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"Mit Ronaldo musst du das höchste Ziel anstreben"

In Österreich gilt Portugal als Traumlos für die EURO 2016. Bei den Iberern selbst hat man andere Pläne:

Portugal gilt hierzulande als Traumlos für die EURO 2016.

Aber ist es auch umgekehrt?

In seiner ersten Reaktion war Teamchef Fernando Santos voll des Lobes über das ÖFB-Team: „Österreich hat sich enorm verbessert, sie haben Qualitätsspieler.“

Auch in seiner Heimat warnte der 59-Jährige die Öffentlichkeit davor, die Elf von Teamchef Marcel Koller zu unterschätzen.

„Santos hat großen Respekt“

"Santos meint, dass Österreich mittlerweile zu jenen Teams in Europa zählt, die am schwersten zu schlagen sind."

Manuel Queiroz

„Santos meint, dass Österreich mittlerweile zu jenen Teams in Europa zählt, die am schwersten zu schlagen sind“, berichtet Manuel Queiroz, Journalist bei der Zeitung „Diario de Noticias Lisboa“, im Gespräch mit LAOLA1.

„Santos kennt das Team gut, weil er in den letzten Jahren als griechischer Teamchef zwei Mal gegen Österreich gespielt hat. Er hat großen Respekt“, betont Queiroz.

Aus rot-weiß-roter Sicht sind dies jedoch eher unangenehme Erinnerungen.

Zwei Siege mit Griechenland gegen Österreich

Im November 2010 feierte Santos mit Griechenland einen 2:1-Sieg im Happel-Stadion, Florian Klein verschoss an seinem 24. Geburtstag in Minute 4 einen Elfmeter, Christian Fuchs erzielte mit einem traumhaften Weitschuss sein einziges Länderspiel-Tor. Betreut wurde das ÖFB-Team damals noch von Didi Constantini.

Aber auch Koller musste sich Santos schon in einem Testspiel geschlagen geben. Im August 2013 gewann Griechenland dank eines Doppelpacks von Kostas Mitroglou in Salzburg mit 2:0.

Griechenland setzte schon zu Zeiten von Otto Rehhagel auf eine kompakte Defensive, auch in der Amtszeit von Santos waren die „Hellenen“ äußerst unangenehm zu bespielen.

Der Defensiv-Spezialist

Laut Queiroz hätte sich diese Herangehensweise seit der Inthronisierung als portugiesischer Teamchef nicht geändert:

"Santos-Teams schießen nie viele Tore, sie kassieren jedoch auch selten mehr als eines."

Manuel Queiroz

„Santos-Teams schießen nie viele Tore, sie kassieren jedoch auch selten mehr als eines. Viele Spiele enden 1:0, 1:1, 0:1, 0:0 – ein 2:1 ist beinahe schon ein Schützenfest. Eines ist gewiss: Es ist sehr schwer, dieses portugiesische Team zu besiegen.“

11:5 lautete Portugals Torverhältnis nach acht Spielen als Sieger in der Qualifikations-Gruppe I – mit dem 3:2-Sieg in Armenien war von der Anzahl der Treffer her ein Spiel als absoluter Ausreißer nach oben inkludiert.

In dieser Partie bewahrte Cristiano Ronaldo sein Team mit einem Hattrick vor einer Blamage. Wenn man über einen der weltbesten Offensivspieler aller Zeiten verfügt, mag die defensive Herangehensweise auf den ersten Blick ein wenig überraschen.

„Wir haben einfach keine Nummer 9“

Queiroz nennt jedoch eine denkbar simple Begründung: „Wir haben einfach keine Nummer 9.“

Deshalb sei Ronaldo in dieser Mannschaft quasi doppelt gefordert. „Normalerweise kommt er ja lieber über die linke Seite, aber in der Qualifikation wurde er nominell als Stürmer aufgestellt. Deshalb spielen wir normalerweise ohne echte Nummer 9.“

Dass Ronaldo die absolute Schlüsselarbeitskraft im portugiesischen Kader ist, muss man vermutlich nicht extra betonen.

Für Queiroz war jedoch eine andere Maßnahme von Santos entscheidend für die letztlich relativ souveräne Qualifikation. Der Coach trat sein Amt erst im zweiten Spiel der Kampagne an, nachdem der Auftakt unter Vorgänger Paulo Bento mit einer 0:1-Heimblamage gegen Albanien völlig daneben ging.

„Dann kam Santos mit der alten Garde“

„Er hat voll auf die Alten gesetzt. Ricardo Carvalho ist inzischen 37 und war bereits weg vom Nationalteam. Oder Bruno Alves, auch Bosingwa hat Einsätze bekommen – also Spieler, die schon einiges über 30 sind. Bento hat das erste Spiel gegen Albanien mit einem neuen Team und vielen jungen Spielern verloren. Dann kam Santos mit der alten Garde. Das war viel besser.“

Die EURO in Frankreich sei zwar für Cristiano Ronaldo mit seinen 30 Jahren nicht die letzte Chance auf einen Titel auf Nationalteam-Ebene, für andere Kadermitglieder wie etwa auch Innenverteidiger Pepe höchstwahrscheinlich schon.

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„Wir hätten auch eine interessante Generation an jungen Spielern, die in diesem Jahr das Finale bei der U21-Europameisterschaft erreicht hat. Einige von ihnen, zum Beispiel William Carvalho und Joao Mario von Sporting, bekommen auch ihre Chancen im A-Team. Das sind richtig gute junge Spieler“, erzählt Queiroz.

Kein Druck bezüglich Generationswechsel

Druck, den Generationswechsel schneller zu vollziehen, würde Santos von der Öffentlichkeit dennoch keinen bekommen:

„Aus einem ganz einfachen Grund: Die Leute mögen es, das Team gewinnen zu sehen. Von Paulo Bento und seinen nicht nachvollziehbaren Entscheidungen hatten sie die Nase voll. Santos ist ein sehr methodischer Trainer, sehr rational, sehr direkt. Er macht, was er für richtig hält, und das auf eine sehr mechanische Art und Weise, aber es funktioniert.“

Portugal galt in Österreich aus Topf 1 unter anderem deshalb als Traumlos, weil das derzeitige Spielermaterial nicht auf dem Niveau diverser Vorgänger-Generationen zu sein scheint.

Dauergast bei Turnieren sind die Iberer inzwischen sowieso, nicht qualifiziert war man letztmals bei der WM 1998 in Frankreich. 2006 erreichte man bei der WM in Deutschland das Halbfinale, ebenso 2012 bei der EM in Polen und der Ukraine.

„Santos spricht davon, die EURO 2016 zu gewinnen“

Am nahesten dran am ganz großen Wurf war Portugal jedoch bekanntlich bei der Heim-EURO 2004. Will man mit einem Portugiesen über die Erwartungen für 2016 sprechen, muss man sich zuvor unweigerlich über diese immer noch nicht geschlossene Wunde unterhalten.

„Wir haben 2004 das Finale gegen die Griechen verloren. Zu Hause. Gegen die Griechen, nicht gegen Deutschland“, lacht Queiroz ebenso lauthals wie sarkastisch, „das war unsere eine gute Möglichkeit, eine richtig gute Chance, und wir haben sie nicht genutzt.“

"Der EM-Titel ist möglich. Warum auch nicht? Und das ist auch der Unterschied zur Vergangenheit: Wir haben diese Ambitionen früher nie so klar formuliert."

Vielleicht mögen die Leute Santos auch deshalb, weil es seine Mission zu sein scheint, diese Wunde ein für allemal verheilen zu lassen.

„Santos spricht davon, die EURO 2016 zu gewinnen. Das ist das Ziel“, fährt Queiroz fort, „Das ist nicht das einfachste Ziel auf Erden, natürlich gibt es auch Deutschland, Spanien oder Frankreich. Aber wenn du Glück hast, alle deine Spieler fit sind und Ronaldo in Topform ist, kannst du so ein Turnier gewinnen.“

„Mit Ronaldo musst du das höchste Ziel anstreben“

Das ist auch Queiroz‘ persönliche Meinung: „Das ist möglich. Auf ganz realistische Art und Weise. Auch für Santos sind andere die Favoriten, und damit hat er recht. Aber wenn Ronaldo vorangeht und alle anderen nicht nur in ein, zwei Spielen gut sind, ist das machbar. Warum auch nicht? Und das ist auch der Unterschied zur Vergangenheit: Wir haben diese Ambitionen früher nie so klar formuliert.“

Und diese Zielsetzung hat auch einen denkbar logischen Hintergrund. Ronaldo hat auf Vereinsebene bereits alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Die Krönung mit seinem Heimatland fehlt.

Queiroz: „Wenn du einen Spieler wie Cristiano Ronaldo zur Verfügung hast, musst du das höchste Ziel anstreben, und das ist der Titel. Du musst ihn mit dieser Möglichkeit motivieren. Ich weiß nicht, wie er das sieht, aber das Team bereitet ihn darauf vor, dass er das schaffen kann. Ich denke, das ist wichtig. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.“

So unterschiedlich können Perspektiven sein: Portugal denkt an den EM-Titel. In Österreich gilt Portugal als Traumlos.


Peter Altmann

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