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Ist Österreich ein taktisches Nachzüglerland?

Ist Österreich ein taktisches Nachzüglerland?
Am 19. Februar 2011 verliert der FSV Mainz daheim gegen Bayern München eine hochklassige Partie 1:3.

Im deutschen Bezahlsender „Sky“ wird danach über die taktischen Wechsel der Partie gefachsimpelt.

Moderator Sebastian Hellmann stellt fest, dass Studio-Gast und Mainz-Coach Thomas Tuchel in der ersten Hälfte von einer Mittelfeld-Kette auf eine Raute umstellte.

Daraufhin reagierte auch Bayern-Trainer Louis van Gaal mit einer taktischen Veränderung. „Das ist ja schon fast wie beim Schach hier“, meint Hellmann in klassischem Bundesdeutsch.

Tuchel lacht begeistert und sagt: „Schließlich gehört das zum Fußball dazu.“

Taktisches Umdenken als deutsches Erfolgsrezept

Seit der WM 2006 hat sich in Deutschland etwas verändert. Taktik ist in der Berichterstattung um Fußball kein Tabu mehr.

Das Fernsehen beschäftigt sich mit den taktischen Feinheiten des letzten Spieltages, und auch in Print- und Onlinemedien kommt niemand mehr an derartigen Analysen vorbei.

Angeführt wird dieser Trend von einer jungen Trainer-Generation, die die deutsche Bundesliga aufmischt. Klopp, Tuchel, Slomka, Dutt – sie alle setzen auf umfangreiches taktisches Training und fahren gut damit.

„Von einer taktischen Revolution zu sprechen, wäre zu viel gesagt. Ich würde es eher als taktisches Umdenken bezeichnen“, stellt Alexander Marx, Chefredakteur vom deutschen Online-Sport-Portal Spox.com, fest.

Hinkt Österreich taktisch hinterher?

Szenenwechsel: In Österreich amtiert ein Teamchef, der Taktik für überschätzt hält. Die hiesigen Medien beschäftigen sich kaum mit den strategischen Aspekten des Fußballs. Und österreichische Trainer sind im Ausland so gefragt, wie Skilehrer in der Wüste.

Ist Österreich also ein taktisches Nachzüglerland?

„Ich würde das nicht pauschalisieren. Ich bin überzeugt, dass wir sehr gute Trainer haben. Vielleicht fehlt aber manchmal die letzte Detailarbeit“, meint Thomas Janeschitz, der Chef der Trainerausbildung beim ÖFB.

Fakt ist jedoch, dass sich das Nationalteam seit 1998 für kein Großereignis mehr aus eigener Kraft qualifizierte. Auch internationale Erfolge auf Klubebene haben seit Rapids Einzug ins Finale des Cups der Cupsieger 1996 Seltenheitswert.

Hat diese Flaute etwas mit taktischen Versäumnissen zu tun?

1998 war noch alles anders

Folgenreiche Umstellung

1998 war die Welt noch in Ordnung. Das ÖFB-Team erreichte unter Herbert Prohaska mit dem alteingesessenen 3-5-2-System und klassischer Manndeckung die WM in Frankreich.

Doch seitdem hat sich der Fußball enorm weiterentwickelt. Nach der Umstellung von Manndeckung auf Raumdeckung wurde das Spiel komplexer, sowohl für die Spieler als auch für die Trainer.

„Das war ein Riesenschritt. Es hat schon eine gewisse Umstellungszeit gebraucht, bis man sich getraut hat, auch in Österreich so zu spielen. Einige skandinavische Trainer haben das zu uns gebracht. Hans Backe (Ex-Salzburg-Coach, Anm.) war z.B. ein Verfechter der Raumdeckung“, meint ÖFB-Chefausbildner Janeschitz, der selbst bis zum Jahr 2000 aktiv war.

Taktischer Nachholbedarf

Backe war in Salzburg nur kurz Coach - von Juli 2000 bis September 2001. Der neuen Spielart stand man im Land des Scheiberlspiels zu Beginn eher skeptisch gegenüber.

Dabei hatte sich die Raumdeckung und das dazugehörende standardmäßige 4-4-2-System spätestens bei der WM 1998 international längst durchgesetzt. Pionier Arrigo Sacchi und sein AC Milan wurden schon 1989 damit Europapokalsieger der Landesmeister.

Diese verspätete Umstellung hängte Österreich noch lange Zeit nach. Nicht zufällig rutschte die Nationalmannschaft in der Weltrangliste  von Platz 17 im Mai 1999 auf Rang 105 im August 2008 ab. Natürlich spielen bei diesem Absturz auch zahlreiche andere Gründe mit, doch ein gewisser Zusammenhang lässt sich nicht abstreiten.

Geht raus und spielt Fußball“ reicht nicht mehr

Deutschland hatte Anfang der Jahrtausendwende dieselben Probleme. Und das ausgerechnet vor der Heim-WM 2006. Der äußerst glückliche WM-Finaleinzug 2002 überdeckte noch das schlechte Abschneiden bei der EM 2000.

„Doch spätestens nach dem frühen Aus in der Gruppenphase bei der EM 2004 war jedem klar, dass es so nicht weitergeht. Mit dem Beckenbauer-Spruch 'Geht raus und spielt Fußball' sind wir weit gekommen, aber dann angestanden“, weiß Spox-Chefredakteur Marx.

Der Fußball hatte sich so schnell weiterentwickelt, dass taktische Details immer wichtiger wurden.

Klopp und Co. ernten die Früchte

Also überlegte sich der deutsche Fußball-Bund Maßnahmen. „Der DFB hat neue Strukturen entworfen, um zum einen mehr in die Jugend zu investieren und zum anderen die Trainer viel mehr in Sachen Taktik auszubilden. Die Leute, die jetzt groß rauskommen, wie Slomka oder Klopp, sind die ersten, die davon Früchte tragen.“

Mit Jogi Löw betreut zudem seit 2004 (als Co-Trainer und seit 2006 als Chefcoach) ein Trainer das Nationalteam, der schon früh die Zeichen der Zeit erkannte.

„Wir haben bis zum Jahr 2010 einen großen taktischen Schritt gemacht. Wie wir bei der WM eine Mannschaft wie Argentinien auseinander gespielt haben, das war schon groß“, meint Marx.

Janeschitz hält Taktik für sehr wichtig

Es geht langsam bergauf

Auch in Österreich ist seit einigen Jahren ein Umdenken ersichtlich. Dabei profiliert sich vor allem der ÖFB als Vorreiter.

„Aus meiner Sicht befindet sich der österreichische Fußball in einem Aufschwung, der vor allem im Nachwuchs passiert. Wir sind mittlerweile bis zur U21 konkurrenzfähig und haben in jedem Jahrgang die Möglichkeit, uns für die EM zu qualifizieren. Leider reicht es bisher noch nicht für ganz oben“, so Janeschitz.

Mit dem vierten Platz bei der U20-WM 2007 machte Österreich plötzlich wieder auf internationaler Ebene auf sich aufmerksam. Die taktische Cleverness der Gludovatz-Elf war dabei ein Grundpfeiler des Erfolges.

Können uns taktische Schwächen nicht leisten“

„Mit einem klaren taktischen Konzept kannst du sehr viel wett machen. In der Trainerausbildung nimmt Taktik deswegen mittlerweile den Hauptanteil der Lehre ein.“

Österreichs neue Trainergeneration, wie Schöttel, Stöger, Kühbauer, Kogler und Co, haben also eine zeitgemäße Ausbildung hinter sich.

Jetzt gilt es nur noch, die Theorie in die Praxis umzusetzen, denn Janeschitz bringt es mit seinen abschließenden Sätzen auf den Punkt:

„Wenn du konsequent mit einer Philosophie und einem Konzept arbeitest, dann wirst du auch langfristig Erfolg haben. Für Länder wie Österreich oder die Schweiz ist das die Grundvoraussetzung. Wir können es uns nicht leisten, dass wir taktische Schwächen haben.“

Jakob Faber