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Es geht immer noch um Fußball

Die mediale Rezeption, speziell hierzulande, lässt zu wünschen übrig.

Es geht immer noch um Fußball

Die Reihen lichten sich in Frankreich und die höhere Qualität setzt sich meist durch. Von der medialen Rezeption, speziell hierzulande, kann man das nicht immer behaupten.

Auf der Tribüne (beim Zeitung lesen, im Internet, im TV)

Die Spreu trennt sich jetzt langsam vom Weizen, die Achtelfinalspiele der EURO 2016 sind geschlagen. Die große sportliche Überraschung kommt, mit Geschick und psychologischem Momentum herbeigeführt, aus Island und die sich schon abzeichnenden Favoriten verfestigten ihren Anspruch durch überzeugende Auftritte. Das ist die kürzestmögliche Beschreibung der wesentlichen, sportlichen Erkenntnisse aus den vergangenen Tagen. Die Headlines werden aber dominiert von Jogi Löws Händen, die er nicht unter Kontrolle hat, von dämlichen Brexit-Witzchen und Vergleichen zwischen Islands Einwohnerzahl und den anwesenden Schlachtenbummlern im Stadion.

In Österreich verdichtet sich das Problem zudem: Die fundierte Auseinandersetzung mit dem Sport an sich fehlt, besonders dann, wenn es über das ÖFB-Team hinausgeht. Das beginnt im TV, wo der ORF an Oberflächlichkeit nicht zu überbieten ist. Flache (Herren)Witzchen, Moderatoren, die schon an der Aussprache der eigenen Programmpunkte scheitern, und immer wieder offensichtliches Nicht-Vorbereitet-Sein im Studio. Nicht umsonst fällt auf, dass jeder einigermaßen ernstzunehmende Beobachter des Turniers sich als ARD, ZDF oder SRF-Schauer outet. Man kann sich auch über Olli Kahn oder Mehmet Scholl trefflich aufregen. Aber an inhaltlicher Substanz haben sie und ihre Kollegen am Ende des Tages einfach mehr zu bieten als Prohaska, Payer und Co.

"Zwei so chronisch erfolglosen, von ihrem Gram über die Jahre nach der aktiven Karriere gezeichneten, 'Experten' wie Anton P. und Johann K. steht diese Kritik an Marcel Koller und dem Team schlicht nicht zu"

In den sozialen Medien dominieren Jogi-Schnüffler, schreiende Kommentatoren aus Island und ein gewisser Will Grigg, der nun mittlerweile wirklich schon sehr lange on fire ist. Der Zeitungs-Boulevard kennt abseits der Ö-Kicker nur Zlatan Ibrahimovic und Christiano Ronaldo. Und nicht zuletzt kriechen ebendort nach dem enttäuschenden Abschneiden von Team Austria die Untoten wieder aus ihren Löchern hervor. Selbst wenn Anton P. und Johann K. zufällig den einen oder anderen zutreffenden Kritikpunkt in ihrer Nachbetrachtung erwischen, zwei so chronisch erfolglosen, von ihrem Gram über die Jahre nach der aktiven Karriere gezeichneten, „Experten“ steht diese Kritik an Marcel Koller und dem Team schlicht nicht zu. Leider bekommen sie in Fußball-Österreich, wo ein guter Spruch noch immer mehr zählt als eine fundierte Auseinandersetzung, wieder und wieder eine Plattform, wo sie sich mitteilen dürfen. Die anderen Länder „leiden“ auch an ihren Ex-Internationalen, werden jetzt einige sagen. Ja, stimmt, aber in den meisten dieser Länder gibt es auch eine ernstzunehmende „Gegenbewegung“.


Pressestimmen zu Islands Aufstieg:


Will man sportlich in die Tiefe gehen, muss man sich jedenfalls Nischen suchen. Das ist möglich und dort bleibt auch kein noch so nerdiges Bedürfnis unerfüllt. Trotzdem leidet die breite Masse der österreichischen Fußball-Öffentlichkeit an qualitativer Unterversorgung. Es ist ein bisschen wie in aktuellen Beispielen von politischen Referenden. Ohne ausreichende Information, nur noch gesteuert von Emotionen, kommt unter dem Strich meistens nichts Gutes heraus. Und so oder so sollte aus meiner bescheidenen Sicht eine EURO ihre wesentlichen Schlagzeilen durch Fußball machen. Da gäbe es auch durchaus einiges zu sagen, obwohl es natürlich schon Endrunden gegeben hat, die einen stärker in den Bann gezogen haben:

  • Nach mittlerweile vier Gelegenheiten zur Beobachtung scheint Frankreich ein bisschen zu schwach auf der Brust für den ganz großen Clou. Die werden mit Island on fire (Will Grigg ist schon am Heimweg) wieder ihre liebe Not haben. Der nächste Kraftakt wird nötig sein, die Frage ist, wie viele solche die Equipe noch abrufen kann, nach den schon harten Gruppenspielen und dem erzwungenen Turnaround gegen Irland im Achtelfinale.
  • Belgien hat sich aus der Zwangsjacke befreit und mit dem Kantersieg gegen Ungarn wieder zurück ins Geschehen geschossen. Die Wiedergeburt von Eden Hazard ist für die roten Teufel auch kein Nachteil und im eindeutig schwächer besetzten Turnier-Ast haben sie plötzlich beste Karten für einen Finaleinzug. Wales und Polen oder Portugal sind eindeutig lösbare Aufgaben für die Wilmots-Truppe, wenn sie jetzt die Achtelfinal-Form konservieren kann.
  • Und am Ende zu den beiden schönsten Darbietungen in der Runde der letzten 16: Deutschland und Italien sind bärenstark. Trotz der erneuten strategischen Meisterleistung der Azzurri gegen Spanien ist die DFB-Elf noch immer leicht im Vorteil. Vor allem das individuell bessere Personal spricht für Boateng und Co. Nichtsdestotrotz wird das ein beinharter Fight, speziell weil Deutschland in jüngerer Vergangenheit gegen Italien eher wenig gerissen hat. Ein bisschen denke ich mir, wer dieses anstehende Viertelfinalduell gewinnt, stemmt am Ende den Pokal.

 

Jürgen Pucher war Gründungsmitglied der Plattform „sturm12.at“ und hat dort über Jahre hinweg mit seiner Kolumne „12 Meter“ die Diskussionen rund um den Grazer Verein und den österreichischen Fußball extrem bereichert. Nun beschäftigt er sich als Betreiber der Podcast-Plattform "blackfm.at" mit den Geschehnissen bei den Schwarz-Weißen. Bei LAOLA1 verfasst er in regelmäßigen Abständen Gastkommentare zum Geschehen im heimischen Kick und nun speziell zur EURO 2016.


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