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Natürlich Heinz!

Natürlich Heinz!

Es ist mittlerweile eine gefühlte Ewigkeit, die Heinz Lindner im Tor der Wiener Austria steht.

Im Februar 2010 feierte der Oberösterreicher sein Bundesliga-Debüt. Das Derby gegen den SK Rapid wird sein 150. Einsatz in Österreichs höchster Spielklasse sein.

Das liegt auch daran, dass der siebenfache ÖFB-Teamtorhüter seit drei Jahren kein einziges Ligaspiel mehr verpasst hat. Am 6. November 2011 verdrängte er die zwischenzeitliche Nummer eins, Pascal Grünwald, aus dem FAK-Tor. Seither gibt es in Wien-Favoriten keine Tormann-Diskussion mehr.

Angesichts der 182 Pflichtspiele, die er für die Veilchen bestritten hat, vergisst man fast, dass Lindner im Juli gerade mal 24 Jahre alt geworden ist.

LAOLA1 hat den Austrianer zum großen Interview getroffen, um mit ihm über seine Rolle im Team, das Aussterben der „Verrückten“ im Tor, Kreativität im modernen Tormann-Spiel und seine Haare zu sprechen.

LAOLA1: Noch Heinzi oder schon Heinz?

Heinz Lindner: Natürlich Heinz! Mittlerweile bin ich – trotz meines für einen Tormann noch jungen Alters – schon ein gestandener Spieler. Ich versuche auch, das auf dem Platz widerzuspiegeln.

LAOLA1: 150 Bundesliga-Spiele, drei Jahre lang kein einziges Liga-Spiel verpasst – in deinem Alter keine Selbstverständlichkeit.

Lindner: Nein, überhaupt nicht. Es ist toll für mich, bei diesem Klub schon so viele Spiele bestritten zu haben. Darauf bin ich auch sehr, sehr stolz. Ich habe immer versucht, das Vertrauen, das mir vom Verein entgegengebracht wird, rechtzufertigen.

LAOLA1: Wie hast du dich in dieser Zeit persönlich entwickelt?

Lindner: Bis auf ein paar Ausnahmen ist die Entwicklung stetig nach oben gegangen. In einem sportlichen Werdegang ist es normal, dass auch mal Tiefs kommen – aus diesen Phasen muss man dann gestärkt rauskommen. Ich denke, dass ich das ganz gut hinbekommen habe. Man muss bei der Austria immer mit Druck umgehen können. Das weiß auch jeder Spieler, der hier unter Vertrag steht.

LAOLA1: Wobei der Druck aktuell ungleich höher zu sein scheint.

Lindner: So, wie es in dieser Saison angelaufen ist, habe ich das selber noch nicht erlebt. Auch für mich ist das eine neue Situation. Wir respektive ich stehen vor einer neuen Aufgabe, die wir erst lösen müssen.

LAOLA1: Nimmst du dich, der als gestandener Spieler auch den Anspruch hat, Führungsspieler zu sein, da selbst an der Nase? Sagst du dir beispielsweise: „Ich muss vorangehen, muss als Führungsspieler auftreten und darf mich nicht nur mit mir selbst beschäftigen.“

"Gruber ist einer der besten, wenn nicht der beste Tormanntrainer des Landes"

Lindner: Wir Torhüter sind zwar Teil der Mannschaft, sind aber irgendwie auch Einzelkämpfer. Wir trainieren fast nur mit unserem Tormanntrainer Franz Gruber – egal ob unter Peter Stöger, Nenad Bjelica, Herbert Gager oder Gerald Baumgartner. Wir Goalies haben sehr wenig mit dem Training der Feldspieler zu tun, kommen nur zu Schussübungen und Trainingsspielen zur Mannschaft. Insofern bekommen wir gar nicht so viel mit. Wobei sich die Anforderungen in den Details natürlich von Trainer zu Trainer verändern – etwa im Spielaufbau. Einzelkämpfer unter Anführungszeichen also, weil wir ja trotzdem zum Team gehören.

LAOLA1: Du trainierst seit 2007 unter Franz Gruber. Wird das nicht irgendwann monoton?

Lindner: Das sollte man meinen, es ist aber nicht so. Er ist einer der besten, wenn nicht der beste Tormanntrainer des Landes. Und ich habe schon mit sehr, sehr vielen Tormanntrainern gearbeitet. Sein Training ist vielseitig und verändert sich immer wieder. Es wird nie fad – und das ist ein gutes Zeichen.

LAOLA1: Du hast in dieser Saison erstmals keinen Zweier-Goalie, der ganz klar den Anspruch hat, Nummer eins zu sein, hinter dir. Wie wirkt sich das aus?

Lindner: Die Austria geht am Tormann-Sektor den richtigen Weg. Bei mir war es auch so, dass ich als junger Torhüter ins kalte Wasser springen und meine Chance nutzen musste. Wir haben mit Osman Hadzikic und Tino Casali zwei sehr gute junge Goalies, die meiner Meinung nach sofort spielen könnten. Ich hätte da keine Bedenken. Sie können zwar nicht diese Ansprüche stellen, sind aber sicher am Punkt da, wenn die Chance kommt. Von ihrer Qualität her sind sie mit anderen Zweier-Goalies der Liga, die den Anspruch, zu spielen, stellen können, gleichzusetzen.

LAOLA1: Du fühlst dich also nicht in einer Komfortzone?

Lindner: Fußball ist ein Leistungssport. Wenn du deine Leistung nicht bringst, wirst du ausgetauscht. Bei mir ist das nicht anders. Wer sich zurücklehnt, ist fehl am Platz. Und wer mich kennt, weiß, dass ich keiner bin, der sich zurücklehnt.

Lindner: Natürlich erwartet man sich von einigen Spielern, dass sie diese Rolle übernehmen. Wenn ich die Kapitänsschleife trage, versuche ich, der Mannschaft zu helfen. Aber es ist nicht nur die Schleife, die dir das Recht gibt, auf dem Platz den Mund aufzumachen und versuchen, das Team mitzureißen – das sollen ja mehrere Spieler machen.

LAOLA1: Gerade als Goalie ist es aber am Feld schwieriger…

Lindner: Klar. Du bist nicht immer im Spielgeschehen. Ich versuche, etwa mit den Spielern zu sprechen, wenn ein Corner ist und sie in meiner Nähe sind.

LAOLA1: Wirst du in der Kabine manchmal laut?

Lindner: Wenn irgendetwas nicht passt, gehört es angesprochen und ausdiskutiert. Wir machen das auch in der aktuellen Situation – da gibt es viel zu diskutieren. Es ist klar, dass wir uns zusammensetzen und versuchen, die Ursachen herauszufinden.

LAOLA1: Und dann bist du einer der Vorredner?

Lindner: Das ist ein Dialog, kein Monolog. Da gibt es nicht einen, der Wortführer ist. Da wird in der gesamten Mannschaft diskutiert.

LAOLA1: Du hast in deiner Zeit bei der Austria schon einige Trainerwechsel erlebt. Wie weit spielt es für dich als Goalie überhaupt eine Rolle, wenn eine neue Spielphilosophie implementiert werden soll?

Traumland Spanien: "Mir ist auch das Wetter wichtig"

Lindner: Wir kennen uns schon sehr, sehr lange. Bei der Austria habe ich mich damals – auch aufgrund von Verletzungspech – durchgesetzt. Im Nationalteam ist aktuell er die Nummer eins. Er macht seine Sache auch sehr, sehr gut, wenn er spielt. Ich akzeptiere die Entscheidung des Teamchefs.

LAOLA1: Er ist aber auch eines von vielen Beispielen, dass man als österreichischer Legionär ein besseres Standing hat als ein Bundesliga-Spieler.

Lindner: Wenn du im Ausland spielst, hast du ein besseres Standing, weil die Liga attraktiver ist. Für mich war in jungen Jahren die Spielpraxis wichtig. Das Ziel als Bundesliga-Spieler sollte aber immer sein, in eine internationale Top-Liga zu wechseln. Das ist natürlich auch mein Ziel.

LAOLA1: Ist Spanien dein Traum-Land?

Lindner: Über die Liga brauchen wir gar nicht lange zu sprechen – das ist eine der attraktivsten der Welt. Was mir auch wichtig ist: das Wetter. Als wir Anfang November in der Champions League in Madrid gespielt haben, hatte es am Abend noch 15 Grad Celsius – das hat mir getaugt.

LAOLA1: Hast du das Gefühl, dass es für dich an der Zeit ist, den nächsten Schritt in deiner Karriere zu machen?

Lindner: Es gibt Gespräche – auch mit der Austria. Primär ist aber wichtig, dass wir als Mannschaft aus dieser Misere rauskommen. Mein Ziel ist es, das noch zu 100 Prozent positiv zu erledigen. Mir bedeutet die Austria sehr, sehr viel, darin steckt mein Herzblut. Es bringt auch nichts, mit den Gedanken jetzt schon irgendwo anders zu sein.

LAOLA1: Abschließend zum Derby: Wie stehst du zum Happel-Stadion?

Lindner: Welche Stimmung im Happel-Stadion aufkommen kann, habe ich in der Champions League und im Nationalteam erlebt. Für uns kommt das Derby ganz gelegen. Wir sind in der Pflicht, dort drei Punkte mitzunehmen – das sind wir unseren Fans schuldig. Wir wollen ganz anders auftreten als zuletzt gegen Sturm Graz.

LAOLA1: Es könnte im 150. Bundesliga-Spiel dein 60. zu Null werden.

Lindner: Das sind rund 40 Prozent. Ich hätte nichts dagegen, wenn ich die Statistik noch ein bisschen verbessern könnte.

Das Gespräch führte Harald Prantl

LAOLA1: Du hast die Rolle als „Einzelkämpfer“ angesprochen. Aber dieses Bild des „Verrückten“ im Tor ist in den vergangenen Jahren deutlich verblasst.

Lindner: Das stimmt. Der Tormann-Sektor hat sich verändert. Mit Manuel Neuer gibt es einen, der die Position neu definiert hat. Das moderne Torhüter-Spiel wird immer wichtiger. Dazu gehört auch das Spiel mit dem Fuß, die Integration in den Spielaufbau, das „Libero spielen“. Es geht darum, gewisse Gefahrensituationen rechtzeitig zu antizipieren, sehr hoch zu stehen und mitzuspielen. Früher waren diese Dinge sekundär, jetzt rücken sie immer mehr ins Rampenlicht. Als Tormann muss man sehr intelligent sein. Der Typ des „verrückten Tormanns“ stirbt aus.

LAOLA1: Als Tormann muss man innerhalb von Sekunden-Bruchteilen Entscheidungen treffen. Muss man deswegen mehr Bauch- als Kopfmensch sein?

Lindner: Ich kann gar nicht sagen, ob solche Entscheidungen aus dem Bauch oder aus dem Kopf kommen – das passiert intuitiv. Man setzt um, was man Woche für Woche trainiert und greift auf bestimmte Erfahrungswerte zurück. Man hat da eine gewisse Routine und denkt nicht lange nach.

LAOLA1: Um nochmal auf das Thema „verrückt“ zurückzukommen. Rene Adler schreibt im aktuellen „11Freunde“ folgendes: „Ich werfe mich täglich mit voller Überzeugung unzählige Male auf den Boden. Das kann einfach nicht gesund sein.“ Ein bisschen verrückt müsst ihr also doch noch sein, oder?

Lindner: Im Vergleich zu einem Handball-Tormann, der die Bälle aus sechs, sieben Metern ins Gesicht geschossen bekommt, haben wir ein harmloses Leben. Ein Spieler wird sich nicht vorstellen können, sich absichtlich anschießen zu lassen, für uns ist das aber normal. Für mich hat das auch gar nichts mit Verrücktheit zu tun. Ich mache das mein ganzes Leben lang, ich kenne gar nichts anderes mehr.

LAOLA1: Ein zweites Zitat hätte ich noch. Kasey Keller, 101-fache US-Teamtorhüter, sagt: „Die einzige wirkliche Kunstform ist das Tor an sich. Und wir haben den Job, es zu verhindern. Wenn man so will, sind wir also die Anti-Künstler auf dem Spielfeld.“

Lindner: Die Leute schauen sich Fußball an, um Tore zu sehen. Das macht ein Spiel attraktiv. Es ist viel besser, ein 4:4 als ein 0:0 zu sehen.

LAOLA1: Also bist du der Spielverderber.

Lindner: Ich versuche, für die Mannschaft da zu sein. Wenn ich meine Sache gut mache, kassieren wir wenige oder gar keine Gegentore. Ich bin gerne für alle der Spielverderber, wenn wir 0:0 spielen anstatt 0:1 zu verlieren.

LAOLA1: Gibt es Platz für Kreativität im Tormannspiel?

Lindner: Natürlich! Aber eben nur in Maßen. Es ist mit sehr viel Risiko verbunden, wenn man auf dieser Position etwas ausprobiert – hinter mir ist keiner mehr, der meine Fehler ausbügelt. Wenn wir aber wieder auf Manuel Neuer zurückkommen – er spielt mit dem Fuß teilweise sehr riskante Bälle, die meistens passen. Es ist ein schmaler Grat – man darf nicht zu kreativ sein. Wenn man es übertreibt, geht es meistens nach hinten los.

LAOLA1: Der Platz für Kreativität ist also mit dem Ball am Fuß.

Lindner: Sonst kannst du ja nicht großartig kreativ sein. Wenn ein Schuss aufs Tor kommt, musst du ihn halten. Es gibt zwar Goalies, die das spektakulärer aussehen lassen, als es tatsächlich ist. Wenn du das unter Kreativität verstehst, okay. Aber dafür bin ich nicht der Typ.

LAOLA1: Gel, Schaum, Taft oder Wachs?

Lindner: (lacht) Das werde ich öfter gefragt, ich weiß gar nicht, warum.

LAOLA1: Vermutlich, weil sie immer perfekt halten, obwohl du in der Gegend herumfliegst.

Lindner: Gel. Ich habe relativ lange Haare, die mir ins Gesicht hängen würden (nimmt die Kappe ab und zieht die Haare über die Augen). Es wäre während des Spiels nicht so praktisch, wenn ich dauernd mit meinen Haaren beschäftigt wäre. Deswegen gele ich sie streng zurück. Das ist innerhalb von einer Minute erledigt.

LAOLA1: Wie stehst du zu deinem mannschaftsinternen Spitznamen „schöner Heinz“?

Lindner: Es gibt Schlimmeres. Aber ich selbst sehe mich eigentlich nicht als der „schöne Heinz“. Ich achte auf mein Äußeres und mir taugt Mode, aber ich brauche nicht lange vor dem Spiegel. Auch da habe ich meine Automatismen, die greifen (grinst). Da brauchen einige andere wesentlich länger.

LAOLA1: Gibt es einen Mitspieler, an den du schlechte Erinnerungen hast, wenn es um Schusstrainings geht?

Lindner: Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich zu den Profis gekommen bin. Damals hat der Chinese Xiang Sun bei uns gespielt. Der hatte einen unglaublichen Schuss. Als 17-Jähriger hat mich das sehr beeindruckt. Wenn dich in so einem jungen Alter so ein Schuss trifft, kann das schon schmerzhaft sein.

LAOLA1: Hast du dir im Training, wenn du gemerkt hast, dass ein Austria-Stürmer Probleme mit dem Selbstvertrauen hat, jemals gedacht: „Ich lass‘ den Schuss mal rein, vielleicht hilft es ihm ja.“

Lindner: Nein. Das habe ich – bei aller Nächstenliebe – noch nie gemacht. Ich versuche in jedem Training, mein Bestes zu geben und mein eigenes Selbstvertrauen so hoch wie möglich zu halten. Ich kann gar keinen Ball absichtlich reinlassen, das ist unmöglich.

LAOLA1: Wie ist dein Verhältnis zu Robert Almer?