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Stoss will nach Rio Sport-Strukturen aufbrechen

ÖOC-Präsident Karl Stoss will nach Rio Sport-Strukturen in Österreich aufbrechen:

Stoss will nach Rio Sport-Strukturen aufbrechen

Trotz aller Anstrengungen läuft Österreich in Rio weiter einer Medaille hinterher.

Karl Stoss, Chef des ÖOC, spricht bei seiner Halbzeit-Bilanz davon, für Tokio 2020 ein ähnliches Projekt wie für Rio auf die Beine zu stellen. Sprich, neuerlich 20 Millionen Euro Steuergeld zu fordern, um unsere Sommersportler näher an die Medaillen heranzubringen.

Noch besser wäre angesichts von komplizierten und intransparenten Strukturen allerdings eine "Stunde Null" auszurufen, erklärt der Vorarlberger bei der Pressekonferenz auf Nachfrage von LAOLA1.

Das Projekt Rio sei ein guter Anfang, aber nicht mehr. "Der erste wichtige Schritt ist geleistet worden gemeinsam mit dem Sportministerium und der Sporthilfe. Wir haben da aber erst ein kleines Stück des Weges hinter uns gebracht, das größere liegt noch vor uns", erläutert Stoss. Er wolle das auch als Botschaft verstanden wissen, dass das ÖOC "gerne auch in dieser Konstellation an Tokio 2020 denke und jetzt schon mit der Arbeit beginnen" wolle. 

LAOLA1: Was ist zu tun? Wo liegen die Stolpersteine?

Karl Stoss antwortet mit einer Gegenfrage: Was liegt in der Macht oder Möglichkeit des ÖOC oder der Spitzensport-Organisationen etwas zu ändern, oder was sollte man generell im Sport verändern? Man vermischt das relativ oft. Ob es der Weisheit letzter Schluss ist, zum Beispiel die BSO (Anm.: Bundes-Sport-Organisation) zusammen mit dem ÖOC zu verschmelzen - das wäre das Schweizer Modell – dann wäre hier eine Organisation auch für den Breitensport mitverantwortlich, das wäre eine andere komplexe Nummer, die man durchaus diskutieren kann. Ich glaube auch, dass unser Weg, sich eine Organisation zu halten, die sich alleine und ausschließlich auf den Spitzensport fokussiert, von Vornherein als erfolgreich zu sehen ist. Nur muss man dann noch weiter die Möglichkeit haben, auf die einzelnen Förderungsmittel der Athletinnen und Athleten einen Zugriff zu haben. Im Sinne von, wo kann ich die einsetzen, wo kann ich die Trainingsmöglichkeiten suchen, wo kann ich für sie die besten Trainer zur Verfügung stellen und herauslösen aus den Verbänden. Das wäre wichtig.

LAOLA1: Was heißt das konkret?

Stoss: Die individuelle Spitzensportförderung in Österreich sollte in eine Hand gegeben werden. Das macht man nicht mit komplizierten Abrechnungs-Systemen, was leider aktuell der Fall ist. Da haben wir einen wahnsinnigen Komplexitätsgrad, zum Teil hinken die Abrechnungen Jahre hinterher, was verheerend ist, das muss geändert werden. Wir wollen aber da nicht an allen Fronten als die lästige Gruppe auftreten, wir müssen uns auch selber an der Nase nehmen und fragen, was können wir verbessern. Wir haben erste positive Schritte gesetzt, da werden und müssen weitere folgen. Unser Weg sieht vor, dass wir die Wissenschaft auf der einen Seite sowie das ausländische Know-how auf der anderen einsetzen wollen. Und wir müssen die Zusammenarbeit mit den professionellen Verbänden zukünftig absolut verstärken.

"Es gibt Sportarten, wo wir gar nicht so weit weg sind von der Weltspitze. Es gibt aber auch solche Verbände, wo man meilenweit weg ist, wenn man die Ergebnisse in Rio betrachtet."

LAOLA1: Wie wollen sie die Konzentration auf einige wenige Sportarten den Fachverbänden vermitteln?

Stoss: Jeder Fachverband ist Mitglied des ÖOC. Da hat jeder eine Mitsprache-Möglichkeit. Das liegt aber in erster Linie zuerst an uns, welche Konzepte wir erarbeiten. Aber was sich auch jetzt in Rio herauskristallisiert hat ist: Es gibt junge, unglaubliche Talente, es gibt Sparten, wo Österreich früher schon sehr erfolgreich war. Ich nehme als Beispiel Schießen, wo man auch in den letzten Jahren wieder mehr getan hat, auch bei uns in den Olympiazentren. Es gibt weitere Sportarten, wo man sieht, dass wir gar nicht so weit weg sind von der Weltspitze, es gibt aber auch solche Verbände, wo man meilenweit weg ist, wenn man die Ergebnisse in Rio betrachtet. Da fällt Österreich schon zum Teil gravierend ab und da wird man wahrscheinlich nicht rasend viel investieren müssen, weil diesen Abstand aufzuholen wird sehr, sehr schwierig werden. Was wir uns auch wünschen und vorstellen würden, ist, endlich auch wieder Mannschaften mit zu Olympia zu nehmen. Da werden wir sowohl mit dem Fußballbund, als auch mit Handball und Rugby Gespräche führen. Gibt es Möglichkeiten, eine Mannschaft zusammenzubringen, wo es sich auch lohnt, entsprechende Förderungen voranzustellen, um sie zur Qualifikation und zur Teilnahme bei den nächsten Sommerspielen zu bringen.

LAOLA1: Wie sieht die Kosten-Nutzen-Rechnung aus? In welche Sportarten ist bislang zu viel Geld geflossen? Wo hat sich die zusätzliche Förderung rentiert?

Stoss: Diese Analyse müssen wir nach Rio machen. Es wäre nicht fair, vor dem Ende der Spiele Zahlen zu nennen. Die wird es aber geben. Wir können das nicht so stehen lassen. Wir werden genau hinschauen, wo das Geld Früchte getragen hat und wo nicht.

LAOLA1: Wie stehen sie zur oft geforderten Abschaffung der Dachverbände?

Stoss: Eine traditionelle Frage, die immer wieder kommt. Wenn es nach mir ginge, dann wäre ich hier einmal - um einen neudeutschen Begriff zu nennen – für ein totales Zero-Base-Budgeting. Man beginnt bei der Stunde Null und diskutiert zuerst einmal, welche Sport-Strategie Österreich für die nächsten Jahre verfolgen will. Nicht für die nächsten drei, sondern zehn Jahre. Unabhängig von der Politik. Wo wollen wir in welchen Sportarten stehen. Danach müssen wir uns die Frage stellen, welche Strukturen wir dafür brauchen, um diese Strategie bestmöglich umzusetzen. Nicht zu verkomplizieren – einfach, transparent, straight. Die dritte Frage lautet: Welche Persönlichkeit brauchen wir dafür? In Österreich werden diese Diskussionen in der Regel genau umgekehrt geführt. Man sucht für jemanden einen Posten und dann wird etwas einzementiert, was wir seit 1945 kennen. Ob das zielführend ist, sei dahingestellt. Ich will auch keinem Dachverband zu nahe treten, aber hier den Mut zu haben und zu sagen, lass uns doch einmal von der Stunde Null beginnen und sagen, wie müssen wir aufgestellt sein, um die Strategie, die wir noch formulieren müssen, bestmöglich umzusetzen. Wir müssen was ändern, denn wir haben das in der Regel auch noch neunfach, da wir neun Bundesländer haben und da der Föderalismus ganz weit oben steht. Aber wir haben vergleichbare Nachbarn, die das anders regeln und durchaus erfolgreich sind. Da müssen wir uns definitiv kritisch hinterfragen und ein neues Konzept auf den Tisch legen.

Schonungslose Analyse

Stoss meint in seiner Ausführung weiter, dass er den zuständigen Sportminister Hans Peter Doskozil als "reformwillig und reformbereit" sieht. Mit Doskozil, der am Wochenende in Rio eingetroffen ist, habe er bereits Gespräche über Fördermöglichkeiten nach den Sommerspielen vereinbart.

Um im internationalen Wettstreit erfolgreicher zu sein, müsse neben der bereits intensivierten Zusammenarbeit von einigen Fachverbänden mit den Olympiazentren noch viel passieren. Noch mehr Trainer-Know-how aus dem In- und Ausland sowie aus Sport- und Ernährungswissenschaft nennt Stoss als wichtige Bausteine. "Da müssen wir noch viel mehr tun. Das müssen wir noch viel mehr aufbrechen."

Nach Rio sei eine schonungslose Analyse in jeder Hinsicht nötig. Nicht nur, aber vor allem wenn Medaillen ausbleiben. "Gerade negative Ergebnisse wären ja wieder ein konkreter Anlass, noch stärker darüber nachzudenken, ob man nicht doch dieser Idee folgen sollte, sich auf weniger Sportarten zu konzentrieren, die aber intensiver zu unterstützen, um bei der Weltspitze dabei zu sein." Als Beispiel führte er u.a. Neuseeland an.

Das Gespräch führte Peter Rietzler in Rio de Janeiro

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