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"Rambo" gegen alle Widerstände

Es gab Zeiten, da hat keiner einen Cent auf ÖFB-Goalie Ramazan Özcan gewettet.

Selten sind sie – die Gelegenheiten für Ramazan Özcan, sein Können als Nationalteam-Torwart unter Beweis zu stellen.

Robert Almer hat sich als klare Nummer 1 im ÖFB-Tor etabliert, fehlt jedoch im Test gegen die Schweiz verletzungsbedingt.

Also wird der 31-Jährige sein fünftes Länderspiel bestreiten. Keine übertrieben hohe Anzahl für sein Alter, für den Ingolstadt-Legionär jedoch kein Problem:

„Das ist gar nicht hart, weil ich demütig genug bin und weiß, woher ich komme. Für mich zählt der Stolz, Nationalspieler zu sein. Als Kind habe ich immer davon geträumt. Es ist egal, wie lange man für wie viele Länderspiele braucht, Hauptsache man darf für die Nationalmannschaft spielen.“

"Nach Hoffenheimhat keiner einen Cent auf mich gewettet"

Erstmals durfte dies der Vorarlberger im Sommer 2008, als er im ersten Ländermatch nach der EURO gegen Italien eingewechselt wurde. Für das Heim-Event selbst war er damals aufgrund des Verletzungspechs von Helge Payer und Christian Gratzei als dritter Goalie nachnominiert worden.

Statt im ÖFB-Team durchzustarten, folgten schwierige Jahre bei Hoffenheim beziehungsweise eine nicht nach Wunsch verlaufene Leihe zu Besiktas Istanbul.

Umso größer die Bestätigung für Özcan, dass er inzwischen in der nationalen Torhüter-Hackordnung wieder weit nach oben geklettert ist.

„Ich mache keinen Hehl daraus, dass mein Weg sehr, sehr steinig war. Aber ich habe immer versucht, aus jedem Rückschlag etwas Positives mitzunehmen. Ich bin einfach ein Typ, der nie aufgibt. Aber so ehrlich muss man sein, dass nach Hoffenheim keiner einen Cent auf mich gewettet hat“, vermutet der Vorarlberger.

„Wenn du das erste Mal eine in die Gosch’n kriegst…“

Zumindest die Verantwortlichen des FC Ingolstadt wetteten im Sommer 2011 doch auf ihn, als sie „Rambo“ eine Chance gaben. Das Happy End dieser Geschichte ist bekannt.

Özcan wiederum schöpft inzwischen aus einem großen Erfahrungsschatz, der es ihm erleichtert, nach dem missglückten Anlauf bei Hoffenheim diesmal in der Deutschen Bundesliga zu bestehen.

"Irgendwann greifen die Erfahrung und die Automatismen. Wenn du das erste Mal eine in die Gosch’n kriegst, tut es mehr weh als beim fünften Mal. Denn dann weißt du: Hoppala, jetzt blutet es schon wieder und vielleicht wackelt der Zahn links hinten."

Ramazan Özcan

„Klar spielt die Erfahrung eine große Rolle. Wenn du gerade das erste Interview deiner Karriere mit mir führen würdest, wärst du auch ein bisschen nervös. Es ist immer so: Irgendwann greifen die Erfahrung und die Automatismen. Wenn du das erste Mal eine in die Gosch’n kriegst, tut es mehr weh als beim fünften Mal. Denn dann weißt du: Hoppala, jetzt blutet es schon wieder und vielleicht wackelt der Zahn links hinten. Das sind alles Erfahrungen.“

Und nicht genug der Box-Metaphern: „Ich habe Nehmerqualitäten bewiesen. Deswegen bin ich auch stolz, dass ich immer meinen sturen Kopf bewahrt habe.“

Ein „Stein“ namens Torhüter-Rotation

Kühlen Kopf musste Özcan im Sommer bewahren. Trotz seiner starken Performance in der Aufstiegs-Saison verpflichte Ingolstadt den Norweger Örjan Nyland.

Trainer Ralph Hasenhüttl ging mit dem Plan einer Torhüter-Rotation in die Saison und setzte diesen anfangs auch um. Doch seit dem 3. Spieltag steht durchgehend sein österreichischer Landsmann im Tor, der mit Leistung auf diese Maßnahme antwortete.

„Alles, was ich gedacht habe, will ich jetzt gar nicht sagen“, lacht Özcan inzwischen über den Moment, als er von der Rotation erfahren hatte.

„Es ist einfach so: Man lernt aus der Vergangenheit. Ich habe versucht, mich nicht über den Stein aufzuregen, den man mir in den Weg gelegt hat, sondern Lösungen zu finden, wie man den Stein umgehen kann. Und das geht nur über Leistung. Der Trainer stellt auf und ich versuche unter der Woche Gas zu geben, sodass er nicht an mir vorbeikommt. Aber das Wichtigste waren natürlich die Spiele am Wochenende. Mir macht es unheimlich Spaß, in den großen Stadien gegen Gegner zu spielen, wo die Leute einen eigentlich von vornherein tot reden. Das sind die Momente, die mich noch einmal pushen.“

„Wenn dich 20.000 Leute beschimpfen und bespucken…“

In Momenten, in denen er Ingolstadt vor einer Niederlage bewahrt, wie zuletzt bei Borussia Mönchengladbach, müssen diese Emotionen noch auf dem Feld raus.

Jubel als Ventil quasi: „Wenn dich 20.000 Leute hinter dir die ganze Halbzeit beschimpfen, bespucken und mit Feuerzeugen bewerfen, staut sich schon etwas auf. Wenn du deiner Mannschaft mit der letzten Aktion des Spiels noch den Punkt rettest, dann ist das Emotion pur. Für solche Momente spielt man Fußball.“

Das Publikum würde am Wochenende immer nur die Spitze des Eisbergs sehen: „Unter dem Wasser verbirgt sich die harte Arbeit, viel Selbstvertrauen und viel Glaube an sich selbst.“

Dieses Selbstvertrauen möchte der Keeper auch gegen die Schweiz präsentieren. Durch die Verletzung Almers hätte seine Chance zwar einen „negativen Touch“, dennoch möchte er einen möglichst positiven Eindruck hinterlassen.

„Jetzt ernte ich, was ich im Sommer gesät habe“

„Dieses Spiel ist das i-Tüpfelchen. Dass du in Deutschland als Torwart nicht so einfach bestehst, brauche ich keinem zu sagen. Es war einfach eine unglaubliche Vorbereitung, ein unglaublicher Glaube an mich selbst. Jetzt ernte ich, was ich im Sommer gesät habe. Ich habe immer wieder betont, wie leid es mir für Robert tut. Aber dafür bin ich die Nummer zwei, dass der Teamchef das Gefühl haben kann: Da haben wir auch noch einen Guten.“

So einzementiert wie die ÖFB-Startelf derzeit erscheint, kann die Devise für die Riege an Kadermitgliedern dahinter ohnehin nur lauten, dann bereit zu sein, wenn sich eine Möglichkeit auftut.

Diese Message gibt Özcan auch gerne an jüngere Spieler weiter: „Verletzungen sind immer unerwartet. Als Spieler, der hinten dran ist, musst du immer Gas geben. Viele glauben immer – und das habe ich im Verein schon oft erlebt: ‚Ich spiele eh nicht, also kann ich den Kopf hängen lassen.‘ Dann sage ich immer: ‚Jungs, es geht so schnell. Wenn der Punkt X da ist, müsst ihr bereit sein.‘ Das ist das Wichtigste.“

Das Schweiz-Spiel ist für Özcan fraglos ein solcher Punkt X.


Peter Altmann

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