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Die große Guardiola-Bilanz

Ist er gescheitert oder nicht? LAOLA1 versucht die Gretchenfrage zu beantworten:

Die große Guardiola-Bilanz

Alles wurde infrage gestellt. Wieder einmal.

Schon vor dem CL-Halbfinal-Rückspiel des FC Bayern gegen Atletico Madrid stand nicht weniger als die "Ära Pep Guardiola" zur Diskussion.

Ist er gescheitert oder nicht? Hat er eine Ära geprägt oder nicht? Würdigt man seine Leistungen ausreichend oder nicht?

Der Spanier wurde bei seinem Amtsantritt im Sommer 2013 wie ein Messias gefeiert und von den Medien in den Himmel gelobt. Im Laufe der letzten drei Jahre hat sich das Blatt zusehends gewendet.

Nach jeder Niederlage - wovon es nicht allzu viele gab - wagten sich seine Kritiker aus der Deckung und nahmen den Katalanen in die Mangel. Zuletzt wurde er medial vor den Pranger gestellt, frei nach dem Motto: Triple oder nix!

Ob das gerecht ist, sei dahingestellt, objektiv bewertet wird seine Arbeit dadurch jedenfalls nicht. LAOLA1 versucht, die Zeit Guardiolas beim FC Bayern einzuordnen. Das lief unter Pep Guardiola gut/schlecht:

 SPIELERISCHE KLASSE

Selbst die größten Guardiola-Kritiker werden eingestehen müssen, dass die Bayern unter seiner Ägide zum Teil atemberaubenden Fußball boten. Nie zuvor trat eine deutsche Mannschaft national wie international so dominant auf. Waren es früher, als noch Matthäus, Effenberg oder Ballack die Mannschaft führten, knappe Dusel-Siege, die der Konkurrenz den letzten Nerv raubten, sahen die Zuschauer in den letzten knapp drei Jahren nicht selten Tor-Festivals, die sie verzückten.

Man denke an die 5:1-Erfolge in dieser Saison gegen Borussia Dortmund, den FC Arsenal oder den VfL Wolfsburg, erinnere sich an einen 7:1-Sieg bei der AS Roma, ein 7:0 über Shakthar Donetsk, die 6:1-Gala gegen den FC Porto oder die 8:0-Demonstration über den HSV im Jahr davor - die Bayern spielten nicht Fußball, sie zelebrierten ihn.

 

 VERPASSEN DES CL-TITELS

Dreimal probiert, dreimal ist nichts passiert: Guardiola hat es nicht geschafft, die wichtigste Vereinstrophäe der Welt nach München zu holen. Das ist Fakt. Dreimal in Folge scheiterte der FCB im Halbfinale an einem spanischen Konkurrenten. Zunächst war Real Madrid eine Nummer zu groß, im Vorjahr zog man gegen den FC Barcelona den Kürzeren, diesmal erwies sich Atletico Madrid als Stolperstein.

In den entscheidenden Momenten blieb bei den Münchnern der Erfolg aus. Was in der Bewertung Guardiolas immer eine Rolle spielt, ist das schwere Erbe, das er antrat. Der 45-Jährige übernahm den deutschen Branchen-Primus als Triple-Sieger, viele Fans schwärmen noch heute vom überragenden Jahr unter dem anschließend zurückgetretenen Jupp Heynckes. Das mag nicht fair sein, doch schon vor Guardiolas Amtsantritt stand fest: Er kann (fast) nur verlieren.

 


 INDIVIDUELLER REIFEPROZESS

Ein wichtiger Faktor für die Bewertung eines Trainers ist die Entwicklung seiner Spieler. Während etwa in der Amtszeit von Jürgen Klinsmann eine Stagnation stattfand und die Taktik von den Kickern vorgegeben wurde, war Guardiolas Handschrift von Anfang an zu erkennen. Aufgebaut auf dem 4-2-3-1-System unter Heynckes trug er Stück für Stück seine eigene Philosophie in den Verein. Pep forderte und förderte seine Spieler jeden Tag aufs Neue.

Als Positiv-Beispiel sei hier David Alaba hervorgehoben. Der 23-Jährige kam aufgrund seiner Polyvalenz und schnellen Auffassungsgabe auf verschiedenen Positionen zum Einsatz. Er reifte als Spieler ungemein. Auch Jerome Boateng, dem in der Pre-Guardiola-Ära immer mal wieder ein Lapsus unterlief, nahm eine beeindruckende Entwicklung und gehört längst zu den besten Innenverteidigern der Welt. Die Liste ließe sich problem um Namen wie Philipp Lahm, Thomas Müller, Manuel Neuer, Joshua Kimmich ... erweitern.

 

 DIE ABGESCHRIEBENE MEISTERSCHAFT

Der Katalane beging gleich zweimal einen folgenschweren Fehler. 2014, nachdem die Bayern bereits am 27. Spieltag - und damit so früh wie nie zuvor - die Meisterschaft fixierten, begann die Extrem-Rotation. Beinahe die komplette Stammelf war in der Liga nur noch Zuschauer, nicht nur Spiele (u.a. 0:1 gegen Augsburg) gingen verloren, sondern auch der Rhythmus.

"Die Bundesliga ist für uns vorbei", erklärte der Taktik-Fuchs und gab seinen Schützlingen ein Alibi für weniger konsequente Auftritte. Die Folge war das Aus gegen Real. Im Vorjahr hielt er sich zwar verbal schadlos, an seiner Rotation hielt er jedoch fest. Erneut gerieten die Münchner außer Tritt und stolperten in der Königsklasse. Es schien, als hätte er nicht ausreichend dazugelernt.

 

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DIE GEWONNENEN TITEL

Es wird der Eindruck erweckt, dass eine Meisterschaft oder ein Pokal-Sieg in der öffentlichen Wahrnehmung nichts mehr zählen. Gesprochen wurde und wird fast ausschließlich vom Europacup. Dabei sorgten die Bayern in den letzten Jahren für Rekorde en masse in der Liga. Im ersten Jahr unter Guardiola gewannen sie die Meisterschaft früh wie nie und zudem mit 19 Punkten Vorsprung, zuletzt waren es immerhin zehn Zähler, die Vize-Meister Wolfsburg am ende Rückstand hatte.

Hinzu kommen ein neuer Startrekord (zehn Siege in Folge), eine Siegesserie von 19 Erfolgen en suite, die wenigsten Gegentore in einer Saison (18/könnte in dieser Spielzeit unterboten werden), die meisten Zu-Null-Spiele (19 - in dieser Saison bereits eingestellt) und und und. Nicht zu vergessen der Pokal-Sieg 2014. Wenn es optimal läuft, gesellt sich in wenigen Wochen ein weiterer hinzu. Die Bayern stehen zudem unmittelbar vor der vierten Meisterschaft in Folge, was noch nie einer deutschen Mannschaft gelang. Guardiola hat Großes geleistet, die Anerkennung steht aber in keiner angemessenen Relation dazu.

 

LOBHUDELEI VS. RESERVISTENROLLE

Das erklärte deutsche Lieblingswort Pep Guardiolas lautet? Richtig, "super". Der Spanier verwendete es derart inflationär in Bezug auf seine Spieler, dass man seine "super, super" Lobeshymnen kaum noch ernst nahm. Hinzu kam, dass er seine Worte selbst mit Taten konterkarierte. Bestes Beispiel dafür ist Mario Götze: "Er ist einer der besten Profis, da gibt es keinen Zweifel", schwärmte Pep, um ihn dennoch in wichtigen Spielen vorwiegend auf der Ersatzbank zu parken.

Widerspruch in Reinkultur betrieb er auch bei der Personalie Dante. Der Brasilianer gehörte ganz offensichtlich nicht zu seinen Lieblingen und bekam immer häufiger die Reservistenrolle zugesprochen. Nach einem 1:0-Sieg über Borussia Dortmund im letzten Jahr, als der Verteidiger von Anfang an ran durfte, überkam es Guardiola: "Ich möchte Dante diesen Sieg widmen. (...) Ich hätte gerne 1.000 Dantes in meinem Team." Keine vier Monate später hatte er nicht mal mehr den einen, denn der Brasilianer wurde zum VfL Wolfsburg abgeschoben.

 

INTERNATIONALE STRAHLKRAFT

Pep kam, sah und begeisterte. Das galt aber nicht nur für deutsche Medien, die Bundesliga wurde plötzlich auch international deutlich stärker wahrgenommen. Klar, die Bayern waren schon zuvor eine große Nummer im globalen Fußball-Geschäft, doch mit dem für viele "besten Trainer der Welt" färbte viel Strahlkraft auch auf den Rest der Liga ab. Nicht zu unterschätzen ist auch der Einfluss des Katalanen bei Spielertransfers.

Die ohnehin komfortable Verhandlungsposition der Münchner wurde durch das Schmackhaftmachen einer Zusammenarbeit mit Guardiola noch weiter verstärkt. Kein Wunder, dass der FCB inzwischen bei fast jedem potenziellen Top-Transfer als möglicher Interessent gilt. Die Verpflichtung des 45-Jährigen katapultierte die Münchner endgültig nach ganz oben in die Riege der internationalen Super-Klubs und damit genau dorthin, wo sich die Vereinsbosse am liebsten sehen.

FAZIT

Pep Guardiolas Arbeit an der Isar wird von vielen deutlich schlechter gemacht, als sie tatsächlich war. Bemerkungen à la "mit dieser Mannschaft wird ja jeder Meister" zeugen von Respekt- und Ahnungslosigkeit. Der zweifache Welt-Klubtrainer bestach mit unglaublicher Fachkompetenz und hievte die Bayern auf das nächste Level. Sie gelten gemeinsam mit Real Madrid und dem FC Barcelona als Nonplusultra des internationalen Fußballs - eine Wertschätzung, die man nicht hoch genug bewerten kann. 

Im selben Atemzug genannt wie Ottmar Hitzfeld oder Jupp Heynckes wird er aber - zumindest in Fan-Kreisen - wohl nie. Zweifellos war der 45-Jährige ein exzellenter Dirigent eines im Höchstmaße talentierten Orchesters, die Krönung in Form des CL-Titels blieb ihm jedoch versagt. "Ich habe mein Leben für diesen Klub gegeben", erklärte Pep nach dem Ausscheiden gegen Atletico Madrid. Er empfinde großen Stolz, zudem sei es ihm eine Ehre gewesen, die Spieler zu trainieren. "Ich habe es hier genossen und bin sicher, dass die Zukunft für Bayern München mit diesen Spielern perfekt sein wird." Er selbst hat am Ende zwar sehr gut, aber eben doch nicht perfekt zum Klub gepasst.


Christoph Nister

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