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Soweit (fast) alles nach Plan

Jürgen Pucher analysiert die Auftritte der EM-Favoriten und kritisiert den Aufschrei nach Marseille.

Soweit (fast) alles nach Plan

Zehn Spiele sind in Frankreich absolviert und die Überraschungen blieben soweit aus. Was es sonst noch zu beobachten gab, wer der neue Co-Favorit ist und warum die Besprechung der Ausschreitungen sehr naiv daherkommt.

Auf dem Platz

Dreieinhalb Tage Europameisterschaft oder exakt zehn Spiele sind absolviert und bevor endlich Österreich ins Turnier einsteigt, ist es Zeit, das bisher Gesehene einmal ein wenig zu sammeln. Mehmet Scholl nannte es in der ARD am Sonntag bis zu Deutschland gegen die Ukraine ein „Taktik-Festival“, bei dem Deutschland nicht mitgemacht habe. Naja, jeder wie er meint. Alles in allem waren hübsche Fußballspiele zu sehen, einige sogar sehr hübsch. Im Prinzip geht alles nach Plan, die Favoriten setzen sich durch. Die große Überraschung blieb bis jetzt aus. Aber:

Außer Nordirland (weil kein adäquates Personal) und Tschechien (weil lächerlich-destruktiver Hoffnungsfußball) war kein Team komplett unterlegen beziehungsweise die meisten waren auch willens, am Spiel aktiv zu partizipieren. Im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten. Ein bisschen war es wie in der österreichischen Bundesliga, wo die kleineren Teams immer wieder mit ein wenig Raffinesse den Großen, den mit mehr individueller Klasse, ärgern können. Vor allem, wenn das bessere Team den schlechteren Coach hat. Wunderbare Duelle auf Augenhöhe hat es zwischen Wales und der Slowakei sowie Montagabend zwischen Belgien und Italien gegeben. Leckerbissen, sagen da manche dazu.

Ein Sonderfall und irgendwie die Prolongierung der letzten Jahrzehnte des englischen Fußballs war das Spiel der Three Lions gegen Russland. In der ersten Hälfte an die Wand gespielt und dann völlig umgekippt und eine leichenblasse Mother Russia wieder mit ein wenig Farbe versehen, in Form des Last-Minute-Ausgleichs auch im Resultat manifestiert. Die anderen Favoriten waren mehr oder weniger souverän, aber allesamt mit ein wenig Defensivproblemen. Frankreichs Außenverteidiger waren für Rumnänien immer wieder ein gefundenes Fressen. Spanien hatte so seine Not bei Standards der Tschechen und Deutschland hat Probleme mit der umgestellten Abwehr ohne Mats Hummels. Aber da sind Manuel Neuer und Jérôme Boateng solche unglaublichen Bollwerke, die das alleine tragen können.

"Mit Italien hat sich selbstredend eine neuer Co-Favorit angeschlichen und mit Belgien ein anderer wieder ein bisschen in die zweite Reihe gestellt"

Am Beispiel Neuer macht sich die nächste Startbeobachtung fest: Es ist von äußerst großer Bedeutung, einen fähigen Goalie zu haben. Alle Favoriten hätten ohne ihre Schlussmänner das eine oder andere Problem mehr gehabt. Die Schweiz wäre ohne Yann Sommer vielleicht gegen zehn Albaner auch nicht über die Runden gekommen. Was war ansonsten noch bemerkenswert? Der Schweinsteiger-Abstauber mit 15 Metern Platz auf jeder Seite gegen einen Gegner, der schon alles riskiert hat, war es jedenfalls nicht, bei allem Verständnis für Sentimentalitäten.

Es war zunächst der heroische Braveheart-Auftritt von Vedran Ćorluka, der gegen die Türken fast das gesamte Spiel über das Feld blutete. Außerdem war da eine der schönsten Rettungstaten auf der großen Fußballbühne aller Zeiten durch Boateng und ein unglaublich toller Auftritt von Joe Allen von den Walisern, der in dem Match gegen die Slowakei im wahrsten Sinne des Wortes der Hans Dampf in allen Gassen gewesen ist. Und mit Italien hat sich selbstredend eine neuer Co-Favorit angeschlichen und mit Belgien ein anderer wieder ein bisschen in die zweite Reihe gestellt. Vorläufig.

Auf der Tribüne

Am Ende noch ein kurzer Sidestep zu den Geschehnissen auf der Tribüne bei Russland gegen England und in den Straßen so mancher Stadt im Gastgeberland. Der große Aufschrei, es würden jetzt wieder die bösen Hooligans wüten und wie schrecklich das nicht sei, der ist schon ein Stück weit lächerlich. Oder naiv. Oder kurzsichtig. Aus mehreren Gründen. In Europa marschieren und pöbeln die Identitären, ein nicht ganz kleiner Teil der Staaten weist massive Re-Nationalisierungstendenzen auf, einhergehend mit einer gehörigen Packung Ressentiments, Rassismus und Verrohung der Sprache. Dort und da brennen Flüchtlingsheime. In einigen Ländern geht das auch schon eindeutig hin zu autokratischen Strukturen. Und dann gibt es die große Verwunderung, wenn derart aufgeheizte Stimmungen sich bei einem Nationenwettkampf treffen, und das nicht ganz reibungslos über die Bühne geht.

Außerdem bieten die nächsten Wettbewerbe dieser Art weit schwierigere Bühnen. In Russland werden Putins Recken mit eiserner Hand ein friedliches Turnier erzwingen. Die EURO in lauter verschiedenen Städten bietet auch keine gute Grundlage und nach Katar im Winter wird kaum wer fahren. Dass jetzt in Frankreich noch einmal großer Bahnhof ist, ist keine große Überraschung. Die Lösung der Polizei: Offenbar überzogene Reaktionen statt Deeskalation. Die Lösung der UEFA: Alkoholverbot im und um das Stadion. Wieder einmal eine Glanztat des Fußballfunktionärswesens.

Jürgen Pucher war Gründungsmitglied der Plattform „sturm12.at“ und hat dort über Jahre hinweg mit seiner Kolumne „12 Meter“ die Diskussionen rund um den Grazer Verein und den österreichischen Fußball extrem bereichert. Nun beschäftigt er sich als Betreiber der Podcast-Plattform "blackfm.at" mit den Geschehnissen bei den Schwarz-Weißen. Bei LAOLA1 verfasst er in regelmäßigen Abständen Gastkommentare zum Geschehen im heimischen Kick und nun speziell zur EURO 2016.


In der LAOLA1-Dreierkette wird ÖFB-Gegner Ungarn genau unter die Lupe genommen:




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