Mit 76 Weltcupsiegen ist Lindsey Vonn längst die erfolgreichste Alpin-Skirennläuferin aller Zeiten.
Die US-Amerikanerin pulverisiert einen Rekord nach dem anderen und scheint den absoluten Leistungszenit erreicht zu haben.
Während sie nun sogar den Allzeitrekord von Ingemar Stenmark, der in seiner Karriere 86 Mal vom obersten Podest lachte, ins Auge fassen kann, stand rund um die Jahrtausendwende nicht einmal fest, ob sie überhaupt das Zeug zum Siegen haben würde.
Vonns Vater: "Du gewinnst ja nichts"
„Mein Vater hat mich gefragt: Willst du das wirklich machen? Du gewinnst ja nichts“, erklärte die Ausnahmesportlerin im Rahmen der Youth Olympic Games in Lillehammer, für die sie als Gesicht der Spiele gewonnen werden konnte.
Diese provokante und doch ernst gemeinte Frage habe in ihr ein Umdenken ausgelöst, verriet sie zahlreichen Jung-Athleten, die gespannt ihren Worten lauschten. Ihr Ehrgeiz war geweckt, ihr Trainingsumfang erhöhte sich deutlich.
Vonn engagierte zwei Coaches, ihre Fitnesswerte kletterten kontinuierlich nach oben, das Selbstvertrauen wuchs immens. Damit einhergehend stellten sich auch die Erfolge ein.
Mit nunmehr 31 dominiert sie das Geschehen und greift nach dem fünften Gesamtweltcupsieg ihrer Karriere, dabei lief nicht immer alles so reibungslos wie in dieser Saison.
Ratschläge für die YOG-Talente
Bei der WM in Schladming 2013 zog sie sich einen Kreuzbandriss zu. Vonn kehrte in der Saison darauf in den Weltcup-Zirkus zurück und verletzte sich erneut. Trotz eines Teilabrisses startete sie weiter, ehe das Kreuzband ein zweites Mal durch war.
Kräftezehrende Monate überstand sie durch eisernen Willen und die Hoffnung, eines Tages wieder Rennen gewinnen zu können. Den Jugendlichen riet sie, solche Phasen mit der nötigen Seriosität anzupacken und zu kämpfen.
„Jeder ist einmal verletzt, wichtig ist die Reha“, war sie seit jeher davon überzeugt, dass jeder Tag zählt. „Einen Tag auszulassen kann den Unterschied ausmachen.“
Grundsätzlich gehöre es zum Leben eines Sportlers dazu, solche Zwangspausen zu akzeptieren, um sich dem Weg zurück stellen zu können. „Man sollte nie an sich zweifeln, denn dann hat man kein Vertrauen in sich selbst.“
Pyeongchang 2018 als großes Ziel
Vonn glaubte immer daran, eines Tages wieder ganz oben zu stehen und wurde dafür belohnt. In der laufenden Saison hält die US-Amerikanerin bei neun Erfolgen, weitere sind mehr als wahrscheinlich.
Insgeheim schielt sie aber bereits auf ein anderes Ziel: Die Olympischen Winterspiele 2018 in Pyeongchang. Für sie werden es die letzten sein, dort will sie noch einmal reüssieren.
„Ich habe ja Sochi verpasst“, hadert sie noch immer damit, 2014 in der Zuschauerrolle gesteckt zu haben. So lautet ihre Bilanz weiterhin: Einmal Gold (Abfahrt) und einmal Bronze (Super-G), errungen bei den Spielen in Vancouver vor sechs Jahren. Den Titel bezeichnet sie bis heute als „größten Erfolg meiner Karriere“.
Ihre Medaillensammlung im Zeichen der fünf Ringe will sie weiter aufpolieren, denn: „Ich will unbedingt noch eine gewinnen!“ Während Vonn längst weiß, wie der Hase läuft, riet sie ihren Nachfolgern, möglichst alles aufzusaugen.
Picabo Street als großes Vorbild
Sie genoss die „einzigartige Möglichkeit, Leute zu inspirieren“ und erklärte, dass sie einst Picabo Street vergötterte. Die Olympiasiegerin von Nagano 1998 war immer ihr großes Vorbild, auch von Ex-Weltmeisterin Hilary Lindh versuchte sie sich viel abzuschauen.
„Ich habe beobachtet, was sie gegessen und getrunken hat, wie sie sich verhalten hat“, berichtete Vonn den Jugendlichen. Das Beste davon habe sie versucht, auch für sich zu nutzen.
Die Kopie einer Athletin wollte sie allerdings nie sein. Schon ihr erster Trainer gab ihr den Rat: „Versuche niemanden zu kopieren und geh deinen eigenen Weg.“
Vonn beherzigte ihn und ist seit nunmehr knapp zehn Jahren die dominierende Persönlichkeit im Ski-Zirkus.
Ihre potenziellen Erben scharren aber bereits mit den Hufen und wissen nun, dass selbst Top-Athleten wie das US-Girl viele Täler durchleben mussten. Nur, wer daraus gestärkt hervorgeht, kann auch tatsächlich einmal ein ganz Großer werden.
Aus Lillehammer berichtet Christoph Nister