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"Ich habe nicht immer alles gegeben"

Mikaela Shiffrin im großen Interview über Arroganz, Gier und Zufriedenheit:

20 Jahr, blondes Haar – so stand sie vor mir.

Mikaela Shiffrin ist jung, dynamisch, erfolgreich und auch noch hübsch. Sie hat somit alle Attribute, die einen Star heutzutage ausmachen. „Ihr solltet sehen, wie lange ich im Badezimmer mit dem Make-Up brauche“, lacht die US-Amerikanerin im Interview.

Für einige gilt sie nach dem Ausfall von Anna Fenninger bereits in dieser Saison als heißeste Anwärterin auf den Gesamtweltcup. Sie selbst will davon nichts wissen: „Der Gesamtweltcup ist ein Traum von mir, aber nicht mein Fokus.“

Was ihre Ziele sind, wie sie im Training mit Ted Ligety mithielt, warum sie sich selbst mit den Worten „arrogant“ und „gierig“ beschreibt und ob Bode Miller nochmals in den Weltcup zurückkehrt, verrät Mikaela Shiffrin im Interview:

Frage: Im Sommer haben viele arrivierte Läuferinnen ihre Karriere beendet. Du bist trotz deines jungen Alters einer der wenigen Superstars im Damen-Zirkus – setzt dich das unter Druck?

Mikaela Shiffrin: Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich habe nicht mehr Druck, weil andere Athleten zurückgetreten sind. Ich fühle aber schon die Verpflichtung, so schnell wie möglich zu fahren und Fans zum Sport zu bringen. Ich will alles tun, um den Sport auf das nächste Level zu bringen. Aber es fühlt sich nicht wie Druck an, ich freue mich einfach auf die Saison. Es macht mich aber traurig, dass Benni Raich, Marlies Schild, Kathrin Zettel oder Nicole Hosp zurücktreten.

Frage: Du siehst aber auch gut aus, bist stark, gewinnst und bist gut für den Sport.

Shiffrin: Ihr solltet sehen, wie lange ich im Badezimmer mit dem Make-Up brauche. (lacht) Das ist einfach Teil meines Jobs. Gut auszusehen, darüber zu sprechen – ich mache es gerne, weil Ski fahren meine Leidenschaft ist. Wenn man Leute interessiert und anzieht, ist es gut.

Frage: Trainierst du so etwas?

Shiffrin: Ja, Medien-Training habe ich. Ich wurde da von meinem Sponsor Barilla unterstützt. Ich werde immer besser. Eigentlich sage ich immer, was ich gerade denke und versuche, niemand zu nahe zu treten. Ich gebe Leuten gerne Komplimente und hoffe, dass das gut ankommt (lacht).

Frage: Wird es nach den Rücktritten leichter für dich?

Shiffrin: Das denke ich nicht. Sobald ich solche Gedanken habe, geht der Schuss nach hinten los. Es ist nie leicht, zu gewinnen. Manchmal fühlt es sich wie Routine an – wenn du öfter gewinnst, bist du so im Groove und kannst nicht gestoppt werden. Gewinnen wird aber nicht leichter, nur weil einige Läuferinnen zurückgetreten oder verletzt sind. Es gibt viele junge Mädels, die in meinem Alter oder jünger sind, die richtig stark und entschlossen sind. Im Slalom bin ich die große Gejagte.

Frage: Du stehst vor deiner ersten Saison ohne Großereignis. Ist der Gesamtweltcup das Ziel?

Shiffrin: Ich bin näher dran, ich habe mich im Riesentorlauf weiterentwickelt und fühle mich viel wohler. Es fühlt sich jetzt mehr an wie der Slalom, als wäre es ein Teil von mir. Ich denke, ich bin schneller, hatte aber keinen Vergleich. Ich freue mich darauf, das herauszufinden. Wenn ich im Slalom und Riesentorlauf richtig gut fahre und dann ein paar Super-Gs und Kombinationen dazukommen, habe ich eine Chance auf mehr Punkte. Ein paar hundert Punkte mehr als letztes Jahr kann ich sicher holen, nur vom Fahren. Der Gesamtweltcup ist ein Traum von mir, aber nicht mein Fokus. Ich will die kleinen Kugeln im Slalom und Riesentorlauf und zusehen, dass ich den Super-G heil überstehe.

Frage: Marcel Hirscher hat ein ähnliches Programm wie du, möglich wäre es also.

Shiffrin: Man kann es nicht wirklich vergleichen. Bei den Herren ist die Dichte enorm hoch, zehn Läufer können ein Rennen gewinnen. Bei uns Damen gibt es vielleicht drei bis fünf Läuferinnen, die fast alles gewinnen. Fenninger war so oft am Podest, Tina Maze auch. Bei den Herren kann wirklich jeder gewinnen, Marcel schafft es trotzdem, immer zu gewinnen oder am Podium zu stehen. Deshalb ist er im Gesamtweltcup so stark. Bei den Herren hast du mit konstanten Siegen in zwei Disziplinen eine Chance, bei den Damen nicht wirklich.

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Frage: Kann es sein, dass du im Riesentorlauf auch schon so dominieren wirst, wie Slalom?

Shiffrin: Ich hoffe es. Ich habe viel daran gearbeitet, genau dasselbe habe ich zu dieser Zeit vor einem Jahr auch behauptet. Dann bin ich in Sölden gut gefahren und bei den restlichen Riesenslaloms bin ich nicht so gut gefahren. Ich glaube wirklich, dass ich schneller bin. Es ist aber hart zu sagen.

Frage: Welchen Vergleich hast du im Training?

Shiffrin: Ich trainiere manchmal mit den US-Herren. Ein paar Tage habe ich in Neuseeland mit Ted Ligety und Tim Jitloff mitgemacht. Sonst habe ich nicht wirklich viel Vergleich, meistens trainiere ich alleine. Ich mag es, mit anderen zu fahren, weil ich den Vergleich brauche. Es war nicht wirklich meine Wahl, es gibt nicht wirklich viele US-Damen auf Weltcup-Niveau. Resi Stiegler kommt von einer Verletzung zurück, sie konnte im Sommer nicht trainieren. Die meisten anderen Fahrerinnen sind im Europacup unterwegs und haben ein anderes Team.

Frage: Wie weit bist du von Ted Ligety weg?

Shiffrin: An dem einen Tag war ich keine Welten entfernt. Es war aber sein erster Tag auf Riesentorlauf-Ski, ich bin schon einige Tage gefahren. Ich würde also nicht allzu viel hineininterpretieren (lacht).

Frage: Wird man dich in dieser Saison auch öfter in den Speed-Disziplinen sehen?

Shiffrin: Ich habe Super-G trainiert, es ist also der Plan. Auch die Kombinationen werde ich in Angriff nehmen. Man wird aber sehen, wie es sich entwickelt. Mein Ziel ist eigentlich, viele Slaloms zu gewinnen und im Riesentorlauf konstant ganz vorne dabei zu sein. Ich freue mich aber auch auf die Speed-Rennen, ich fühle mich gut auf den langen Skiern.

Frage: Hast du noch Respekt vor steilen Passagen?

Shiffrin: Du musst immer Respekt haben, vor allem vor dem Hang. Wenn du bei Speed-Rennen einen Fehler machst, triffst du den Zaun mit 120 km/h, statt mit 60 km/h wie im Riesentorlauf oder im Slalom. Technik-Rennen sind also nicht ganz so großes Risiko. Im Super-G muss ich Respekt haben und mich gut vorbereiten. Dann sollte es aber passen und ich kann riskieren. Auch die Sprünge werden immer besser. In meiner Vorstellung sehe ich in der Luft so cool aus, ich stelle mir immer vor, dass ich wie Didier Cuche damals aussehe. Dann kommen meine Trainer und fragen mich, was ich tue, weil ich nicht einmal knapp dran bin (lacht).

Frage: Letztes Jahr hattest du nach Sölden Setup-Probleme. Hast du dich in Sachen Material auch verbessert?

Shiffrin: Ich werde immer besser, Atomic Feedback zu geben. Wie ich mich auf den Skiern fühle und was ich brauchen könnte. Bislang habe ich kaum Feedback gegeben, ich bin einfach in die Ski gestiegen, habe mich gut gefühlt und einige Slaloms gewonnen. Ich dachte mir: „Wow, das ist leicht!“ (lacht). Letzte Saison, im November und Dezember, habe ich gemerkt, dass es schwer wird, wenn vom Material nicht alles zusammenpasst. Atomic hat mich gerettet und mir gesagt, dass ich testen muss und Rückmeldung geben soll. Es war eine gute Erfahrung, mehr auf meine Ausrüstung zu achten. Ich habe viel gelernt, es ist aber noch immer nicht leicht, ihnen zu sagen, was ich brauche. Wenn es funktioniert, muss ich es ja nicht sagen.

Frage: Wird das Feeling besser, wenn man Speed trainiert?

Shiffrin: Auf jeden Fall. Wenn man Speed trainiert, muss man so elegant am Ski stehen. Du musst locker sein, aber dennoch Druck aufbauen und etwas vom Ski zurückzubekommen. Du muss komplett gegensätzliche Bewegungen kombinieren. Vor den besten Speed-Fahrern der Welt habe ich großen Respekt, sie schaffen das alles. Jetzt merke ich, wie schwer das ist. In Portillo haben wir einige Tage Abfahrt trainiert, am ersten Tag wurden mehrere Doppelschwünge gesetzt. Ich bin jedes einzelne Mal zwischen die Tore gefahren und habe das zweite verpasst (lacht). Da habe ich gemerkt, dass ich eine Technikerin bin.

Ich bin immer etwas gierig. Ich sehe aber auch gerne gute Skifahrerinnen. Wenn mich jemand besiegt, dann nicht, weil ich nicht mein Bestes gegeben habe. Die anderen Läuferinnen fahren auch gut und ich muss das würdigen.

Frage: Wenn man schon so schnell war, ändert man überhaupt etwas oder versucht man, das zu halten, weil die anderen es erstmal aufholen müssen?

Shiffrin: Eigentlich will ich nie stehen bleiben, weil die Anderen aufholen – und zwar schnell. Nachdem ich ein Rennen klar gewinne, freue ich mich und nehme mir eine kleine Pause – vielleicht einen Tag. Siege machen mich aber noch hungriger. Ich bin immer etwas gierig. Ich sehe aber auch gerne gute Skifahrerinnen. Wenn mich jemand besiegt, dann nicht, weil ich nicht mein Bestes gegeben habe. Die anderen Läuferinnen fahren auch gut und ich muss das würdigen.

Frage: Letztes Jahr setzte es wie gesagt den Rückschlag nach dem tarumhaften Sölden-Start. Was tust du, dass das heuer nicht mehr passiert?

Shiffrin: In den letzten Jahren bin ich einfach gefahren und war schnell. Das war gut so, ich hatte fünf Paar Ski, mit denen ich immer gut war. Als es plötzlich nicht lief, wusste mein Servicemann nicht, was er tun soll, weil zuvor alles wie von selbst passierte. Letztes Jahr habe ich einige Dinge umgestellt, war aber am selben Material. Deshalb hat es nicht so gut funktioniert. Das Material ist aber nicht immer Schuld. Ich wurde zu Beginn der letzten Saison etwas arrogant und auch zufrieden. Ich habe nicht immer alles gegeben. Jetzt passt es wieder, ich erwarte keine Siege, sondern, hinten zu sein. So muss ich mich noch mehr pushen und alles geben.

Frage: Das bestimmende Thema in den Tagen vor dem Start ist die schwere Verletzung von Anna Fenninger. Wie geht es dir damit?

Shiffrin: Es ist wirklich ein harter Schlag, dass Anna die Saison verpasst. Alle Athletinnen wünschen ihr gute Besserung, wir werden sie sehr vermissen. Auch ich, weil sie so eine tolle Fahrerin ist. Sie war vergangene Saison die beste Läuferin und ich habe erwartet, dass sie es dieses Jahr wieder wird und den Gesamtweltcup gewinnt. So hart es ist, die Show muss aber weitergehen, die Rennen finden trotzdem statt.

Frage: Du hast ihr via „facebook“ auch bei ihrem Streit mit dem ÖSV Unterstützung zugesprochen. Warum?

Shiffrin: Es ist wichtig, weil ich mir mich selbst in ihrer Position vorgestellt habe – attackiert und nicht wirklich unterstützt. Ich hatte das Gefühl, dass sie eine der wichtigsten – wenn nicht die wichtigste – Läuferin im Damen-Weltcup ist, weil sie den Gesamtweltcup gewonnen hat. Sie ist einfach wichtig für den Sport. Jeder, der gewinnt, ist ein guter Kontrahent – und das bringt die Fans. Sie ist schön, stark, athletisch und hat ihre eigene Meinung. Die Leute bewundern das und der Skisport braucht Fans. Ich wollte sie unterstützen und zeigen, dass wir sie in dieser Saison brauchen – mit voller Kraft.

Frage: Wer ist jetzt die Favoritin auf den Gesamtweltcup?

Shiffrin: Ich denke, Lindsey (Vonn/Anm.). Es gibt viele Mädels, die ihn holen können, aber sie ist vermutlich die beste Allrounderin gemeinsam mit Anna Fenninger. Es wäre auf diesen Zweikampf hinausgelaufen. Lindsey ist meine Teamkollegin, deswegen drücke ich ihr die Daumen. Es wird ein harter Kampf um die große Kugel, das ist cool.

Frage: Apropos Teamkollege: Hast du etwas von Bode Miller gehört? Wird er nochmals in den Weltcup-Zirkus zurückkehren?

Shiffrin: Ich hoffe, dass er zurückkommt. Er war im Sommer in Portillo, aber nur für Werbeaufnahmen. Er liebt es, Vater zu sein. Sein Baby ist auch wirklich süß. Er fühlt die Verpflichtung, zu Hause zu sein. Er wird noch eine Zeit lang im Skisport involviert sein. Er ist so ein toller Botschafter für den Sport. Egal, ob jeder gegen ihn war oder er gegen den Strom geschwommen ist – jeder liebt es, wenn er dabei ist. Es ist cool, ihn dabei zu haben. Egal, ob er fährt oder nicht.

Aus Sölden berichtet Matthias Nemetz

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