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Verletzungs-Misere: Ein Burnout-Problem?

Experte klärt auf, wie Burnout-Mechanismen an Verletzungs-Misere im ÖSV schuld sein könnten.

Verletzungs-Misere: Ein Burnout-Problem?

Mit der im WM-Training gestürzten Mirjam Puchner (So verlief die OP) ist die ÖSV-Verletztenliste um einen weiteren Namen länger. Eine Liste, die Trainer und Fans vor Rätsel stellt.

Einfach nur Pech?

Auf der Suche nach möglichen Antworten sprach LAOLA1 mit Haris Janisch. Der Sportwissenschaftler hat als Obmann der Fachgruppe für Personenberatung und Personenbetreuung der Wirtschaftskammer Wien mit der Burnout-Vorbeugung in Betrieben zu tun.

ÖSV-Verletzungsopfer 2016/17

Mirjam Puchner Schien- und Wadenbeinbruch
Eva-Maria Brem Schien- und Wadenbeinbruch
Carmen Thalmann Kreuzbandriss
Cornelia Hütter Kreuzbandriss
Elisabeth Reisinger Kreuzbandriss
Nina Ortlieb Knöchel, Brüche im Oberkörper
Georg Streitberger Überreizung im Knie

Auch wenn der Begriff des Burnouts in Bezug auf das ÖSV-Lazarett wahrscheinlich zu weit geht, bieten die auftretenden Mechanismen sehr wohl einen Erklärungsansatz:

LAOLA1: Herr Janisch, inwiefern unterscheidet sich ein Burnout eines Profi-Sportlers von jenem – sagen wir – eines Top-Managers?

Haris Janisch: Ein Burnout hat geistig und körperlich gesehen die gleichen Dynamiken. Meistens tritt eine Art von Unlust oder Erschöpfung auf. Wir benutzen hierbei das Modell nach Freudenberger, bei dem man anhand von zwölf Stadien erkennen kann, auf welcher Ebene sich jemand befindet. Das Endstadium gleicht hierbei einer psychotischen Erkrankung. In der Fachsprache wird das die Phase der Depersonalisation genannt. Das bedeutet, dass sich jemand wie ein depressiver Mensch aus dem Leben in eine eigene Welt transferiert hat.

LAOLA1: Was heißt das nun für einen Sportler?

Janisch: Bei jedem Menschen gibt es unterschiedliche Problemzonen. Die Erschöpfung des Organismus‘ macht sich genau bei diesen Schwachstellen bemerkbar. Je nachdem, wo diese Schwachstelle bei einem Menschen liegt, kann es sein, dass jemand etwa aus einer Kombination aus Fehlhaltung und Übertraining plötzlich einen Bandscheiben-Vorfall erleidet. Bei Athleten sind Schwachstellen im Bewegungsapparat aufgrund dessen Beanspruchung nicht unwahrscheinlich. Bei anderen kann es wiederum vorkommen, dass die Probleme zu einem Herzinfarkt oder Gehirnschlag führen. Wir können also nicht voraussagen, wie genau sich Dauerbelastung und Dauerstress – also chronischer Distress – auf einen bestimmten Organismus auswirkt.

LAOLA1: Der Österreichische Ski-Verband klagt über eine fast schon mysteriöse Verletzungs-Misere. Halten Sie es für möglich, dass diese mit den genannten Mechanismen zusammenhängt?

Janisch: Auf einen ganzen Verband kann man so etwas nicht übertragen. Jedoch geht es im Skifahren um viel Nationalstolz. Auch um das Standing des Skischul-Modells, die Ski-Industrie oder ein Stück weit um den Tourismus. Die Speerspitze ist dabei der alpine Ski-Zirkus. Dass hier ein extremer Leistungsdruck auf alle Top-Funktionäre lastet, ist klar. Dass Spitzensportler, welche die modernen Gladiatoren sind, Extremes leisten müssen, liegt ebenso auf der Hand. Fraglos eine Riesen-Stressbelastung. Jedoch denke ich gleichwohl, dass im ÖSV sehr gute Trainer und Psychologen am Werk sind, die helfen, wenn es darum geht, Entspannung einfließen zu lassen.

LAOLA1: Aber gerade im ÖSV haben wir mit Peter Schröcksnadel einen Präsidenten, der von Psychologen nichts hält.

Janisch: Ich denke, der Herr Präsident müsste sich ein bisschen mehr mit den Fakten der Geist-Körper-Interaktions-Modelle befassen, die den Menschen ausmachen. Gerade ein Spitzensportler braucht Unterstützung – ob man es mentales Training oder Sportpsychologie nennt, ist zweitranging. Es hat letztlich immer mit einem gewinnorientierten Denken zu tun. Mit dem Fühlen „Ich kann es“, mit dem an sich glauben, „Ich vertraue mir“. Das sind alles Kräfte des Denkens, die ein Psychologe gut bearbeiten kann. Wie kann ich mir selbst vertrauen, wie kann ich bestehen? Fragen, die sich allesamt ein Gregor Schlierenzauer zuletzt ebenfalls gestellt hat.

Gregor Schlierenzauer fand den Weg zurück

LAOLA1: Wo hört Motivationslosigkeit auf und fängt Burnout an?

Janisch: Das Freudenberger-Modell ist eine Annäherung daran, ein Art Kompass. Laut diesem gibt es Phasen, in welchen jemand spürt, dass er in einem Leistungsflow drinnen ist. Er hat mehr Energie, ist viel begeisterter. Es beginnt ja oft mit der Begeisterung. Und die Gefahr der Begeisterung ist, dass man in Folge ausbrennt. Wenn man über längeren Zeitraum gezwungen ist, immer mehr und mehr tun zu müssen, kann es sein, dass irgendwann einmal die ersten Gefühlsregungen auftauchen. Ich kann in der Nacht nicht mehr durchschlafen, habe Sorgen, halte dem Druck nicht mehr stand. Ich ziehe mich mehr und mehr zurück, ich will öfter einsam sein, gar nicht mehr aufstehen. Es folgt eine Art Erschöpfungssyndrom, bei dem der Körper sagt: Bleib liegen, ich will nimmer! Dann zwingt uns oft der starke Geist, das Verantwortungsgefühl, dass wir trotzdem weitermachen. Der Geist ist so stark, dass wir dann drüber gehen und unseren Körper gegebenenfalls sogar kaputtmachen. Spitzensportler müssen regelmäßig über ihre Grenzen gehen. Überstrapaziert man dieses Prinzip, kippt der Organismus irgendwann.

LAOLA1: Ohne die notwendigen Regenerationsphasen.

Janisch: Richtig. Man hat nicht gelernt, achtsam zu bleiben. Man vergisst, darauf aufzupassen, wann ich abschalten sollte. Es gibt hierbei auch den Begriff der Psycho-Vampire: Wo zieht mir jemand noch Energie ab? Ich muss lernen, nein zu sagen.

LAOLA1: Sind die Settings des Programms Fit2Work sowie des von der Fachgruppe Personenberatung und Personenbetreuung der Wirtschaftskammer Wien vorgestellten Wiener Resilienz-Modells (WRM; Anm.) im System Sport anwendbar, sodass beispielsweise ein Fußball-Klub, Sportverband oder ein Gregor Schlierenzauer zu Ihnen kommen kann?

Janisch: Das Fit2Work kann man für einen Verein oder Organisation auf jeden Fall anwenden. Für die Einzelperson kommen andere Analyseverfahren ins Spiel, die im Wiener Resilienz-Modell beinhaltet sind. Als WRM-Berater hole ich mir alle verfügbaren Diagnose-Ergebnisse und Informationen über eine Person. Zusätzlich muss ich mir selbst einen Eindruck davon machen, wo er steht und wie es ihm geht. Wenn man zur Ruhe kommt und reflektiert, weiß jeder selbst ganz genau, wo er sich im Moment befindet und was er braucht. Dann geht es darum, sich mit jemanden auszutauschen, der sich auskennt, der richtig evaluiert. Daraus ergibt sich die Frage, wie man von einem Ist- zu einem Wunsch-Zustand gelangt. Auch unter Druck.

Das Interview führte Reinhold Pühringer

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