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100 Tage vor Olympia - "Projekt Rio gescheitert"

100 Tage vor Rio 2016 wird deutlich: Bei London-Pleite hatte Österreich mehr Medaillen-Kandidaten!

100 Tage vor Olympia -

Heute in 100 Tagen wird in Rio die Flamme für die XXXI. Olympischen Sommerspiele der Neuzeit entfacht.

Für das Spektakel unterm Zuckerhut hat Österreich in einer ersten Tranche bereits 17 Athleten nominiert. Weitere werden folgen, sobald in den übrigen Sportarten die Qualifikation abgeschlossen ist. Eine 65- bis 75-köpfige ÖOC-Abordnung scheint plausibel, 2012 waren es 70 Teilnehmer.

Ein Team, welches Österreich nach der Nullnummer von vor vier Jahren endlich wieder olympisches Edelmetall bescheren soll. Eigens für diese Mission rief das Sportministerium gemeinsam mit dem ÖOC 2013 das Projekt Rio ins Leben. Eine Art „Notfall-Medizin“, die mithilfe von 20 Millionen Euro Österreichs Sommersport wieder medaillen-tauglich machen sollte.

Doch 100 Tage bevor es ernst wird, scheint das Medikament seine Wirkung nur bedingt erzielt zu haben. Denn die Liste an ernsthaften Medaillen-Kandidaten ist erstaunlich kurz. Bei genauerer Betrachtung droht sie sogar kürzer zu werden, als jene vor London 2012.

„Dieses Geld hätte man anderweitig viel sinnvoller für den österreichischen Sport einsetzen können“, kritisiert Trainer-Legende Gunnar Prokop im Gespräch mit LAOLA1.

Medaillen-Kandidaten für Rio: Eine Bestandsaufnahme

Die Liste der ernstzunehmenden Medaillenkandidaten für Rio ist freilich noch nicht vollständig, auf wen die größten Hoffnungen ruhen, hat sich in den vergangen Monaten und Jahren aber praktisch herauskristallisiert.

Segeln (2) Lara Vadlau und Jolanta Ogar sind DIE personifizierten rot-weiß-roten Medaillen-Bank. Rammen die zweifachen 470er-Weltmeisterinnnen in der Kloake vor Rio keinen Kühlschrank, sind sie ganz heiß auf Gold. Nico Delle Karth und Niko Resch zählen im 49er ebenfalls zu den Medaillen-Kandidaten.
Judo (2) Vize-Europameisterin Kathrin Unterwurzacher und Bernadette Graf sind aus dem Schatten von Paischer und Filzmoser getreten. Beide haben sich nach langen Zwangspausen im Frühjahr mit Turniersiegen eindrucksvoll zurückgemeldet. Manko: Bei WMs hat es für sie bislang noch nicht geklappt.
Kanu-Slalom Zweimal Weltmeisterin, zweimal Gesamtweltcupsiegerin: Corinna Kuhnle droht in Rio dennoch die Zuschauerrolle, da sie wegen verpatzter WM 2015 in der internen Quali derzeit hinter Violetta Oblinger-Peters liegt. Letztere ist vom Potenzial her aber nicht im Rang einer Medaillen-Anwärterin.

Abseits dieser fünf bis sechs ernsthaften Hoffnungen gibt es noch weitere, die in den erweiterten Kreis zu zählen sind. Wie etwa Ruderin Magdalena Lobnig. Als verlässliche Final-Teilnehmerin galt die Kärnterin im Einer lange als heißer Medaillen-Tipp. Wegen anhaltender Nebenhöhlen-Problemen schwächelte sie aber bei der letzten WM. Vor zwei Wochen in Varese riss zudem ihre seit drei Saisonen anhaltende Serie, bei jedem Weltcup das A-Finale zu erreichen.

In einer ähnlichen Liga spielen die Beachvolleyballer Clemens Doppler und Alex Horst. Auf der World Tour bereits zweimal auf dem Podest rutschte das Duo zuletzt im Olympia-Ranking von Rang fünf auf neun ab.

Im Schießen, wo traditionell viel von der Tagesform abhängt, gelten Olivia Hofmann, Alex Schmirl sowie Trap-Schütze Sebastian Kuntschik als wahrscheinlichste Edelmetall-Aspiranten. Das Flachwasser-Kanu mit Ana Roxana Lehaci und Viktoria Schwarz mag zwar bei Projekt-Rio-Koordinator Peter Schröcksnadel („Die holen eine Medaille.“) hoch im Kurs stehen, muss sich bei der Restquoten-Regatta Mitte Mai in Duisburg aber erst einmal ein Ticket sichern. Zu dieser Kategorie könnte man noch weitere ÖOC-Hoffnungen zählen.

Zum Vergleich: Die Medaillen-Kandidaten vor London 2012

Beachvolleyball Die perfekt aufeinander abgestimmten Schwestern Doris und Stefanie Schwaiger kommen den in sie gesetzten Hoffnungen mit Rang fünf recht nahe.
Segeln Bereits 2012 knapp dran: Das 49er-Boot Delle Karth/Resch im "Blech"-Pech.
Judo Als heißestes Eisen gilt Sabrina Filzmoser im dreiköpfigen ÖJV-Aufgebot. Welserin wird Siebte.
Kanu-Slalom Mit-Favoritin Kuhnle ist im Finale zu fehleranfällig und bleibt mit Rang acht hinter ihren Erwartungen.
Flachwasser-Kanu Schwarz damals noch mit Yvonne Schuring im Boot trägt lange die rot-weiß-roten Hoffnungen. Mehr Rang fünf ist aber nicht drinnen.
Schwimmen (2) Die wahrscheinlich schillerndsten Persönlichkeiten des damaligen Kaders. Während Dinko Jukic als 4. nur haarscharf eine Medaille verpasst, wird Markus Rogan nach einer Wende disqualifiziert.
(Tischtennis) Im Vorfeld nicht als ernsthafter Medaillen-Kandidat gehandelt, belegt das Herren-Team Rang fünf.


Geld alleine ist zu wenig

„Mehr Medaillen-Kandidaten als in London haben wir sicher nicht“, sieht Prokop ebenfalls nur wenige Chancen und hofft dabei in erster Linie auf Vadlau/Ogar. Obwohl die insgesamt 79 Projekt-Mitglieder aufgrund der neuen finanziellen Mittel ihr Training und Umfeld professionalisieren konnten, ist dies ein ernüchterndes Zeugnis für die Initiative des Sportministeriums.

Aus den Worten Schröcksnadels sprudelt naturgemäß trotzdem Optimismus. Der ÖSV-Zampano hält an seiner Prognose von drei bis fünf Medaillen weiter fest. Diese soll es seiner Rechnung nach im Segeln (2), Judo, Flachwasser-Kanu und Beachvolleyball geben.

Mögen die Medaillen-Gebete von Peter Schröcksnadel erhört werden

Doch selbst wenn dies aufgehen sollte, stellt alleine die ausgebliebene Verbreiterung der Spitze angesichts des großen Mitteleinsatzes bereits einen Dämpfer für das Gesamtprojekt dar.

„Das Tal ist durchschritten, ich sehe uns auf dem richtigen Weg“, meint der 74-jährige Schröcksnadel unbeirrt. Mit dem Vorwurf, die Mittel wären nicht sinnvoll genug eingesetzt worden, könne er nichts anfangen. „Besonders in den kostenintensiven Sportarten wie Segeln sieht man am besten, was die Investitionen bewirken.“ Die Segler sind mit gesamt über drei Millionen Euro auch der größte Profiteur des Projekts.

Den Vorwurf, die Gesamtsumme hätte für nachhaltigere Maßnahmen sinnvoller eingesetzt werden können, entkräften Zahlen aus dem Sportministerium zumindest teilweise. Laut LAOLA1-Informationen wurden 5,4 der insgesamt 20 Mio. Euro für infrastrukturelle Maßnamen (Leichtathletik-Zentrum Graz-Eggenberg, Turnleistungszentrum Innsbruck, Ruderzentrum Wien, Wildwasserkanal Wien, Rugby-Zentrum Wien, Ballsportzentrum Klagenfurt) ausgegeben.

Comeback einer leidigen Thematik

„Das Projekt Rio ist gescheitert“, findet Prokop gewohnt harte Worte. Verwundert ist der langjährige Leichtathletik- und Handball-Trainer über die Entwicklungen allerdings nicht.


„Es wurde falsch angegangen, nur Geld reinzuhauen, bringt nichts“, greift der 75-Jährige wieder jene Punkte auf, welche auch nach London in aller Munde waren. Nämlich den Stillstand im Bereich der Sportstätten und des Schulsports. Geht es nach Prokop, werden diese Themen nach Rio wieder auf dem Tableau stehen.

Die in den letzten Jahren so groß getrommelte „Tägliche Turnstunde“ hält Prokop jedoch für nicht zu Ende gedacht. „Wenn man sich dazu durchringt, könnte man es zwar bezahlen, aber mit welchen Hallen und Lehrern soll das funktionieren? Ein Beispiel: Die HTL Mödling hat 5.000 Schüler – wie soll das dort gehen?“

In diesem Sinne: Noch 100 Tage bis Rio – oder: 116 Tage bis die Diskussionen von neuem beginnen.
 

Reinhold Pühringer

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