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Ammann: "Gibt Überreste des Sturzes zu überwinden"

Simon Ammann spricht bei LAOLA1 offen über seine Probleme und die Zukunft:

Ammann:

Simon Ammann hat niemandem mehr etwas zu beweisen.

Vier Olympia-Goldmedaillen, Titel bei der Nordischen Ski-WM und bei Skiflug-Weltmeisterschaften, dazu die große Kristallkugel und nicht weniger als 23 Weltcupsiege.

Mit mittlerweile 34 Jahren hat er fast alles erreicht, was es im Skisprung-Zirkus zu gewinnen gibt. Und doch hat er noch nicht genug.

Der Schweizer, im Vorjahr bei der Vierschanzen-Tournee in Bischofshofen so schwer gestürzt, dass ein Karriereende im Raum stand, schindet sich nach wie vor und misst sich mit den Besten der Welt.

Schwierig, intensiv und trotzdem schön

Es sei eine der schwierigsten Phasen seiner Karriere gewesen, spricht „Simi“ bei LAOLA1 über die Wochen nach dem Sturz, in denen er verbissen um sein Comeback und die Teilnahme an der WM in Falun gekämpft hat. „Eine der intensivsten dazu. Andererseits war sie aber auch unglaublich schön.“

Ammann erklärt, was er damit meint: „Diese Abschottung, es drehte sich alles um die Genesung und meine Familie. Es waren nur sehr wenige Leute, mit denen ich Zeit verbracht habe. Ohne sie wäre es nicht gegangen. Der Rückhalt der Mannschaft und der Familie waren irrsinnig schön.“

once again, just for fun :)

Posted by Simon Ammann on Samstag, 21. November 2015

Der Jung-Vater, Sohnemann Théodore kam im Oktober des Vorjahres zur Welt, wurde von seinen Liebsten immer unterstützt. „Ich habe vor allem von meiner Frau das Vertrauen gespürt. Das war nicht selbstverständlich.“

Ob er ohne sie noch springen würde, kann er nicht beurteilen, die schnelle Rückkehr sei aber enorm wichtig gewesen. „Wenn ich letzten Winter nicht mehr gesprungen wäre, wäre es im Sommer wahrscheinlich viel schwieriger geworden.“

Die Narben sind verheilt 

Rein äußerlich sind die Narben längst verheilt, innerlich ist er aber noch nicht ganz der Alte. Ammann hat seinen Aufsprung umgestellt. Nach 17 Jahren, in denen er beim Telemark das linke Bein nach vorne schob, versucht er es jetzt mit dem rechten.

Eine gravierende Veränderung, die ihre Tücken hat und dem Eidgenossen in den ersten Wettkämpfen große Probleme bereitete. „Es ist natürlich eine Kopfsache“, gibt er unumwunden zu und sieht noch „ein paar Baustellen“, die er Schritt für Schritt beheben muss. Wichtig war ihm aber vor allem, zu sehen, „dass ich bei den Leuten bin“.

Am liebsten in seiner Heimat, wo an diesem Wochenende der Weltcup in Engelberg Station macht, will er wieder um den Sieg springen.

"Es gibt noch letzte Überreste des Sturzes zu überwinden. Das kann ich effektiv aber nur, wenn ich im Flug bin. Ich habe bessere Strategien, als ein Psychologe sie mir zeigen könnte."

Simon Ammann

Hilfe seiner Trainer nimmt er dafür gerne in Anspruch, psychologische erachtet er indes als unnötig. „Ich habe Angebote bekommen“, verrät der Routinier. Angenommen habe er sie nicht.

Skispringen bedeute eine wahnsinnige technische Herausforderung, ein Mentalcoach könne sich nur schwer in seine Lage versetzen. „Man muss sich den Herausforderungen stellen, es gibt noch letzte Überreste des Sturzes zu überwinden. Das kann ich effektiv aber nur, wenn ich im Flug bin. Ich habe bessere Strategien, als ein Psychologe sie mir zeigen könnte.“

In der Vergangenheit ist es ihm immer wieder gelungen, sich neu zu erfinden und die Konkurrenz zu überraschen. Bestes Beispiel war sein Bindungs-Coup bei den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver.

Die Tournee als schwarzer Fleck

Der einzige schwarze Fleck auf seiner Vita ist bis dato die Vierschanzen-Tournee. Zweimal wurde er Gesamt-Zweiter, zweimal -Dritter – der ganz große Wurf blieb ihm bislang verwehrt. Generell fällt auf, dass Ammann auf österreichischem Boden das Glück nicht hold ist. Unter seinen 23 Weltcupsiegen ist kein einziger hierzulande zustande gekommen.

Ein schwieriges Verhältnis zu Österreich verneint Ammann vehement. „Ich war ja viermal am Podest und habe durchaus an der Geschichte (der Tournee) mitgedreht und mitgeschrieben. Auch wenn ich sie nie gewonnen habe, bin ich trotzdem zufrieden.“

An seinem Urteil kann auch der Horrorsturz in der vergangenen Saison nichts ändern. „Das hat nichts geschmälert“, meint er. Der erwähnten Sieglosigkeit auf rot-weiß-rotem Boden will er nicht zu viel Bedeutung beimessen. „Es gibt halt solche Zufälle. Ich sage mir zumindest, dass es sie gibt. Vielleicht habe ich auch irgendetwas noch nicht entdeckt.“

Ammanns Olympia-Goldene 2002 (l.) und 2010 (r.)

"Ich bin einer, der viel denkt"

Allzu viel Zeit bleibt ihm wohl nicht mehr, um fündig zu werden. „Eher kurzfristig“, antwortet er auf die Frage, in welchen Zyklen er als Sportler mittlerweile denkt. Es gebe allerdings keinen bestimmten Wettkampf, den er unbedingt noch bestreiten wolle. Vielmehr ist es der optimale (Auf)Sprung, der ihm als Vision dient. „Wenn ich dieses Ziel erreicht habe, kann ich vielleicht darüber hinausschauen. Vielleicht braucht es ihn aber auch, um aufzuhören.“

Ein zweiter Noriaki Kasai werde er jedenfalls nicht, versichert Ammann lachend und hat sich für die Karriere danach bereits gerüstet. Er kürzlich wurde bekannt, dass der Schweizer gemeinsam mit dem Deutschen Martin Schmitt und ihrem gemeinsamen Berater Hubert Schiffmann eine Agentur gründete, die Athleten – darunter Gesamtweltcupsieger Severin Freund – vermarktet und betreut.

Im operativen Geschäft ist er noch nicht tätig, um erst gar nicht die Gefahr eines Interessenkonfliktes aufkommen zu lassen. „Wenn wir um Siege kämpfen, machen wir das sportlich aus“, hält der 34-Jährige fest.

Die Zusatzbeschäftigung habe aber große Bedeutung für ihn. Immer wieder seien Athleten deshalb schon auf ihn zugekommen. „Ich brauche das für den Kopf. Ich bin einer, der viel denkt“, sagt Ammann.

Und nennt damit vermutlich genau jene Eigenschaft, die ihm derzeit im Weg steht, um bei der Landung wieder einen Telemark zu setzen.


Christoph Nister

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