werden.

LAOLA1: Wie haben Sie sich in den beiden Jahren weiterentwickelt oder auch verändert?

Schmidt: Ich musste mich nicht verändern. Ich bin der geblieben, der ich bin. Ich versuche auch nichts zu spielen, sondern vertraue darauf, meine Mannschaft entsprechend meines Charakters zu führen und ich weiß aus der Erfahrung, die ich über die Jahre gesammelt habe: Es ist völlig egal, auf welchem Niveau man Trainer ist, es ist überall dieselbe Arbeit. Auch wenn man andere Ligen kennenlernt, die nicht so hoch einzuschätzen sind, gibt es einem auch wichtige Erkenntnisse. Ich weiß, dass ich in der Lage bin, Spielern zu vermitteln, dass sie bei entsprechender Professionalität und Nutzen des Trainings für Verbesserungen persönlich davon profitieren werden. Da geht es auch darum, Spieler nicht nur sportlich zu begleiten, sondern ebenso persönlich. Das fällt mir sehr leicht, denn ich bin auch an den Menschen interessiert. So entsteht etwas, was für die Mannschaft und mich später eine sehr gute Situation darstellt.

LAOLA1: Was ist wichtiger: Fach- oder Sozialkompetenz?

Schmidt: Man kann das gar nicht mehr voneinander trennen. Das eine bedingt das andere. Das ist schon anspruchsvoll, was wir da spielen. Die Entwicklungsschritte über die Trainingsmethodik hinzubekommen, das ist schon eine Aufgabe. Das kommt nicht von der Stange. Da muss man sich schon sehr viel Gedanken machen, sehr viel Arbeit investieren und alle Möglichkeiten ausschöpfen. Durch das Training, durch Gespräche, auch über die Video-Analytik. Das muss man können, aber das alleine reicht nicht. Wenn ich nicht in der Lage bin, das zu begleiten, indem ich die Spieler durch ein Vertrauensverhältnis gut führe, dann gibt es auch nicht die absolute Bereitschaft eines jeden. Ich muss den Spielern nicht einfach nur sagen, dass sie die Besten sind. Das läuft nicht so oberflächlich, da muss man einfach eine ernste Beziehung hinkriegen. Auch absolute Superstars sind nur Menschen. Sie haben nur die Einflüsse, da wird ihnen gesagt, sie müssen gar nicht mehr so viel arbeiten, weil sie ohnehin so gut sind. Jeder Spieler spielt aber Fußball, weil es ihm Spaß macht. Diesen Urinstinkt muss man bei jedem wecken. Das hat damit zu tun, dass man sie vom Weg überzeugt und sie sich der Mannschaft und dem Trainer verpflichtet fühlen, ihren Teil beizutragen. Ich habe öfters von der Einbahn-Straße gesprochen, also wenn ich alles gebe, will ich auch etwas zurück - davon profitieren alle und das macht Spaß. Das hat eben mit Sozialkompetenz zu tun, nicht aber auf dem Level mit täglich streicheln. Es ist allerdings ein ständiger Prozess, bei dem Vertrauen geschenkt werden muss.

LAOLA1: Nach zwei Jahren in Österreich: Wo würden Sie den Hebel in der Liga ansetzen? Infrastruktur?

Schmidt: Das ist schwierig, da etwas zu verändern. Man kann ja nicht jedem Millionen hinlegen, dass sie sich etwas bauen und dann ist auch keiner drin. Man muss akzeptieren, dass Österreich ein kleineres Land als Deutschland ist sowie größere Städte aktuell nicht in der höchsten Liga vertreten sind, sondern Vereine, die gut gewirtschaftet haben. Was soll man daran ändern? Der österreichische Fußball ist schon auf dem Weg, moderner zu werden, etwa von der Spielanlage her. Über die Qualität des Fußballs die Attraktivität und damit die internationale Konkurrenzfähigkeit steigern. Dann ergibt sich alles andere ein wenig automatisch. Wenn die Trainer sich dazu immer weiterentwickeln, noch mehr Trainer die Spieler weiterentwickeln, dann erhöht sich der Stellenwert des österreichischen Fußballs weiter.

 

Das Gespräch führten Bernhard Kastler und Peter Altmann