Am Sonntag kann nicht nur Tom Brady auf Seiten der New England Patriots mit seinem fünften Titel NFL-Geschichte schreiben.
Sollten die Atlanta Falcons in Super Bowl LI bezwungen werden, wäre Bill Belichick der erste Head Coach, der die Vince-Lombardi-Trophy fünfmal in den Himmel strecken und Pittsburgh-Legende Chuck Noll hinter sich lassen würde.
Als Cheftrainer ist es die siebente Endspiel-Teilnahme für den 64-Jährigen, das ist bereits Rekord.
Wie wurde Bill Belichick so erfolgreich? LAOLA1 wirft einen Blick auf diese beeindruckende Karriere:
Wie der Vater, so der Sohn
Wie so oft, fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Geboren in Nashville, Tennessee, verfolgte Sohn Bill alles, was sein Vater machte. Und der war Assistant Football Coach an der U.S. Naval Academy.
„Ich wusste, als er zwei Jahre alt war, dass er Football zu seinem Beruf machen würde“, lacht Jeannette Belichick, seine Mutter, in der sehenswerten Erstausgabe von „A Football Life“.
„Er liebte einfach alles, was sein Dad tat. Alles, was dieser machte, wollte er auch tun. Und er war dort, um zu lernen“, berichtet Frau Mama.
Steve Belichick, Sohn zweier Kroaten (Nachname des Vaters: Bilicic) und früherer Fullback der Detroit Lions, war über 30 Jahre für die Navy tätig und schrieb in den 60ern ein Standard-Werk („Football Scouting Methods“).
Eine Pflichtlektüre für den Sohn.
Bill verbrachte seine Kindheit in Annapolis, Maryland, schaute seinem Vater auf die Hände und nahm später selbst die Beine in die Hand, spielte auf der High School Football und auch Lacrosse. Ende der 60er waren unterschiedliche Hautfarben in den USA ein großes Thema, nicht so in Annapolis.
„Eines der großartigen Dinge an Sport ist, dass die Rasse nichts damit zu tun hat. Unser Coach war großartig, dieses ganze Zeug hat ihn nicht interessiert, es war nie ein Faktor. Jeder war ein Mitglied des Teams, basierend auf dem, was du für dein Team gegeben hast“, erinnert sich Spieler Belichick.
Diesen Spieler hätte der heutige Coach übrigens nie aufgestellt: „Ich war nicht ansatzweise gut.“
25 Dollar pro Woche
Diese Prinzipien nahm er als Trainer mit. 1975 schloss Bill ein Wirtschaftsstudium ab, um kurz danach in die NFL zu gehen. Es startete mit 25 Dollar pro Woche.
„Er hat eigentlich nie großes Interesse gezeigt, Football-Coach zu werden. Er hat viel Zeit mit mir verbracht und war interessiert“, so Vater Steve, dessen Bub schon mit zwölf Spiel-Filme schnitt.
Der Vater verhalf dem Sohn zum ersten Job als Quality Control Coach unter Baltimore-Colts-Head-Coach Ted Marchibroda. Danach nahmen die Dinge ihren Lauf. Doch der Weg an die Spitze war ein kurviger.
Und in den ersten Jahren ein kurioser.
„Es war ziemlich ungewöhnlich. In den ersten vier Jahren war ich bei den Special Teams, ein Jahr bei den Wide Receivern und Tight Ends. Zwei Jahre als Quality Control Coach auf der Defense-Seite mit Fokus auf die Secondary und ein weiteres mit den Linebackern“, erzählt Belichick. „Das hat mir in vielerlei Hinsicht viel Aufschluss gegeben.“
„Wollte alles über das Spiel lernen“
Man könnte auch sagen, der Weg als Head Coach war einfach vorgezeichnet. Doch jeder Coach muss sich diesen Weg in die NFL erst verdienen. Und jeder entscheidet mit, wie erfolgreich dieser sein kann.
„Er war bereit, rund um die Uhr für nichts zu arbeiten und alles über das Spiel zu lernen“, erinnert sich Marchibroda, früherer Quarterback und langjähriger NFL-Head-Coach (u.a. Indianapolis Colts und Baltimore Ravens).
Belichick arbeitete in den ersten vier Jahren für die Colts aus Baltimore, die Detroit Lions und die Denver Broncos. Heute ein Defensiv-Guru, wurde der ehrgeizige Jung-Coach damals auch als WR-Coach eingesetzt, weil er sich geschickt anstellte, wenn es um das Lehren von Coverages ging.
Das könnte vor allem im Hinblick auf Sonntag gegen die bärenstarke Offense der Atlanta Falcons mit Super-Receiver Julio Jones sehr nützlich sein.
Aufstieg in New York
1979 fing Belichicks erste große Ära in der NFL an. Bei den New York Giants, die ihm 2008 die schmerzlichste Niederlage seiner Karriere zufügten und eine Perfect Season mit den Patriots ruinierten, reifte er endgültig zum Defensive Mind heran und übernahm schließlich 1985 die Abwehr der Giants, die 1987 und 1991 Super-Bowl-Sieger wurde.
Belichick führte vor einem Duell mit New-England-Division-Rivale New York Jets die Film-Crew von „A Football Life“ 2009 durch die blauen Bereiche des Giants Stadiums, das in der Folge abgerissen und zum Parkplatz des heutigen MetLife-Stadiums wurde. Dabei zeigte der sonst emotionslose Coach sein zweites Gesicht.
„Ich dachte mir nicht, dass es so ausgehen würde und ich nun so hier stehe. Ich habe nur versucht, meine Coaching-Karriere aufzubauen, ein guter Trainer zu sein und ein paar Spiele zu gewinnen – und wir haben hier viele gewonnen. Es ist eine tolle Franchise“, hielt er mit teils gebrochener Stimme fest und schilderte im Anschluss, wie viele Stunden er in diesen Räumen verbracht hätte.
Auf die Frage nach der schönsten Erinnerung, gab er sich gar nostalgisch: „Es gibt viele, eine war sicher, als ich 1987 nach dem NFC-Championship-Game gegen Washington (17:0) auf Schultern vom Feld getragen wurde. Da konnte ich nichts machen, ich wollte aber auch nichts machen. Es war Spaß und es war auf der Titelseite der New York Times. Alle Verwandten und Freunde haben es gesehen.“
Erste Chance in Cleveland
Der Schüler war gereift, und nach dem zweiten gemeinsamen Super-Bowl-Triumph mit den Giants war die Zeit gekommen. 1991 wurde Belichick zum Head Coach der Cleveland Browns ernannt.
Aber wie so oft im Leben läuft nicht immer alles nach Plan. Vor allem in Cleveland. Obwohl Belichick für diesen Job mehr als bereit war – und als Head Coach auch neue Wege ging.
Die Browns waren etwa 1993 eines der ersten Teams, die über ausführliche Scouting-Berichte eines jeden Spielers in der Liga verfügten. Um für die Free Agency top vorbereitet zu sein.
Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung. Das war und ist Belichicks Credo. „Keinen Stein umgedreht zu lassen“, sagte sein Mitarbeiter in Cleveland, Pat Hill, über die Arbeitsweise Belichicks.
„Es ist seine Struktur, die wohl auch größtenteils von den Erfahrungen bei seinem Vater in der Navy kommt. Er ist auf jede Eventualität vorbereitet. Bei ihm ist nichts halbherzig.“
Weil Cleveland schon damals Cleveland war
Trotzdem sollte es mit dem Erfolg als Head Coach damals noch nicht so weit sein. In vier Saisonen kam Belichick nur auf eine Winning Season, sein einziger Playoff-Erfolg war jener gegen die Patriots am Neujahrstag 1995.
Nach der 11-4-Spielzeit folgte das Aus im Divisional-Playoff in Pittsburgh. Die Hoffnungen für die folgende Saison waren groß, der leidenden Football-Stadt Cleveland erstmals eine Super-Bowl-Teilnahme zu bescheren.
Doch schon damals war Cleveland einfach Cleveland – und verlor.
Ein 3-1-Start führte zu einer 5-11-Saison. Triftiger Hauptgrund: Eine Woche nach dem vierten Sieg verkündete Owner Art Modell, mit der Franchise nach Baltimore zu ziehen. Ein Stich ins Herz.
Weder Fans noch Mannschaft konnten dies verkraften, am Ende wurden sieben der acht letzten Spiele verloren. Nur das letzte Heimspiel nicht, trotzdem flogen die Sitzbänke auf das Feld.
Die Cleveland Browns, die 1999 als solche ihr Comeback feierten, wurden die Baltimore Ravens, Belichick blieb entgegen anders lautender Ankündigungen auf der Strecke und wurde gefeuert. Wie Cleveland erhielt aber auch er eine zweite Chance. Dies sollte allerdings noch etwas dauern.
Bill Parcells, damals sein Head Coach bei den NY Giants, nahm ihn zurück unter seine Fittiche. Belichick war 1996 erstmals bei den Patriots engagiert - und das als Assistant Head Coach, sowie Secondary Coach. Sofort ging es mit 11-5 in die Super Bowl, doch dort unterlagen die Patriots den Green Bay Packers mit Quarterback-Legende Brett Favre.
Die kuriose Zeit bei den New York Jets
Es folgte die kurioseste Zeit für Belichick in der NFL. Zwischen 1997 und 2000 war er gleich zwei Mal Head Coach der New York Jets – ohne jemals ein Spiel gecoacht zu haben.
Erst als Interims-Trainer, als die Patriots und Jets noch über die Ablöse für Parcells verhandelten. Die Verhandlungen liefen erfolgreich und Belichick war drei Saisonen Parcells Assistant Head Coach sowie sein Defensive Coordinator.
Als Parcells nach der Spielzeit anno 1999 zurücktrat, hatte dieser bereits ausgehandelt, dass Belichick sein Nachfolger werden würde. Das wurde er auch. Für einen Tag. Bei der Antritts-Pressekonferenz trat er jedoch zurück. „Ich trete als HC der NYJ zurück“, hatte er auf ein Tuch geschrieben und übergeben.
Patriots-Eigentümer Robert Kraft hatte die Fühler nach seinem früheren Assistant Coach ausgestreckt und war erfolgreich, auch wenn er einen verlorenen Erstrunden-Draft-Pick in Kauf nehmen musste.
„Ich merkte schon damals, dass wir auf einer Linie waren“, sagte Kraft, und sollte damit Recht behalten.
Der Rest ist Geschichte. Der Coach holte mit den Patriots vier Mal die Vince-Lombardi-Trophy, gewann seit 2000 die AFC East nur drei Mal nicht und hält den Postseason-Rekord an Siegen (25-10).
„Er schaut sich jeden Gegner an und kann seine Offense und seine Defense jederzeit verändern, sehr flexibel gestalten – abhängig von den Schwächen des Kontrahenten. Das ist wirklich, wirklich brillant! Und das macht es so schwer, gegen ihn zu spielen“, beschreibt der frühere Indianapolis-Coach und nunmehrige NBC-Experte Tony Dungy, wieso die Patriots seit der Belichick-Ära stets an der Spitze stehen.
Als Quasi-General-Manager macht Belichick auch aus jedem „Spaziergänger“ einen Top-Spieler, Chris Hogan war vor dieser Saison Mitläufer in Buffalo, im diesjährigen Championship Game fing der Receiver Bälle für 180 Yards und zwei Touchdowns.
Selten, aber doch lacht Belichick, wie nach dem neuerlichen Einzug in die Super Bowl. Doch eigentlich ist er der schmallippige, knurrende Coach an der Seitenlinie - in einem Hoodie.
An der Außendarstellung hat sich über die Jahre wenig geändert. „Wie es die Medien und die anderen Trainer sehen, so ist er dann auch. Er ist sehr gewinnorientiert, sagen wir einmal so“, meinte einmal Sebastian Vollmer, langjähriger Right Tackle in der O-Line um Star-Quarterback Tom Brady.
„Das Einzige, was wir tun können, ist unser Bestes zu geben. Uns täglich zu verbessern, die Details zu beachten und das Team an erster Stelle zu sehen“, wiederholt Belichick gerne seine Formel, die auch unpopuläre Entscheidungen im Sinne der Franchise vorsieht. Alles für den Erfolg, mit Plan und Talent.
Manchmal auch mit unlauteren Mitteln: 2007 verloren die Patriots nach "Spygate", die Coaches-Signale der Jets-Defense wurden unerlaubt gefilmt, einen Erstrunden-Draftpick und Belichick 500.000 Dollar. Die höchstzulässige und höchste Geldstrafe gegen einen Coach in der NFL-Geschichte.
Sympathiebekundungen sehen anders aus. Der Coach zieht ob seiner mürrischen Art automatisch Antipathien auf sich. Ob seiner monotonen Aussagen bei Pressekonferenzen wird er auch nur allzu gerne parodiert („We’re on to XY“), und die Zuseher können sich auf seine Kosten amüsieren.
Aber auch er kann lachen. Vor allem, wenn er gewinnt, nämlich das letzte Spiel einer Saison.